Progrock, ein deutsches Line-up:
Thommy Dähn - Trommeln, Perkussion, Keyboards
Birgit "Leo" Köhn - Gesang
Thomas Kirschler - Gitarre, Bass, Keyboards
Andreas Razum - Keyboards
Thorsten Gudewitz - Piano, Orgel, Keyboards
Gabriele Pilhofer - Geige, Cello
und wir schreiben das Jahr 2004 - so schlecht kann die musikalische Welt also gar nicht sein. Sechs Tracks, vier davon gar über sechs Minuten. Als Freund von Titeln jenseits der Drei-Minuten-Grenze muss ich natürlich mit dem Titeltrack, einer 13 auf der nach oben offenen Minutenskala, beginnen.
Das Schlagen einer Standuhr eröffnet, Chorgesang gesellt sich dazu, Keyboards fallen dezent ein, brachial durchdringen Gitarrenriffs plötzlich das ruhige Intro und dann glasklar Birgits Gesang. Eine Melodie, die sofort ins Ohr geht, immer wieder durch Drum- oder Keyboard Breaks unterbrochen. Ab Minute fünf etwa übernimmt erst mal die Gitarre, bevor es dann richtig "progrockt". Effekte, stimmungsvolle Instrumentals, man kann sich zurücklehnen wie damals etwa bei Heeps "Salisbury". Kleiner Tipp zur begonnenen Grillsaison: Man muss am Lagerfeuer ja nicht immer CCR hören.
Aber aufpassen, dass man nicht ins Feuer plumpst, wenn die Band wieder lauter wird.
"Is There Any Angel?" eröffnet die Debüt CD und sofort fällt diese Mischung aus glockenklaren, weiblichen Vocals sowie eingestreuten Riffs der härteren Art auf. Hört sich jetzt irgendwie an, als handelt es sich stilistisch um Bands wie Tristania oder Nightwish. Nein, so hart sind die Gitarren nicht. Roadstuff beschreiben sich selbst als Rock mit progressiven Elementen. Ich tendiere lieber zu dem Begriff Progrock, denn Rock "nur" mit progressiven Elementen braucht keine vier Keyboards und wenn ich höre, wie genial und gekonnt das Schlagzeug überleitet, auf den Punkt treibt, neue Richtungen einleitet ("Time For A Wonder"), dann ist das schon reinster Progrock.
Immer wieder wunderbar, wie die Sängerin auf den Gitarren- und Keyboardlines "reitet". Genauso gekonnt, die abrupten Rhythmuswechsel.
Eine akustische Gitarre eröffnet "April" - nein es ist nicht der Deep Purple Song. "April" ist eine sehr relaxte Nummer, ohne große Tempo- oder Stilwechsel. Hehe, bis Minute vier. Da ist es wieder: Dieses Einfallen von Keyboards, Drums und bisschen organisiertem Chaos. Keine Bange, es bleibt aber immer melodiös. Und die Gitarre zieht sich ganz ganz lecker durch das Geschehen. Erinnert mich etwas an ganz alte Barclay James Harvest-Klassiker.
"Inside Of Me" beginnt mit einem traumhaften Piano und Birgit zeigt, was in ihrer Stimme steckt. Weia, jetzt noch ein Cello. Es ist die kürzeste Nummer und irgendwie weit weg von dem bisher gehörten. Ein Stilbruch quasi, aber einer, den man mehr als gerne verzeiht, denn das Hören wird hier zum reinen Genießen. Schade, dass es so schnell vorbei ist.
Back to the roots dann wieder mit "Fly", möchte man sagen, denn da ist sie wieder, diese typische Progstimmung. Ziemlich hart sogar, die Vocals sind fordernder, die Gitarre fetzt. Dazwischen immer wieder Rückkehr zu ruhigeren, pianounterlegten Passagen.
Wer Progrock mag, sollte zuschlagen, denn zum Einen handelt es sich um eine limitierte Ausgabe und zum anderen wird es dieses Line-up nicht mehr geben, da einige Bandmitglieder aus beruflichen (zeitlichen) Gründen ausgeschieden sind. Selbstverständlich steht die neue Besetzung schon und probt, denn im Herbst/Winter, so erzählte mir Thomas, geht es los mit Livegigs.
Spielzeit: 44:35, Medium: CD, Eigenvertrieb, 2004
1:Is There Any Angel?, 2:Time For A Wonder, 3:April, 4:Inside Of Me, 5:Fly,
6:12 Time Age
Ulli Heiser, 28.05.2004
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