"Let it Bleed" war das letzte Album der Rolling Stones in den 60ern. Wie schon auf dem Vorgänger "Beggars Banquet" waren sämtliche Popelemente der Zeit von 1963-1967 abgelegt. Obwohl das Album erst Ende 1969 veröffentlicht wurde, waren viele der Songs schon ein Jahr zuvor entweder geschrieben oder eingespielt, so z.B. "Gimme Shelter", das Keith Richards direkt nach dem Film "Performance", bei dem seine Freundin Anita Pallenberg eine kurze Affäre mit Mick Jagger hatte mit den Worten 'Ooh, a Stone is threatening my very life today...' einleitete.
Die Angst vor dem Auseinanderbrechen der Stones war gross. Allerdings sagt dieser Song auch die gefährliche Zukunft voraus: Den Irrsinn von Altamont, bei dem bei einem Stones Konzert ein Besucher von den als Sicherheitspersonal angeheuerten Hells Angels umgebracht wurde. Es half nach diesem Desaster nichts, dass die Angels von den Grateful Dead vorgeschlagen wurden, man machte die Stones verantwortlich.
Dieses Album zeigt noch einmal exemplarisch die Dekadenz der 60er Jahre auf,
indem die Stones alle Register ziehen: Von der anstössigen Sexualität in "Midnight Rambler", dem Satz in "Monkey Man" 'All my friends are Junkies! That's not really true...', bei dem man nicht weiss, ob's denn wahr oder falsch ist (alles war denkbar), bis zu "You can't always get what you want", in dem die Zeit der Revolte und der Studentenunruhen rund um den Erdball nochmal besungen wurde: 'I went down to the demonstration to get my fair share of abuse....'
Laut der Autobiografie der damaligen Jagger-Freundin Marianne Faithfull handelt dieser Song allerdings auch von deren Drogensucht. Und der Text lässt einen das auch glauben! Sogar ein Liebeslied schaffte es auf die Platte: "You got the silver", eine Hommage von Keith an seine Freundin Anita. Einer der wenigen Songs auf Stones-Platten, bei denen Keith selbst singt.
Herausragend auch das Robert Johnson-Cover "Love in Vain", bei dem die Stones allerdings (un-)verschämt den Autoren des Songs mit Payne (?) angeben.
Die Platte vermittelt die Stones auf herausragendem musikalischen Niveau.
Viele Instrumente (Piano, French Horn, akustische Gitarren) paaren sich mit
den Künsten von Ry Cooder an der Slidegitarre. Countryeinflüsse sind ebenso vorhanden wie harte Rocksongs. Alles, was die
Stones beherrschen wie kaum eine zweite Band, von den typischen Keith
Richards Riffs und seinen zwar sparsamen aber um so effektvolleren Soloparts (das was Keith Nicht gespielt hat war immer das faszinierende an seiner Gitarrenarbeit - als höre der Geist durch das Weglassen etwas das gar nicht da ist - am effektivsten auf der 69'er Single "Honky Tonk Women"),
bis zu den mit Überzeugung gesungenen Texten von Mick Jagger.
Die bewährte Arbeit von Wyman und Watts an Bass und Schlagzeug machen dieses Album zur absolut runden Sache.
Als Platte des Umbruchs kann man "Let it Bleed" sicher bezeichnen: innerhalb der Stones selbst, nämlich von Brian Jones (der im Juni 69 die Stones verlassen hatte bzw. "gegangen wurde" und im Juli des selben Jahres unter bis heute nie aufgeklärten Umständen in seinem Swimmingpool ertrank) zu Mick Taylor ebenso wie von einer Dekade in eine neue.
Nachtrag: Wie alle ABKCO-CDs (also alle vor "Sticky Fingers" und bei Decca erschienen) ist auch "Let it bleed" mittlerweile in einem schönen Digi-Pack mit SA-CD Technik erhältlich. Dieses überlegene Klangformat bietet bei entsprechendem Player eine geradezu atemberaubende Klangverbesserung, wobei selbst der normale Layer, der mit jedem CD-Player abgespielt werden kann schon viel besser klingt als das CD-Original
Spielzeit: 42:23, Medium: CD, 1969, Abkco Records
1: Gimme Shelter 2: Love in Vain 3: Country Honk 4: Live with me 5: Let it Bleed 6: Midnight Rambler 7: You got the Silver 8: Monkey Man 9: You can't always get what you want
Manni Hüther, 1.11.2004
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