Jedes Wort, das du sagst, jeder Schritt, den du gehst - mit jeder deiner Handlungen hinterlässt du unauslöschlich Spuren in der Wirklichkeit. Diesen "Traces Of You" spürt Anoushka Shankar auf ihrem neuesten Album nach. Und natürlich findet man in diesem Opus auch viele Spuren, die ihr Vater, Lehrer und Guru Ravi Shankar im Leben der Sitar-Virtuosin hinterlassen hat. Wie kein anderer hat der indische Altmeister und Komponist dazu beigetragen, dass die klassische Musik seiner Heimat einem weltweiten Publikum bekannt wurde. Dabei war er nicht nur ein herausragender Interpret von Ragas, vielmehr suchte er immer wieder Berührungspunkte zur Musik anderer Kulturen. Ravi Shankar waren die hierzulande gerne beschworenen Grenzen zwischen E- und U-Musik völlig schnuppe. Unvergessen sind sowohl seine Kollaborationen mit Pop-Ikonen wie den Beatles als auch mit Avantgardegöttern wie Philipp Glass. Zudem war ihm die Förderung junger Talente lebenslang ein Anliegen. Noch zu seinem neunzigsten Geburtstag lancierte er ein Plattenlabel, mit dem er vor allem herausragende Nachwuchskünstler präsentieren wollte. Unter seiner Ägide hatte Tochter Anoushka bereits im zarten Alter von 13 Jahren ihren Durchbruch als Interpretin klassischer indischer Musik.
In der Folge spielte die junge Virtuosin regelmäßig im Ensemble ihres Vaters und trat auch als Solistin bei der Aufführung seiner Orchesterwerke in Erscheinung. Mit den Jahren reifte das Mädchen nicht nur zur Frau, sondern auch zu einer eigenständigen Künstlerpersönlichkeit heran.
Der Einfluss ihres Vaters blieb dabei stets deutlich, und doch entwickelte die Musikerin schließlich eine eigene, unverwechselbare Handschrift. Wie Ravi Shankar schöpft sie für ihre Werke tief aus den Quellen der stilistisch reichen indischen Klassik. Ebenso ist sie aber offen für Einflüsse aus anderen Kulturen und für Experimente, die Stile auch mal sprengen. Ihre CD "Traveller" war sogar für den Grammy nominiert. Hier versuchte sie sich an einer Fusion von Flamenco und Raga, was ihre internationale Reputation noch verstärkte.
"Traces Of You" geht in seiner Bandbreite der Stile noch weiter. Für "Indian Summer" arbeitete Anoushka Shankar mit dem österreichischen Komponisten und Hang-Drum-Virtuosen Manu Delago zusammen. Die Nummer ist ein musikalischer Par-force-Trip in Sachen instrumentaler Finesse und Feeling. Piano und Sitar werfen sich die Themen druckvoll und mit Tempo zu, als spielte man Tennis mit Melodien. Ein mitreißender Titel, der in weniger als fünf Minuten mehr Intensität und Aussagekraft aufweist als manche mehrsätzige Symphonie.
Für das besondere Gänsehaut-Erlebnis sorgen aber die drei Songs, die Anoushka Shankar gemeinsam mit ihrer Halbschwester Norah Jones verfasst und eingespielt hat. Den beiden höchst unterschiedlichen Persönlichkeiten gelang es, Emotionalität und Homogenität ihrer Stile so kongenial zu vereinen, dass diese Songs zu einem ausdrucksstarken Abschiedsgruß an den geliebten Vater geraten. Die Produktion von "Traces Of You" war bereits in vollem Gange, als Ravi Shankar verstarb. Er hinterließ eine empfindliche Lücke in der Musikwelt, die er mit großem harmonischen und stilistischen Reichtum beschenkt hatte. Welche extremen Gefühle bei seinen Angehörigen frei wurden, als man 'Lebewohl' sagen musste, mag man nur erahnen. Doch werden dank Anoushka Shankar und Norah Jones auch seine Spuren weiter erkennbar bleiben.
Allerdings wäre es auch ungerecht, Anoushka Shankar als bloße Nachlassverwalterin ihres Vaters zu betrachten. Sie stellt sich in seine musikalische Tradition, da besteht kein Zweifel, aber sie führt sie auch auf einem zeitgemäßen Level weiter. Großen Anteil daran hatte bei der Arbeit an "Traces Of You" auch Produzent und Multiinstrumentalist Nitin Sawhney. Er übersetzte die Inspirationen und Ideen der außergewöhnlichen Musikerin und Komponistin Stück für Stück in jeweils angemessene Klangsprachen. Ob die Sitar nun mit klassischer indischer Flöte und Percussion kommuniziert, über den Wassern des westlichen Jazz schwebt oder mit modernen Drumbeats kokettiert: Stets wirkt das Ergebnis aus der natürlichen Schönheit der jeweiligen Klänge heraus. Trotz der stilistischen Vielfalt zieht sich Anoushka Shankars Sitarspiel wie ein roter Faden durch das Werk. So spannt sich ein Bogen von ohrenschmeichelnden Popballaden, über Anklänge indischer Ragas bis zu fusionfreudiger Worldmusic. Es macht viel Freude, diesen musikalischen Spuren, Anoushka Shankars "Traces Of You", zu folgen. Und für diese Klänge kann es letztlich nur ein Prädikat geben: zeitlos.
Line-up:
Anoushka Shankar (sitar)
Ravichandra Kulur (flute)
Manu Delago (hang drum)
Tanmoy Bose (tables)
Pirashanna Thevarajah (percussion)
Nitin Sawhney (diverse instruments)
Norah Jones (vocals)
Tracklist |
01:The Sun Won't Set (3:35) [Anoushka Shankar, Norah Jones]
02:Flight (3:38) [Anoushka Shankar, Nitin Sawhney]
03:Indian Summer (4:54) [Anoushka Shankar, Manu Delago]
04:Maya (5:05) [Anoushka Shankar]
05:Lasya (4:39) [Anoushka Shankar, Nitin Sawhney (1964)]
06:Fathers (2:31) [Anoushka Shankar]
07:Metamorphosis (4:57) [Anoushka Shankar]
08:In Jyoti's Name (3:33) [Anoushka Shankar]
09:Monsoon (3:40) [Anoushka Shankar]
10:Traces Of You (3:46) [Anoushka Shankar, Norah Jones, Nitin Sawhney]
11:River Pulse (3:05) [Anoushka Shankar, Vishwa Mohan Bhatt]
12:Chasing Shadows (8:18) [Anoushka Shankar ]
13:Unsaid (4:29) [Anoushka Shankar, Norah Jones]
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Externe Links:
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