»Complicating things makes people - especially musicians
with fragile egos - feel important. But to do Woody you´ve got to hang back, let things flow.«
(Thomas Conner, Tulsa World)
Mit diesem Motto könnte man Joel Rafaels CD-Set "The Songs Of Woody Guthrie Vol. 1 & 2" überschreiben, denn sich zurückhalten und den Dingen ihren Lauf lassen - das ist genau das, was dem kalifornischen Sänger mit seinen Versionen alter Woody Guthrie-Titel gelingt.
Rafael, der sich in den 60er Jahren ebenso von der Folk-Bewegung inspirieren ließ wie Bob Dylan oder Joan Baez, bezeichnet Woody Guthrie als einen seiner größten Helden und tritt seit dem ersten 'Woody Guthrie Folk Festival' 1998 jedes Jahr dort auf. So war es nicht verwunderlich, dass er einige Jahre später beschloss, der Folk-Legende ein ganzes Album zu widmen. Dem 2002 veröffentlichten "Woodeye", das noch größtenteils Interpretationen von Woody-Originalen enthält, folgt 2005 der zweite Streich, betitelt "Woodboye", auf dem Rafael eine Art 'Kollaboration' mit Guthrie wagt, indem er die Musik zu einigen unveröffentlichten Lyrics des Altmeisters schreibt. Nora Guthrie, die zur Zeit die Woody Guthrie-Archive leitet, gewährte ihm dazu Einblick in die Hinterlassenschaft ihres Vaters, zu denen unter anderem rund 1000 zum Teil unveröffentlichte Songtexte gehören.
Nun sind beide Alben in einer neuen Aufmachung als CD-Set erschienen, das zeigen soll, dass Woodys Musik, seine Themen und seine Art, die Dinge zu beschreiben, noch immer aktuell sind und - so Rafael - ein neues Publikum erreichen können.
Man könnte sagen, dass Joel Rafael sich mit seiner Band, zu der übrigens auch Tochter Jamaica an der Violine zählt, auf dem ersten Album "Woodeye" zunächst vorsichtig den Originalsongs nähert, um dann auf dem zweiten Album "Woodboye" das volle Potenzial des Guthrie-Projekts entfalten zu können.
Die erste Scheibe widmet sich hauptsächlich Guthrie-Originalen über seine Heimatstadt (so z.B. "Don't Kill My Baby And My Son" oder "Pretty Boy Floyd"), seine Wanderschaft und seinen Einsatz für die Außenseiter und Benachteiligten. Ein berühmtes Beispiel ist Woodys "1913 Massacre". Der Song über das 'Italian Hall Disaster', bei dem 37 streikende Bergleute und ihre Familien bei einer Massenpanik während einer Weihnachtsfeier getötet wurden, ist für "Woodeye" mit viel Respekt und Achtung vor der Vorlage aufgenommen worden. Besonders eindringlich interpretiert Rafael aber "Don't Kill My Baby And My Son", eine herzzerreißende Geschichte aus Woodys Heimatstadt Okemah über einen Mann, der zu Unrecht im Gefängnis sitzt und nichts dagegen tun kann, dass seine Frau und seine beiden Söhne vom Mob gelyncht werden. Spätestens bei dieser Ballade zeigt sich Rafaels Talent, auch unbekanntere Songs aus dem Guthrie-Fundus auszugraben und ihnen neues Leben einzuhauchen - nicht zuletzt durch die reduzierte Instrumentierung seiner Band und seinem gefühlvollen Gesang, der nie die dem Folk eigene Einfachheit und Leichtigkeit verliert. Auch wenn "Woodeye" mit "Dance A Little Longer" bereits einen Titel enthält, bei dem Rafael neue Musik zu Woodys bisher unveröffentlichten Texten geschrieben hat, orientiert sich das erste Album doch sehr stark an Guthries Originalen.
Auf der zweiten CD "Woodboye" finden sich dagegen gleich vier solcher 'Kollaborationen' über die Zeiten hinweg - und gerade diese Songs sind es, die besonders hervorstechen und das Projekt über ein bloßes Tribute-Album hinausheben. Mit "Way Over Yonder In The Minor Key", bei dem die Musik von Billy Bragg stammt, ist ein melodiöses, bittersüßes Loblied auf die erste Liebe und die alte Heimat gelungen, das man einfach mitsummt, als wäre es schon immer da gewesen. Besonders bei "Dance Around My Atom Fire" zeigt sich, wie sehr Rafael Guthries Musik verinnerlicht hat: Um den eingängig-mahnende Folk-Song über das Atomzeitalter webt Rafael eine Melodie, düster und leicht zugleich, es wird ein Lied für den Frieden und doch auch ein sarkastisches Wortspiel - besser hätte vielleicht auch Bob Dylan Guthrie nicht interpretiert. Auch bei dem einzigen Titel aus Joel Rafaels eigener Feder - "Sierra Blanca Massacre" - wird schnell klar, dass dieser nicht nur Woodys Musik, sondern auch seine Themen weitertragen will. Mit der Eindinglichkeit des musikalischen Geschichtenerzählers singt Rafael von illegalen mexikanischen Einwanderern, aufständischen Cowboys und 'lonesome ramblers' ohne dabei zu sehr in Klischees abzudriften oder die Musik zugunsten des Textes zu vergessen. Auf "Woodboye" geben sich neben Rafaels gut eingespielter Band auch noch Gäste wie Jackson Browne, Woodys Sohn Arlo Guthrie und Jimmy LaFave die Ehre, was das zweite Album ebenfalls zum weitaus abwechslungsreicheren und insgesamt gelungeneren Teil des CD-Sets macht.
Erwähnenswert ist auch die schöne Aufmachung der beiden Alben als reich bebilderte Digipacks. Im Fall von "Woodboye" enthält das Booklet neben den grundlegenden Informationen auch alle Songtexte, was durchaus auch für das erste Album wünschenswert gewesen wäre. Es ist nicht ganz verständlich, warum bei einer gemeinsamen Veröffentlichung der beiden CDs nur die zweite mit Texten bedacht wurde - zumal Rafael selbst im Kommentar zu "Woodeye" betont, wie wichtig ihm die originalgetreue Wiedergabe der Songtexte sei (was sich bei Woodys Variationsfreude nicht immer ganz einfach gestaltet).
Insgesamt kann man sich die Frage stellen, ob Klassiker der Folk-Geschichte wie "This Train Is Bound For Glory" denn überhaupt einer neuen Aufnahme bedürfen. In Joel Rafaels Fall heißt die Antwort eindeutig 'ja' - denn sein Woody Guthrie-Projekt erschöpft sich keineswegs nur in Nachahmung und originalgetreuer Rekonstruktion von jahrzehntelang tradierten Songs, obwohl es ihm auch dabei meistens gelingt, Woodys Lieder mit viel Respekt vor der Originalaufnahme zu seinen eignen zu machen. Das Besondere an diesem CD-Set ist aber Rafaels kongeniales Weiterspinnen des Guthrie-Erbes in seiner musikalischen Interpretation der Text gebliebenen Stücke Woodys, die von ihm nie aufgenommen wurden. Und gerade diese Songs sind es, die herausragen und das zweite Album zum weitaus stärkeren machen - zu einem echten musikalischen Tribut an eine Legende. Vielleicht auch zu einer »Woody Guthrie-Erfahrung für ein neues Publikum«, wie Rafael es sich wünscht.
Tracklist |
CD 1:
01:Paradox Hotel
02:Hit Me With A Hit
03:Last Minute On Earth
04:In The Eyes Of The World
05:Jealousy
06:What If God Is Alone
07:Pioneers Of Aviation
08:Love Supreme
09:The Truth Will Set You Free
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CD 2:
01:Touch My Heaven
02:Mommy Leave The Light
03:End On A High Note On
04:Life Will Kill You
05:I Am The Sun
06:Blade Of Cain
07:A Kings Prayer
08:Stardust We Are |
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Externe Links:
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