Seit ihrer Gründung Anfang der Siebziger Jahre, entwickelte sich das aus Toronto stammende Trio Rush zum erfolgreichsten Rockexport Kanadas. Die drei Musiker können mittlerweile auf siebzehn Studioalben und fünf Livescheiben zurückblicken von denen seit dem vierten Werk "2112" von 1976 fast jede Veröffentlichung in ihrer kanadischen Heimat und den USA mit Platin ausgezeichnet wurde. Zu Recht, wie ich finde, denn kaum eine Band versteht es so perfekt, in ihren Songs technisch hochanspruchsvolle Arrangements mit super eingängigen Melodien und intelligenten, lyrischen Texten zu verbinden wie Rush.

Ebenso legendär wie die einzigartige Musik sind von jeher die aufwendig inszenierten Live Shows der Formation, die eigentlich nur noch von den Briten Pink Floyd überboten werden konnten. Leider blieb es fast nur den Fans jenseits des großen Teiches vorbehalten, in den Genuss eines Rush Konzertes zu kommen, denn in den drei Dekaden ihres Bestehens schaffte es das Trio lediglich ganze sieben Mal nach Europa überzusetzen. Ihren vorerst letzten Besuch absolvierten die Drei im Rahmen ihrer "Roll The Bones" Tour 1992, und danach zogen für die europäische Anhängerschaft zwölf unendlich lange Jahre ins Land, bis sie ihre Götter wieder livehaftig zu Gesicht bekommen sollten. Während dieser zwölf Jahre wurde die Geschichte der Band von einer Tragödie überschattet, die fast zu ihrem Ende geführt hätte. Innerhalb kürzester Zeit verlor Drummer Neil Peart Ehefrau und Tochter durch Krankheit bzw. Unfall. Über einen längeren Zeitraum war völlig unklar, ob Rush überhaupt weiter existieren würd, denn die Weiterarbeit mit einem neuen Schlagzeuger stand niemals zur Debatte.

Nach Jahren der Ungewissheit meldeten sich die Musiker überraschenderweise 2002 mit ihrem Album "Vapor Trails" in alter Stärke zurück und wurden sogleich auf dem Livesektor wieder aktiv. Im Laufe der Tour machte die Formation ihren ersten Abstecher nach Brasilien, was in Bild und Ton für die DVD und CD "Rush In Rio" verewigt wurde.

Nach der Veröffentlichung von "Rush In Rio" machten immer wieder Gerüchte die Runde, die Band würde endlich wieder nach Europa zurückkehren. Im Frühjahr 2004 folgte dann die Meldung, die einschlug wie eine Bombe: Rush kommen im Herbst im Rahmen ihrer "30 th Anniversary" Tour nach Europa, und sie spielten auch einige Konzerte in Deutschland. Anscheinend war den drei Herren eingefallen, dass sie ihre deutschen Fans doch etwas stiefmütterlich behandelt hatten.

Auf dieser Tournee bot die Band ihren ausgehungerten Anhängern einige unvergessliche Konzertabende, von denen ich einen in der Hamburger Sporthalle miterleben durfte. Ein paar Tage vor dem Gig in Hamburg ließ man eine Show in der Frankfurter Festhalle filmen, die jetzt unter anderem auf der gerade erschienenen Doppel-DVD "R 30" enthalten ist.

Der geneigte Zuschauer bekam hier erwartungsgemäß die absolute Vollbedienung geboten, denn es wurden weder Kosten noch Mühen gescheut, um die komplette Bühnenproduktion über den Atlantik zu schaffen. Die optischen Effekte, wie die beweglichen Lichttraversen, die imposante Lasershow und die dezent eingesetzten Pyros muss man schlicht als atemberaubend beschreiben. Genau so wie die dreiteilige Videoleinwand, auf der neben dem Intro-Film mit dem US Komiker Fred Stiller (bekannt aus den TV Serien 'Seinfeld' und 'King Of Queens') immer wieder das musikalische Geschehen durch stimmungsvolle Einspielungen optisch untermalt wurde.

Über jeden Zweifel erhaben war auch die Setlist, die während der Tour präsentiert wurde. Die Musiker bedachten so ziemlich jede Schaffensphase ihrer langen Karriere. So eröffneten Rush die Show z.B. mit einem "R 30 Overture" betitelten Instrumentalmedley, in dem selten gespielte Songs aus den Siebzigern wie "Finding My Way" , "Anthem" , "Bastille" oder "A Passage To Bangkog" zusammengefasst wurde, dem ein wahrhaft göttliches Best of-Programm folgte, das mit einer unglaublichen Spielfreude vorgetragen wurde.

Klassiker wie "The Spirit Of Radio", "Tom Sawyer", "Subdvisions" und "2112" wechselten sich mit Material neuerem Datums wie "Earthshine" vom aktuellen Album "Vapor Trails" ab. Zudem gab die Band noch vier Titel ihres kurz vor der Tour erschienenen Cover Albums "Feedback" zum Besten und zollte mit "The Seeker" von The Who ,"Summertime Blues" von Eddie Cochran, dem Blues Standard "Crossroads" in der Cream-Fassung und "Heart Full Of Soul" von den Yardbirds Tribut.
Letzterer gespielt in einer tollen Unplugged Session zusammen mit "Resist" , die neben Neil Pearts wahnsinns Drumsolo mit dem deutschen Titel "Der Trommler", bei dem er erneut unter Beweis stellte, dass er zu den größten Rockdrummern aller Zeiten zählt, zu den absoluten Höhepunkten des Konzerts gehörten.

Für meinen Geschmack hätten die Herrschaften ruhig ein paar Coversongs weglassen und dafür lieber eigene Nummern spielen sollen. Vor allem hätte man diese auf der DVD aussparen sollen, da das Konzert sowieso schon auf knappe 135 Minuten zusammengekürzt wurde. Auf der Tour spielten Rush jeden Abend gute drei Stunden und wenn ich die enthaltene Setlist mit meiner vom Konzert in Hamburg vergleiche, sind hier acht Songs der Schere zum Opfer gefallen.

Das ist aber auch der einzige Wermutstropfen dieses mehr als großartigen Konzertmitschnitts.

Für die zweite DVD haben die drei Kanadier ein wenig ihre Archive geplündert. Hier gibt es neben einigen interessanten Interviews, die zwischen 1979 und 2002 mit den Musikern geführt wurden, noch haufenweise rare alte TV-Auftritte der Band aus den Siebzigern zu sehen, die bisher noch kaum ein Europäer zu Gesicht bekommen haben dürfte, sowie Aufnahmen vom 'Toronto Rocks' von 2002 und 'Canada For Asia' aus dem Jahre 2005.

Mit "R 30" haben Rush eine wirklich rundum gelungene DVD veröffentlicht, die sich nicht nur jeder Fan in die Sammlung stellen sollte, der Zeuge dieser denkwürdigen Tour wurde.

Es bleibt nur zu hoffen, dass wir nicht wieder zwölf Jahre auf eine Rückkehr der Götter warten müssen.

Technik:
DVD 1: 16:9 Anomorphic
DVD 2: 4:3 Audio: PCM Stereo, 5.1 Surround