Ricochet / Zarah - A Teartown Story
Zarah
"Um eine schöne Blume zu entdecken, muss man nicht immer ferne Länder bereisen. Manchmal genügt ein Blick in den eigenen Garten!"
('Schöngeist' Ogie Ogelthorpe, Kanada 1976)
Da hat der alte Ogie mal Recht gehabt. Auch in Bezug auf Musik, denn Ricochet sind aus Deutschland, genau gesagt aus Hamburg und Ricochet sind verdammt gut. Sie können mühelos mit den Konkurrenten aus USA, Kanada, Schweden und so weiter und sofort, etc. pp. mithalten und kreieren dabei noch ihren eigenen Stil. Respekt, Hut ab und alle Achtung!
Ihrem zweiten Album "Zarah - A Teartown Story" liegt die urbane Geschichte des Leidenswegs eines Mädels zu Grunde. Ricochet nennen die Dinge beim Namen, vom Missbrauch bis zum Suizid. Aber das ist noch lange nicht alles. Denn die Band versteht es, diese Geschichte perfekt zu vertonen und zwar mittels durchdachtem, auskomponiertem und gefühlvollem Garde-Progressive Rock. Die Arrangements lassen den Musikfan die Geschichte miterleben. Traurige Passagen ergreifen ebenso wie optimistischere Einschübe Hoffung wecken.
Dabei bedienen sie sich der besten Zutaten, die der Progressive Rock zu bieten hat. Die Breaks und Wendungen schütteln sie nur so mit links aus den Ärmeln, ohne dass diese jemals deplaziert wirken würden. Ob die Gitarre den Ton angibt, das Piano, die Keyboards oder ob sich die Facette auf die Vocals konzentriert - man kann sich dieser Musik nicht entziehen. Besonders auch, weil sie neben den üblichen Spielarten des Progressive Rocks mit feinen und griffigen Melodien angereichert ist.
Heiko Holler erweist sich mit seiner Gitarre als einer der Stützpfeiler der Band. Anfangs klingt der Sound der Akkorde etwas gewöhnungsbedürftig. Zunächst vermisst man ein bisschen die Brillanz. Doch das relativiert sich mit der Zeit. Sobald Heiko dann auf die Leadguitar umstöpselt gibt es kein Halten mehr. Er besitzt professionelle technische Fähigkeiten und weiß sie auch einzusetzen. Einige Läufe irisieren in allen Farben des Regenbogens. Er riffelt sie schnell, punktgenau und gnadenlos. Aber auch die feineren, melancholischen Passagen passt er in vollständigem Legato in die Kompositionen ein. Nach einigen Umläufen ist man sich nicht mehr sicher, welche Abschnitte einem denn nun besser gefallen haben und werden.
Beeidruckend ist die Arbeit von Björn Tiemann an den monochromen Tasten. Björn beherrscht das ganze Spektrum von brachialen, unheimlichen Synthesizerklängen bis zu akzentuiertem Pianospiel. Zweiteres macht die Songs einzigartig und erinnert an die genialen Pianoeinsätze der frühen Queen-Produktionen. Hört ruhig mal in "Silent Retriever" bei Minute 2:40 rein. Auf den Song kommen wir übrigens gleich noch mal zurück. Ein weiteres exzellentes Beispiel sind die Pianomelodien von "Final Curtain".
Fürs Erstere dient als Beispiel das Intro "Entering The Scene". Schon bei diesem Stück wird dem Musikfan sofort klar, dass ihn ein Dauerbrenneralbum erwartet. Echt! Aber auch ganz zum Schluss holt Björn noch mal die grobe Kelle raus und präsentiert einen dramatisch bis symphonischen "Hidden"- Abspann bei "A New Days Rising," so ab 15:05 Minuten Laufzeit.
Als Vocaler zeichnet Christian Heise verantwortlich. Na klar, es gibt begnadetere Sänger unter der Sonne. Aber verstecken muss sich Christian keinesfalls. Er lebt die Rolle, die er singt. Der Musikfan nimmt ihm jeden Ton ab. Er kann laut und aggressiv ebenso wie einfühlsam und sanft. Außerdem, so eine anspruchsvolle Gesangslinie wie beim Chorus von - ihr ahnt es schon - "Silent Retriever" will erst einmal intoniert werden.
Die Rhythmustruppe besteht aus Hans Strenge am Tieffrequenzer und Trommler Jan Keimer. Bei ihrer Darbietung bleiben keine Wünsche offen. Hans bringt die Basslines souverän, aber songdienlich. Besondere Aufmerksamkeit erregt die schöne Bassbegleitung ab Minute 06:30 zu den Vocals in "A New Day Rising".
An Jan Keimers Vorstellung wird jeder Freund des niveauvollen Powerdrummings seine helle Freunde haben. Mal bolzt er mit der Doublebass im Hintergrund herum, mal betont er die Beats vorsichtig, aber er agiert immer ganz im Sinne des Arrangements.
Als Anspieltipp dient par excellence, jeder wird total überrascht sein, "Silent Retriever". Bis zur 5. Umdrehung ist dieser Track für mich das Sahnestück von "Zarah - A Teartown Story". Der tolle Refrain ist ein vorzüglicher Merkposten und das dramatische Pianospiel rüttelt mächtig am Hörer herum.
Das Instrumentalstück "Disobedience" steht für die furiose, die multiprogressive Seite von Ricochet. Die Jungs variieren das Tempo mit Finesse. Sie führen den Musikfan über verschiedene Etappen, von Break zu Break, von Solo zu Solo.
"Zarah - A Teartown Story" begeistert, überzeugt, und beinhaltet sowohl Elemente einer Detonation als auch einer Deflagration. Soll heißen: Man erlebt Ausbrüche und Schwelbrände in einer Tour und am laufenden Band.
Seltene aber hanseatische 9 RockTimes Uhren gehen nach Hamburg. Vom Songwriting wären es glatte 10 geworden, aber für das perfekte Album muss beim nächsten Mal noch ein bisschen in Punkto Sound nachgelegt werden. Gerade bei der Rhythmusgitarre.
Stellt sich zum Schluss nur die Frage, wann wir endlich die Nachricht von der Unterschrift Ricochets bei 'InsideOut' erfahren. Die Scouts aus Kleve sollten ihre Aufmerksamkeit auf Hamburg richten, bevor es ein anderer macht.


    Spielzeit: 72:28, Medium: CD, ProgRock Records 2005
    1:Entering The Scene 2:Teartown 3:Disobedience 4:Silent Retriever 5:Cincinatti Road 6:Caught In The Spotlight 7:Final Curtain 8:The Red Line 9:A New Day Rising
    Olli "Wahn" Wirtz, 15.12.2005