Rage / Soundchaser
Soundchaser
Wer an einem Samstag vor Weihnachten einige Dinge im Städtchen erledigen muss, ist vor einer weihnachtsmusikalischen Infiltration seines Gehirns nicht gefeit. Den Höhepunkt bildeten heute - neben der üblichen "Jingle Bells"- und "Rudolph, the red-nosed reindeer"- Konservendudelei - einige mit netten kleinen roten Mützen mit weißem Bömmelchen als Nikoläuse und Nikoläusinnen verkleidete Blasorchesterspieler. Es gab eine Posaune, eine Klarinette und diverse Trompeten - und die Jungs spielten offensichtlich heute zum ersten Mal gemeinsam, dafür aber sehr beherzt, sprich laut.
Zusammen mit den ach so süßen vorweihnachtlichen Düften, die einem - meist ungefragt und oft auch nur aus der Konserve - in die Nase geweht werden, hat diese Mischung bei mir einen wahren Heißhunger auf was scharf Gepfeffertes verursacht. Und Bingo! In der Kiste mit den noch zu hörenden Scheiben finde ich die 2003'er Rage-Veröffentlichung "Soundchaser". Genau das richtige jetzt.
Die Band um Sänger, Bassist, Frontmann und Gründungsmitglied Peavy Wagner feiert dieser Tage ihr 20-jähriges Jubiläum. Gratulation dazu von der RockTimes Crew!
In der aktuellen Besetzung spielen die Drei seit 1999 zusammen. Die vorzügliche Gitarrenarbeit erledigt Viktor Smolski. Er wurde wohl durch seinen Komponistenvater sehr früh musikalisch geprägt und begann seine Ausbildung klassisch: mit Klavier und Cello im zarten Alter von 6 Jahren. (Das passt prima; ich bin überzeugt, würde Richard Wagner heute leben, der wäre Metaller!) Bereits mit 14 Jahren tourte Victor als Gitarrist der russischen Superband "Pesniary" monatelang durchs Heimatland.
Am Schlagzeug sitzt der New Yorker Mike Terrana. Seine Vita liest sich wie das Who is Who der Hard Rock/Metal Szene: er arbeitete unter anderem für Yngwie Malmsteen, Tony Macalpine, Gamma Ray und Axel Rudi Pell. Außerdem hat er eine (un)heimliche Schwäche für Frank Sinatra (kleiner Hinweis für unsere Schubladendenker ;-)).
Na, dann wollen wir doch mal hören, was die Jungs diesmal zusammengebraut haben.
Der Opener "Orgy Of Destruction" ist schon mal ein sehr geeigneter Aperitif: ein gut einminütiges Instrumentalstück, dass mit brachialem Schlagzeug und schnellen Gitarrenriffs Appetit auf mehr macht. Ohne Pause geht es zur Vorspeise: "War Of Worlds" hat etwas gewöhnungsbedürftige Strophen, dafür ist der sehr melodiöse Refrain, angetrieben von irrsinnig schnellem Double-Bass, wie aus einem Guss und geht gleich ins Ohr.
"Great Old Ones" ist mein persönlicher Favorit dieses Albums. Der erste Song, der gleich beim ersten Hören hängen bleibt - auch wenn er mich, abgesehen vom Text, ein wenig an ein Kinderlied erinnert.
Der Hauptgang mit all seinen Bestandteilen schmeckt mir aber nicht so richtig toll. Gut, es gibt die Rage-übliche wahnsinnige Geschwindigkeit, jede Menge Double-Bass, irrsinnig rasante Gitarrenriffs, wunderschön melodiösen Gesang, viele kleine, lustige, sauschnelle Fill-Ins - aber insgesamt wirkt es auf mich etwas uninspiriert. Allerdings: bei den meisten Songs hebt sich das Bukett des Refrains stark ab von der, na ja, Mittelmäßigkeit der Strophen. Das ist irgendwie nicht Fisch und nicht Fleisch.
"See You In Heaven Or Hell" ragt wieder heraus: Ist prima als Dessert geeignet.
Und "Falling From Grace" mit den charmanten Akustik-Parts lässt als Digestif das Mahl recht zufriedenstellend enden.
Fazit: Die Platte macht durchaus satt, aber ich habe schon besser gegessen. Es ist eher einfache Hausmannskost denn ein Gourmet-Menu. Rage-Fans werden der Platte sicher positive Seiten abgewinnen - die sind durchaus vorhanden! - aber Anfängern würde ich zu anderen Gerichten raten, etwa "Secrets In A Weird World" oder "Black In Mind"; für die Geschmacks-Angsthasen "Lingua Mortis". Versteht mich nicht falsch, "Soundchaser" ist eine verdammt gute Metal-Scheibe, aber leider nur ein mittelmäßiges Rage-Album.
Spielzeit: 53:18, Medium: CD, Steamhammer, 2003
1: Orgy Of Destruction, 2: War Of Worlds, 3: Great Old Ones, 4: Soundchaser, 5: Defenders Of The Ancient Life, 6: Secrets In A Weird World, 7: Flesh And Blood, 8: Human Metal, 9: See You In Heaven Or Hell, 10: Falling From Grace Part One: Wake The Nightmares, 11: Falling From Grace Part Two: Death Is On It's Way
Ella Wirtz, 06.12.2004