Auch als Mentor und Talentförderer trat Michy Reincke an diesem Abend in Erscheinung, stellte er doch die Hamburger Sängerin Katharina Vogel vor, die jüngst auf seinem Plattenlabel Rintintin ihr Debütalbum, "2 Minuten", veröffentlichte. So durfte sie, begleitet von Ralf Denker an der akustischen Gitarre, die ersten fünfundzwanzig Minuten des Konzerts bestreiten. Denker, den wir noch den ganzen Abend weiter hören konnten, fiel durch sein einfühlsames Spiel auf. Er musste an die Stelle eines Pianisten treten, von dem Katharina ansonsten begleitet wird. Die junge, siebenundzwanzigjährige Künstlerin stellte Eigenkompositionen vor und konnte mit ihrer klaren, kraftvollen und modulationsfähigen Stimme punkten. Dabei kam mitunter ein leicht rauchiges Timbre zum Vorschein. Bis auf einen Song passten die Musik und die aus dem Alltag gegriffenen, persönlich gefärbten Texte sehr gut zusammen. Hier konnten wir eine Sängerin erleben, die sich abseits allem Talentshow-Getummels und aller Superstarsuche zu etablieren wusste und man kann nur hoffen, dass sie unter Michy Reinckes Fittichen zum Erfolg kommen wird.
Ralf Denker blieb nun auf der Bühne und dazu gesellten sich der Bassist Stephan Gade, nun an der Akustikgitarre, und Herr Reincke. Wie immer bei Auftritten gehört die Zeit vor den Musiktiteln einführenden Worten zu den Stücken, die sich auf den jeweiligen Inhalt beziehen, aber auch schon einmal mit ausschweifenden philosophischen Gedanken gefüllt sind. So ist man mitunter nicht sicher, ob die Aussagen der Wahrheit entsprechen oder um des Gags willen frei erfunden sind. Wie dem auch sei, Spaß macht es allemal. Der Startschuss wurde mit dem Song "Superlangweilig" gegeben. Hier fiel sofort der dichte Sound der drei akustischen Gitarren positiv auf. Die drei Musiker ergänzten sich perfekt und Gade schien auch hier die begleitenden Bassfiguren zu übernehmen und von Denker kam die harmonische Ausgestaltung, die einige kurze Male am Abend dann auch ein Solo zuließ. So erfuhr ich einen vollen akustischen und treibenden Sound, der, zusammen mit den Vokalharmonien, Erinnerungen an Musik der amerikanischen Westküste wachrief, mitunter auch an die Band America. Also eine 'Unplugged-Vorstellung' vieler Songs aus Reinckes schon lange dauerndem Schaffen, angefangen mit einigen Songs von Felix De Luxe. Doch im ersten Set sollte es vorwiegend Musik aus dem aktuellen Album Der Name kommt mir nicht bekannt vor sein.
Dazu kam - und das in Anlehnung an die Bezeichnung der Tour (Zwischen den Alben Tour 2013) - ein neues, für die nächste Platte vorgesehenes Stück, "Ich will die Sache nicht unnötig in die Länge ziehen." Der Arbeitstitel der neuen Scheibe soll "Habe ich Dich nicht gebeten, im Auto zu warten?" lauten (nun ja, mit Sicherheit wohl eher nicht…, oder?). Als einzigen Fremdtitel stellte der Künstler die seines Wissens einzige deutsche Version eines Titels von Prince vor: "Ich bin nicht dein Mann", im Original "I Could Never Take The Place Of Your Man". Als sehr stark empfand ich auch den Vortrag eines der sehr guten Stücke des aktuellen Longplayers, "Wir fliegen vorbei". Die Geschichte von Außerirdischen, die vorsichtshalber an der Erde vorbeifliegen angesichts der Zustände, die sie dort vorfinden: übermäßigen Konsum, Superhitparaden, Gier, Chaos usw.
Dazu Reincke unter anderem: »Als würden Untote ins Kino gehen, einen Zombiefilm ansehen und sich gruseln. Das passiert den Menschen.« Dazu noch das berühmte Zitat der Dakota-Indianer: »Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig ab.«
Ferner gab es Aussagen zu den vielen traurigen Liedern, die er im Laufe der Zeit geschrieben habe und nicht mehr hören könne, aber letztlich müsse er das ja so bringen, allein schon aus der Verpflichtung heraus. Und er philosophierte über den Begriff 'Gier' als Definition von Furcht, in Verbindung von Ängsten, die die Menschen zunehmend befiele und die es in einer selbstvertrauenden Gemeinschaft nicht geben könne. So schwankten seine einleitenden Vorträge zwischen Ernsthaftigkeit und Humor, der einem durchaus im Hals stecken bleiben konnte. Wir hörten Geschichten über Zusammenhänge zwischen Alkohol und Depressionen, den "G-Move" in Hamburg mit den DJs "Klöterkasten" und "Hausmeister". Reincke berichtete in lustiger Weise über die Anatidenphobie - die Angst irgendwie, irgendwo von einer Ente beobachtet zu werden. Oder einen Besuch beim Psychotherapeuten wegen der Angst, dass die Erdnussbutter am Gaumen kleben würde, der Arachibutyrophobie.
Doch auch musikalisch war Humor an der Tagesordnung, wenn es da hieß, »In Hamburg ist das anders, Hamburg hebt dich hoch und schüttelt dir das Kleingeld raus.« Der Gitarrist Ralf Denker griff noch zu einer mit dem Schlauch gespielten Melodika, was dann wieder zu solchen Äußerungen, hinsichtlich der Schwierigkeit und der Belastung, das Instrument zu spielen, führte. Dieses sei bereits »das dritte Ralf«, das auf der Bühne stehe. Ja, was für ein Verschleiß… Dazu spielte Reincke ein Kazoo. Im ersten Set hörten wir noch einen Song von Felix DeLuxe, an den sich der Sänger eigentlich gar nicht mehr erinnern konnte: "Nächte übers Eis", sehr interessant in dieser akustischen abgespeckten Version, die den Kern des Liedes sehr gut darstellte. Vor der Pause kam dann noch "Für immer blond", wobei eine Blondine aus dem Publikum auf die Bühne gebeten wurde, um einen kleinen Mundharmonikaeinsatz zu bringen. Ob das wirklich so spontan war? Mir kam das schon fast inszeniert vor...
Im zweiten Set gab es Platz für eine Show seiner größten Hits, wie "Valerie Valerie", "Niemand kommt so selten vor" und auch einer meiner Lieblingssongs, "Es ist alles Musik", sollte noch mit einem kleinen, feinen Gitarrensolo folgen. Die Musik wirkte angesichts der vollen akustischen Gitarren sehr intensiv und regte zum Fallenlassen an. Der rhythmische Aspekt war dabei sehr stark betont - "Wall of Sound" einmal anders. Zum abschließenden »Französischen Block« erschien dann Katharina Vogel noch einmal auf der Bühne und zum offiziellen Konzertabschluss gab es nun hintereinander die Songs "Himmlische Felder (Oh Champs-Elysees)", "Valerie Valerie" und - das musste doch nun endlich kommen - "Taxi nach Paris", und das Publikum stand selbstverständlich…. Nach einer Zugabe mit mehreren Songs verabschiedeten sich die Musiker schließlich nach einer reinen Spielzeit von etwa zwei Stunden und zwanzig Minuten mit "Es war so schön" und hinterließen das angenehme Gefühl, ein sehr gutes Konzert besucht zu haben.
Im Übrigen versprach Michy Reincke noch, im Rahmen des dreißigjährigen Jubiläums von Felix DeLuxe erneut gemeinsam mit ihnen auf Tournee zu gehen, eigentlich müsste das nächstes Jahr sein, oder?
Mein Dank geht an dieser Stelle an das Team vom Pumpwerk für die problemlose Akkreditierung.
Line-up:
Michy Reincke (vocals, guitars, kazoo)
Ralf Denker (guiar, melodica, harmony vocals)
Stephan Gade (guitar, harmony vocals)
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