Viele Musikfans haben lange daran gezweifelt. Einige haben es schon immer behauptet und ein kleines Grüppchen Unbeugsamer hat eh seit Urzeiten Stein und Bein darauf geschworen. Zugegeben, ein wenig wussten wir es schon lange, aber in dieser Konsequenz ist es immer wieder paralysierend - irgendwie! Nun ist es sozusagen amtlich, allgemeingültig und gesicherte akademische Lehrmeinung. Bewiesen wurde die These letztendlich durch diese Doppel - Live CD von Ritual:
'Schweden ist europäisches Musikmutterland!'
Vollgepackt mit insgesamt 18 Songs bringt es das Folk-Progressive Rock Quartett auf den Punkt. Die Aufnahmen verfügen über Volumen und Finesse, sind technisch versiert arrangiert und 'steinig'. Bei aller Verspieltheit geht doch ein ordentlicher Ruck von der Scheibe aus. Es donnert schon mal im besten Hard Rock Stil, auch wenn insgesamt sehr viele Folk-, Progressive- und Überhaupt- Facetten miteinander fusioniert werden.
Für Folk-Prog-Rock braucht man natürlich bestimmte, charakteristische Instrumente. Beispielsweise Mandoline, Bouzouki, Tin Whistles und Nyckelharpa. (Ich wusste es auch nicht - ist anscheinend eine Art Fiddel - so jedenfalls verrät es das Booklet). Ritual schleppen das ganze Zeug mit auf die Bühne und setzen es verdammt gut ein. Man hört den Arrangements den Live-Charakter an. Und das Beste ist eben, dass man die Studioversionen nicht herbeisehnt, wie so oft bei Liveaufnahmen.
Der Vorsänger des Rituals hört auf den Namen Patrik Lundström und ist den Progressive-Liebhabern durch seine Zusammenarbeit mit Kaipa bekannt. Er ist ein ganz Großer am Kehlkopf. Manchmal, in ganz diskreten Momenten, wenn man beispielsweise total entspannt in der Wanne liegt, an einem gepfefferten Tomatensaft nippt, die Augen schließt und ansonsten den Lieben Gott einen guten Mann sein lässt, dann, ja dann induziert Patriks Stimme wehmütige Erinnerungen an einen gewissen Freddy Mercury. Weil wir das wissen und er bestimmt auch weiß, dass wir das wissen, lässt er die Backing Vocals von "Moomin Took My Head" zum Beispiel ebenfalls verdammt stark in Richtung Queen tendieren.
Unbedingt anzuchecken sind:
"Really Something"! Der treibende Riff macht aus dieser Nummer einen wahren Stampfer. Besonders gut passt der Bassdrum-Einsatz bei Beginn der Strophe. Es bolltert und drummert! Patriks Stimme erledigt den Rest, um aus diesem Stück einen rituellen Referenzsong zu machen.
Im unteren Midtempobereich angesiedelt ballern Ritual "Infinite Justice" durch die PA. Der Riff trägt den Song mit kurzen, dramaturgisch effektiven Unterbrechungen über die Spielzeit von 7:49 Minuten. Die Gesangslinie verlangte Lundström zwar nicht allzu viel ab, aber vielleicht ist gerade das der Grund für die von "Infinite Justice" verursachten Weichteilhämatome.
Die Ausstattung der CD ist ordentlich. Das Booklet umfasst 16 Seiten und ist mit vielen Fotos geschmückt. Sie machen Lust auf einen Show-Besuch. Wenn das Ritual das nächste mal im 'Spirit of '66' zelebriert wird, sind wir dabei. Versprochen!
Für Progressive Rocker ist Ritual-Live wie geschaffen. Sie bekommen alles, was ihr Herz begehrt. Vertrackte Kompositionen, hervorragende handwerkliche Performance, Abwechslung und eine gehörige Portion Rock. Und sie bekommen noch mehr, nämlich Lundströms einnehmende Kopfstimme, klasse Backingvocal- Arrangements und durch die Folk-Einflüsse ein originelles Hörvergnügen.
8 rituelle RockTimes Uhren senden wir ins Elchland mit der Hoffnung, dass sie nicht in irgendwelchen Ritualen geopfert werden. Viel Spaß damit!
Übrigens, wir sind zwar keine Lokal-Patrioten, finden das "Vielen Dank" am Ende von "Big Black Secret" aber trotzdem sympathisch.
Spielzeit: 114:67, Medium: Doppel-CD, InsideOut Music, 2006
CD1 1.Vision Quest 2.What Are You Waiting For 3.Typhoons Decide 4.Really Something 5.Moomin Took My Head 6.Infinite Justice 7.Humble Decision 8.Once The Tree Would Bloom 9.Did I Go Wrong 10.Think Like A Mountain 11.Solitary Man
CD2 1.Dinosaur Spaceship 2.Explosive Paste 3.Acoustic Medley 4.Mother You’ve Been Gone For Much Too Long 5.Do You Wanna See The Sun 6.Big Black Secret 7.Seasong For The Moomin Pappa
Olli "Wahn" Wirtz, 19.01.2006
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