Renaissance / Dreams & Omens
Dreams & Omens Spielzeit: 47:20
Medium: CD
Label: Repertoire Records, 2011 (2008)
Stil: Progressive Folkrock

Review vom 25.06.2011


Steve Braun
Reichlich 'verkopfte', warme Musik mit engelsgleichem Gesang schwebt aus den Lautsprechern, nachdem der Player mit der hier zu besprechenden Scheibe gefüttert wurde. Hach, genau: Renaissance und - schwupp - ist man wieder in den Siebzigern...
Vermutlich war genau diese Sorte von Art Rock der Grund für die Gründung der Ramones und Sex Pistols. Ich persönlich 'konnte' gut mit den damals noch politischen Punks und mit ihrem »No future!« haben sie geradezu prophetisch den Zustand der Erde dreißig Jahre später voraus gesagt. Recht hatten sie, diese liebenswerten 'Rotzer', auch wenn das so mancher Realpolitker heute noch nicht kapieren mag. Wenn allerdings Sid Vicious und Joey Ramone wüssten, was aus dem Punk heutzutage geworden ist, würden sie sich im Grab umdrehen, aber - sorry - ich schweife gerade vom Thema ab...
Letztlich behielten die 'Punx' auch mit Sprüchen wie »I hate Pink Floyd!« Recht. Wohl gemerkt: Ich verehre Pink Floyd und selbstverständlich auch Renaissance, aber diese Art der Musik war seinerzeit hochgradig anachronistisch und lag bereits in tiefster Agonie. Völlig überproduziert drohte dem Art Rock, seiner Seele verlustig zu werden. Mehr als dreißig Jahre später hat sich die Welt allerdings - ungeachtet aller kurzfristigen Modeerscheinungen - weitergedreht und man ist geneigt, erneut geradezu schwärmerisch in diese Zuckergusswelten einzutauchen...
Die britische Progressive Folk-Truppe Renaissance war, als die hier vorliegenden Tondokumente 1978 aufgezeichnet wurden, auf dem Höhepunkt ihrer Popularität. Mit der Single "Northern Lights" aus der tollen "A Song For All Seasons"-Scheibe hatte man doch tatsächlich die Top Ten der UK-Charts 'geknackt' und besagtes Album verkaufte sich wie das so genannte geschnitten' Brot. Ihr stärkster Markt war allerdings seit jeher der Nordosten der USA - dort wo es britischer als in anderen Landstrichen der Neuen Welt zugeht. "Dreams & Omens" wurde live im Tower Theatre in Philadelphia/PA aufgezeichnet und blieb bis 2008 in privaten Archiven der Band verschwunden. Sängerin Annie Haslam schrieb in den Liner-notes zur Erstveröffentlichung 2008 von einer »der besten Live-Perfomances« in der Geschichte Renaissance' und verklärt geradezu »eine magische Nacht«. Gitarrist Michael Dunford kann sich im Booklet der vorliegenden Ausgabe an eine »überragende Atmosphäre« erinnern. Und richtig: Diese knisternde Spannung ist beim Hören von "Dreams & Omens" stets präsent und man kann diese Scheibe durchaus mit der Intensität von "Live At Carnegie Hall" (1976) vergleichen.
Von da an setzte der Zeitgeist den britischen Schöngeistern allerdings gewaltig zu - der Absturz in die Bedeutungslosigkeit war nicht zu verhindern.
Das damals aktuelle Album, "A Song For All Seasons", ist mit "Day Of The Dreamers" - einem opulenten Epos in bester Renaissance-Tradition - und (natürlich) dem Hit "Northern Lights" - in einer sich nur wenig von der Single unterscheidenden Version - vertreten. Als 'Cremeschnittchen' dürften allerdings das prickelnde, emotional berührende Mammutwerk "Can You Hear Me" und die Hymne "Midas Man" - beide vom vorausgehenden Studioalbum "Novella" (1977) - anzusehen sein.
Die Soundbasis Renaissace' sind John Touts wabernde Keyboardteppiche über die Annie Haslams glockengleiche Stimme schwebt. Die akustischen Gitarren Michael Dunfords und Jon Camps sorgen für die Bandtypischen 'folkigen' Klänge. Demzufolge verzichten Renaissace völlig auf elektronische Gitarrensoli, was damals wie heute sehr ungewöhnlich ist. Für Abwechslung sorgen vielmehr häufige Tempi- und Arrangementwechsel. Oftmals setzt Haslam ihren Sopran als 'Soloinstrument' ein, was, aufgrund ihres Stimmumfangs, gelegentlich die Kinnlade kippen lässt. Besonders schön schlägt dies in "Things I Don't Understand" zu Buche - in den höchsten Lagen können diese Improvisationen durchaus einmal wie ein Mini Moog klingen. Die Pianosoli Touts lassen durchweg die klassische Ausbildung des Mannes erkennen.
Als einziges Negativum ist die doch recht überschaubare Spieldauer des Albums anzusehen. Wenn man die oben angeführten Zitate Haslams und Dunfords zugrunde legt, hätte man diesen Tonträger ruhig etwas besser füllen dürfen.
"Dreams & Omens" stellt sich mit dem bislang besten Live-Output Renaissance', "Live At Carnegie Hall", gleichberechtigt in eine Reihe. Jetzt wünscht man sich nur noch eine Live-Aufnahme des Konzeptalbums " Scheherazade And Other Stories" (1975) in voller Länge und das Glück wäre vollkommen.
Line-up:
Annie Haslam (vocals)
John Tout (keyboards)
Michael Dunford (acoustic guitars, vocals)
Jon Camp (bass, acoustic guitars, vocals)
Terence Sullivan (drums, percussions)
Tracklist
01:Can You Hear Me (14:32)
02:Carpet Of The Sun (3:52)
03:Day Of The Dreamer 10:32)
04:Midas Man (4:22)
05:Northern Lights (4:19)
06:Things I Don't Understand (9:35)
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