Running Wild / Gates To Purgatory
Gates To Purgatory Spielzeit: 33:41
Medium: LP/CD
Label: Noise Records, 1984
Stil: Speed Metal


Review vom 02.04.2010


Marius Gindra
Jeder kennt das Gefühl, etwas erlebt zu haben, was sich ins Gehirn auf Lebzeiten hineinfrisst. Sei es der erste Kuss mit der ersten große Liebe, der erste Sex mit dem/der ersten Freund/in, das erste Auto, das erste Konzert, was weiß ich.
Aber absolut nichts hat zumindest mein (musikalisches) Leben so verändert wie Folgendes:
Wir schreiben Ende 2005/Anfang 2006, ein gerade 15 Jahre alter, pickeliger Teenager aus Mainz ist der übelste Punk Rock-Rebell, neigt aber im Gegensatz zu seinen Trink-Kumpanen nahezu ebenso stark zu handgemachtem, anspruchsvollem, klassischen Heavy Metal, den er bereits seit Jahren vom Vater eingeflößt bekommt. Die damals schon eher längeren Haare untermalen dies. Er hört den ganzen Tag, anstatt für die Schule, die ja eh scheiße ist, zu lernen, Bands wie Ramones, Motörhead, Sex Pistols, Slime, Judas Priest, Accept sowie The Exploited und hebt zur Musik dieser Interpreten recht gerne seine ersten größeren Mengen Bier, was hin und wieder zu ach so lustigen Erlebnissen führt.
Eines sonnigen Samstag Morgens beschließt er nach einer heftigen Party am Abend zuvor, zum Plattendealer des Vertrauens zu fahren, um dort ein wenig nach Tonträgern zu stöbern. Das CD- Regal ist schon immer gemeinsam für Punk Rock UND Heavy Metal bestimmt gewesen und nachdem man im Ramones-Fach keine noch nicht in der Sammlung befindliche CD findet, sucht man weiter. Kurz danach blickt dem Schreiber dieser Zeilen ein Cover entgegen, welches eine Fotografie eines jungen, langhaarigen Herren, ein riesiges Nietenarmband tragend, zeigt, der mit einem Schweißkolben Metall zersägt und dazu unzählige Funken versprüht.
Nun gut, Heavy Metal, welchen ich anhand des Covers sofort erahnte, mochte ich ja, den Namen "Running Wild" hatte ich irgendwo auch schon einige Male gehört, doch war mir diese Band eher unbekannt gewesen. Sehen wir einmal davon ab, dass mir beim Durchblättern des Booklets der Spitzname Rock'n'Rolf ein Déjà-vu bereitete. Der Preis für den Tonträger betrug eh nur 6 €, also nahm man das gute Stück neugierig mit. Zuhause angekommen, war ich danach selbstverständlich heiß wie Feuer drauf, dieses Teil endlich anzuschmeißen.
Gesagt, getan! Der erste Song "Victim Of States Power" begann. Ein hyper-schneller Riff, wie ich ihn in der Art zum damaligen Zeitpunkt höchstens von amerikanischen Hardcore Punk-Bands kannte, ertönte. Es folgte ein kurzer, schriller Schrei und auf einmal schepperte, knallte und peitschte alles nur noch in schwindelerregendem Tempo aus den heimischen Boxen. Meinen Ohren konnte ich kaum trauen!
Auf einmal war DAS da, nach dem ich lange gesucht hatte: Die musikalische Genialität meiner eher untergründig dagewesenen Heavy Metal-Vorliebe, gepaart mit der Aggression und Geschwindigkeit des geliebten (HC-) Punk Rocks. Es klang alles so rebellisch, räudig und doch irgendwie genialer und anspruchsvoller als der simple, meist auf wenige Akkorde reduzierte Punk. Alle musikalischen Vorlieben wurden zu einer brutalen, unchristlichen, sowie gesellschaftskritischen bzw. -verneinenden Kraft vereint. Die 'Fuck Off'-Attitüde des Punks war immer noch ein wenig da und doch war alles so METAL.
Nach den ersten 3 ½ Minuten des Albums ertönte der zweite Track namens "Black Demon". Hier konnte man sich ein wenig von der Überschall-Attacke des Openers ausruhen und dennoch inbrünstig mitbrüllen. Der Titel groovt trotz seines eher langsamen Tempos wie Hölle und beinhaltet in den Lyrics haufenweise satanische Inhalte. Einfach nur Kult, denn damals war das ganze Teufel-Gedöhns ja nur ein beliebtes Provokationsmittel gegen die 'Spießer' und kein ach so 'anti- kosmisches' Pseudo-'Hoch-IQ'-Gesabbel wie einige Jahre später in Norwegen geschehen.
Anschließend bekam man das dem Gitarristen gewidmete, gleichnamige "Preacher" zu hören, ebenfalls ein erneut recht langsamer Song. Allerdings hatte man auch hier nicht das nötige Gespür für packendes, faszinierendes Songwriting vergessen. Das vierte Lied der 'Acht Titel für die Ewigkeit': "Soldiers Of Hell", bei dem das Tempo von nun an wieder mächtig angehoben und dadurch die etwas schnellere, damals eher gewöhnliche Seite dieser Gottheit aufgezeigt wurde. Nach dreieinhalb Minuten, in deren Verlauf der Refrain relativ oft hinaus skandiert wird, weiß man auch, wer die 'Soldaten der Hölle' sind: "Dark warriors out of hell, mighty & evil ... with long black hair!.
"Diabolic Force" startet mit einem kurzen Interlude, die Instrumente klingen aus, aber nur, um danach in martialisch rasendem Tempo alles niederzumähen, was bei Drei nicht auf dem Baum ist. Eine fünf Minuten andauernde 'teuflische Kraft' eben, welche zwischen 1984 und 1986 gerne als Opener für ihre legendären Shows (siehe YouTube-Links) genommen wurde und ihrem Namen selbstverständlich alle Ehre erwies. Als sei dem nicht genug gewesen, trumpfen die vier, bereits 1976 als Schülerband gegründeten, Hamburger daraufhin mit dem allerschnellsten Song der gesamten Bandkarriere auf: "Adrian S.O.S.", eine Hommage an das gleichnamige Band-Maskottchen, welches bis an mein Lebensende den Rücken meiner Kutte zieren wird. Die Nummer brach in der recht kurzen Spielzeit von knapp drei Minuten sämtliche Geschwindigkeitsrekorde, die man bis zu diesem Zeitpunkt aufgestellt hatte. Das ist die Formel 1 des Heavy Metals, die absolute Königsklasse! Adrian ist und wird einfach der Sohn Satans bleiben!
Eher hymnisch als rasend schnell, geht das Album mit den letzten beiden Songs, von denen gerade letzterer alles toppt, zu Ende. Den Start macht "Genghis Khan", gespickt mit einer Gänsehaut-erregenden Harmonie, bei der man am Besten nicht nur den Text, sondern gleich die gesamte Melodie mitgröhlt. Als wäre diese eine Hymne nicht genug, folgt zum Schluss gleich darauf die absolute Hymne Running Wilds. Vergesst dabei "Under Jolly Roger" oder "Black Hand Inn" (auch wenn beide Songs natürlich immer noch göttlichst sind). "Prisoner Of Our Time" ist für mich mittlerweile einfach DER Running Wild-Song. Die fünf Grundtöne wurden angespielt und sofort bekam ich nahezu am gesamten Körper Gänsehaut. Nachdem man ein paar Mal diesen ersten Riff wiederholte, gings dann richtig los. Zwar nicht übermäßig schnell, aber fesselnd, heroisch und packend wie nichts, was je zuvor meine Lauscherlappen erreichte! An dem Lied stimmte einfach ALLES, seien es das Intro, der daraufhin folgende Riff, die Strophe, der bei vielen Fans überdurchschnittlich viel Adrenalin ausschüttende Refrain oder das knapp einmütige Solo-Duell zwischen Preacher und Rock'n'Rolf, wo man sich gegenseitig ordentlich hoch stachelte und sein Können bereits damals schon eindrucksvoll unter Beweis stellte. Mit dem Ende dieses Jahrtausend-Songs war nach einer Gesamtlänge von 33 ½ Minuten das mittlerweile in meinen Augen allerbeste Album zum ersten Mal durchgehört und ich dachte mir, nachdem das Realisierte erst einmal verarbeitet worde war: Ich bin ein Punker???? Never ever! I was totally metalized to the bone!!!!
Victim Of States PowerDieses Erlebnis wird dem 'Prisoner of his time' ein Leben lang im Gedächtnis bleiben und das daraus resultierende Ergebnis noch vielen weiteren modernen, alternativen, ach sooooo rebellischen, 'angerockten' und nicht vielleicht doch ein bisschen zu emotionalen Teenie-Kiddies die nächsten Jahrzehnte böse auf den Zeiger gehen. Denn dieses Album vermittelte mir als erstes bewusst was es heißt, im richtigen Metal Stolz bzw. Traditionsbewusstsein mit Rebellentum zu verbinden. Jetzt schreiben wir das Jahr 2010, seit Erscheinen dieser Langrille sind 26 Sommer und Winter ins Land gezogen (damit sogar sieben mehr, als meine Wenigkeit seit seiner Geburt erleben durfte) und das Stück weiß bis heute immer noch, den rebellischen Charakter des Speed fuckin'Metals eindrucksvoll wie kein anderes Referenzwerk zu vermitteln. Auf den CD-Versionen bekommt man meist die beiden Stücke "Walpurgis Night" und "Satan" der "Victim Of States Power"-EP, welche wenige Monate zuvor veröffentlicht wurde, als Bonus dazu.
Nun ja, zum weiteren Verlauf von Running Wild muss ich einem Metal-Fan wohl wenig erzählen. Dass sie bereits drei Jahre später auf dem Album "Under Jolly Roger" mit dem bekannten Piratenimage anfingen und dies zeitweilig kommerziell verdammt erfolgreich bis zum unrühmlichen Ende 2009 auf einem viel zu kommerziellen Festival in einem kleinen norddeutschen Dorf nahezu so weiter führten, dürfte ebenfalls nicht unbekannt sein.
Leider hielt jedoch die Band-Besetzung von "Gates To Purgatory" nur diese eine Platte, denn im Sommer 1985 stieg Preacher aus und als Nachfolger Majk Moti ein, der diesen Posten dann bis 1990 inne hatte.
Abschließend bleibt mir zu diesem Werk zu sagen: Running Wild haben nie etwas wirklich Schlechtes herausgebracht (auch wenn die letzten drei Scheiben arg durchschnittlich waren). "Death Or Glory", "Port Royal", "Pile Of Skulls", "Blazon Stone", "Black Hand Inn" und Konsorten waren IMMER die Speerspitze des deutschen Heavy Metals, doch konnte man nie einen ebenso zynischen Nachfolger wie das 84er-Debüt unters Volk bringen.
In diesem Sinne: Satanic Speed Metal never dies! It's time to raise the flag of Adrian, the son of Satan ... again!!!
Line-up:
Rolf 'Rock'n'Rolf' Kasparek (guitars, vocals)
Gerald 'Preacher ' Warnecke (guitars)
Stephan Boriss (bass)
Wolfgang 'Hasche' Hagemann (drums)
Tracklist
01:Victim Of States Power
02:Black Demon
03:Preacher
04:Soldiers Of Hell
05:Diabolic Force
06:Adrian S.O.S.
07:Genghis Khan
08:Prisoner Of Our Time

CD-Bonus Tracks:
09:Walpurgis Night
10:Satan
Externe Links: