"Erwin, was machte denn den Sound von 'SUN' so revolutionär?"
"Hä, Erna, wieso SUN, wieso Sound, geht's hier nicht eher um Sonnenbrand und diverse Cremes, die davor schützen sollen?"
"Aber Erwin, du Dummerchen, 'SUN' ist doch das legendäre Plattenlabel, welches u.a. Elvis Presley entdeckt hat!
Im Frühjahr 1952 hatte es der damalige Radio DJ Sam Phillips aus Memphis riskiert, ein eigenes Plattenlabel zu gründen. Er war damals darüber hinaus schon einige Jahre als unabhängiger Produzent tätig gewesen und hatte den größten R&B-Hit von 1951 aufgenommen, Jackie Brenstons "Rocket 88", welcher dann allerdings auf 'Chess Records' in Chicago erschien.
Bemerkenswert ist übrigens, dass zu jener Zeit für vier Dollar jeder, der wollte, bei 'SUN' Privataufnahmen machen lassen konnte.
In diesem Zusammenhang erschien bereits 1953 ein gewisser Elvis Presley in den 'SUN'-Studios, um zwei Demos als Geburtstagsgeschenk für seine Mutter einzuspielen. "My Happiness" war die erste jemals eingespielte Elvis-Aufnahme. 1954 tauchte er wieder auf und nahm zunächst "I Love You Because", und dann das epochale "That's All Right, Mama" auf. Spätestens an dieser Stelle kamen die Dinge gewaltig ins Rollen, denn Sam Phillips erkannte das Potential von Elvis und die große Chance, schwarze Musik mit weißen Elementen durch einen Weißen massenkompatibel zu machen. Fortan brach das goldene Zeitalter des Rockabilly und Rock 'n' Rolls an, mit dem 'SUN'-Label an vorderster Front und Künstlern wie Jerry Lee Lewis, Roy Orbison, Johnny Cash, Carl Perkins usw. Ironischerweise kann ausgerechnet Elvis hier nicht genannt werden, denn bevor dieser den ganz großen kommerziellen Durchbruch schaffte, waren seine 'SUN'-Einspielungen bereits an den großen Major 'RCA' verscherbelt worden".
"Ja, Erna, ich bin nun wahnsinnig beeindruckt, aber wieso revolutionär?"
"Ganz einfach, Erwin, bis dato gab es schwarzen Blues, Rhythm 'n' Blues, Boogie Woogie, Gospel, Jazz und, quasi als Gegenwelt dazu, die weiße Country-, Hillbilly- und Schlagermusik.
In diesen aufregenden Tagen der musikalischen Umwälzungen verschmolzen schwarze Musiker, wie beispielsweise der extrovertierte Little Richard, die erstgenannten Musikstile zu einem fetzigen Amalgam, welches kurze Zeit später von einigen weißen Musikern aufgegriffen und letztlich Rock 'n' Roll genannt wurde. Darüber hinaus fusionierten weiße Musiker den gerade entstehenden Rock 'n' Roll mit der typisch weißen Country- und Hillbillymusik zu einer brodelnden Gemengelage, die tierisch in die Beine ging und geht: Der Rockabilly war geboren!
Und ich sage dir Erwin, du musst heute schon an die 30 Jahre zurückdenken, um letztmals eine musikalische Revolution von solcher Intensität finden zu können, nämlich den Punk!"
"Aber Erna, der war doch grauenhaft!"
"Ach, Erwin, das ist doch wieder typisch für dich. Du hast einfach keine Ahnung. Lass uns doch mal die allerneueste Scheibe von Brian Setzer auflegen, du wirst sehen, du tanzt sofort durch die ganze Bude! Und der Mann verkörpert exakt beide Phänomene. Er fing am absoluten Höhepunkt der Punkbewegung mit seiner Musik an, ließ sich ohne Ende tätowieren und gründete eine Rockabilly - Kapelle namens Stray Cats, mit der er den legendären Sound der Midfifties mit den rohen Klängen des Punk verband. Und jetzt huldigt er dem 'SUN'-Label, also seinen musikalischen Wurzeln, mit einem Tributealbum!
Keine Angst Erwin, da ist nicht mehr viel mit Punk. Auch der Brian Setzer wird nicht jünger."
Wo Erna recht hat, hat sie recht.
Brian Setzer, ehemaliger und immer mal wieder zwischendurch Kopf der streunenden Katzen, lässt auf seinem neuesten Werk zwar etwas vom alten, brodelnden Rock'n'Punkabilly vermissen, dafür erinnert er liebevoll und kenntnisreich an das legendäre 'SUN' Records-Label, indem er eine CD lang bekannte, weniger bekannte und vollkommen obskure Aufnahmen, die damals in Sam Phillips Studio entstanden, mit größtmöglicher Authentizität neu interpretiert.
Und aus Brian Setzers Linernotes zu seinem brandneuen Album "Rockabilly Riot!-Volume One-A Tribute To Sun Records" geht eindeutig hervor, wie viel Raum er speziell der Authentizität einräumt:
"... I played an old Gretsch duo-jet guitar through a tiny Supro amp, blew up about 4 echo units, and just hoped for the best … Of course only vintage and antique microphones were used …"
Darüber hinaus weist er darauf hin, dass auf jegliche digital generierte Echos verzichtet wurde, stattdessen wurde eine alte Wasserzisterne aus dem 19. Jahrhundert, die hinter dem Aufnahmestudio in Nashville Tennessee lokalisiert werden konnte, für die Echoeffekte benutzt.
Außerdem stellt er heraus, dass er die originalen Gitarrensolos der Songs vom Geiste her übernommen habe, um ihnen dann seine eigene Persönlichkeit einzuhauchen. Dazu passt dann auch, dass er mit dem Bassisten Mark Winchester, Pianist Kevin McKendree und Drummer Bernie Dresel Musiker am Start hat, die genauso wie er selbst in der Lage sind, den Rhythmusteppich mit größtmöglicher Authentizität im Geiste zu knüpfen. Selbstverständlich wurde auch hier möglichst Originalequipment verwendet, oder dem zumindest nachempfunden.
So hören wir dann auch als Resultat eine Platte, die, verglichen mit 'SUN'-Originalaufnahmen verblüffend danach klingt, tatsächlich irgendwo zwischen 1954 und 1958 aufgenommen worden zu sein. Und zwar sowohl vom Sound, als auch von den musikalischen Interpretationen her.
Da stellt sich mir doch unvermittelt die Frage:
Wer zum Teufel braucht das?
Warum dann nicht gleich die Originalversionen hören?
Die Antwort gibt Brian Setzer in seinen Linernotes gleich mit:
"... I've played this music for classical musicians down to teenagers who have only heard the pop they are being spoon fed on the radio, and they have all come back with the same reply… Damn! This is great music … why have I never heard this kind of music before? These are the people I am trying to reach. I WANT THEM TO HEAR THIS GREAT MUSIC!"
Okay, warum nicht, könnte ja eventuell klappen, obwohl ich das in Zeiten des Formatradios und Klingeltonmusikfernsehens etwas bezweifeln möchte.
Aber ich kann in diesem Zusammenhang nur hoffen, dass der CD bei ihrer Veröffentlichung am 11.07.2005 ein umfangreicheres Booklet beiliegt, als dies bei meinem Promoexemplar der Fall ist, wo außer den bereits erwähnten Linernotes von Brian Setzer und der Auflistung der enthaltenen Songtitel nichts weiter enthalten ist.
Keine Autorenangaben, keine Hinweise darauf, wer für die Originalaufnahmen damals verantwortlich zeichnete. Ohne diese Informationen wird aber das hehre Vorhaben des Rockabilly-Enthusiasten Brian Setzer zur Makulatur!
Daher gibt es an dieser Stelle das Inhaltsverzeichnis dieses Albums, welches für jeden Teddyboy und jede Pferdeschwanz-Petticoat-Trägerin ein herzerwärmendes "Must-Have" darstellt (alle anderen sind natürlich zum Testhören auch ganz herzlich eingeladen, es lohnt sich, schon alleine wegen des Hüftschwungs, der bereits dem guten Erwin einen anerkennenden Pfiff seiner Erna eingebracht hat!):
Anmerkung: Die Namen in Fettschrift sind, wenn nicht anders angegeben, die Künstler, die den Titel unter 'SUN' erstmals veröffentlichten.
1. |
Red Hot (Emerson) |
|
Billy "the Kid" Emerson |
|
1955 |
2. |
Slow Down (Larry Williams) |
|
Jack Earls |
|
1956 |
3. |
Real Wild Child (O'Keefe-Greenham-Owens) |
|
Jerry Lee Lewis |
|
1957 |
4. |
Rockhouse (Sam Phillips-Harold Jenkins) |
|
Roy Orbison |
|
1956 |
5. |
Put Your Cat Clothes On (Carl Perkins)
[Im Original mit Jerry Lee Lewis am Piano!] |
|
Carl Perkins |
|
1957 |
6. |
Lonely Weekends (Charlie Rich) |
|
Charlie Rich |
|
1960 |
7. |
Get It Off Your Mind (Kenneth Parchman)
[Sun unissued!] |
|
Kenny Parchman |
|
1957 |
8. |
Just Because (B. Shelton, J. Shelton, S. Robin)
[Elvis hat 1954 mehrere Outtakes (slow version,
fast version) dieses Songs bei SUN Records eingespielt, die Tapes sind aber verlorengegangen
und somit nie veröffentlicht worden!] |
|
Elvis Presley |
|
RCA 1957 |
9. |
Glad All Over (Schroeder-Tepper-Bennett) |
|
Carl Perkins |
|
1958 |
10. |
Flatfoot Sam (Wills - Lewis) |
|
Tommy Blake |
|
1957 |
11. |
Rock'n Roll Ruby (Johnny Cash) |
|
Warren Smith |
|
1956 |
12. |
Blue Suede Shoes (Carl Perkins) |
|
Carl Perkins |
|
1955 |
13. |
Tennessee Zip (Kenneth Parchman) |
|
Kenny Parchman |
|
1956 |
14. |
Mona Lisa (Livingston/Evans)
[Originalinterpret Nat King Cole 1950] |
|
Carl Mann |
|
1959 |
15. |
Peroxide Blonde In A Hopped Up Model Ford (Gene Simmons)
[SUN unissued! Dieser Song existierte bisher nur in Fragmenten!] |
|
Gene Simmons |
|
|
16. |
Get Rhythm (Johnny Cash)
[Die B-Seite war "I Walk The Line"!] |
|
Johnny Cash |
|
1956 |
17. |
Stairway To Nowhere |
|
Ernie Barton |
|
1958 |
18. |
Boppin' The Blues (C. Perkins-H. Griffin) |
|
Carl Perkins |
|
1956 |
19. |
Rakin' And Scrapin' (Dean Beard, Ray Doggett, Slim Willet)
[SUN unissued!] |
|
Dean Beard |
|
1956 |
20. |
Sweet Woman |
|
Edwin Bruce |
|
1957 |
21. |
Flyin' Saucer Rock And Roll (Scott) |
|
Bill Lee Riley |
|
1957 |
22. |
Lonely Wolf |
|
Ray Harris |
|
1956/57 |
23. |
Red Cadillac And A Black Moustache (L. May/W.B. Thompson)
[SUN unissued!] |
|
Warren Smith |
|
1957 |
Abschließend bleibt noch festzuhalten, dass diverse Ehrengäste dieser Tributeplatte einen zusätzlichen Schuss Authentizität verleihen.
So veredelt die Original-Elvis-Vocal-Backing-Group The JORDANAIRES sowohl "Lonely Weekends", als auch das countryfizierte "Stairway To Nowhere", und niemand Geringeres als der Originalinterpret und Autor vom bis dato nur fragmenthaft existierenden "Peroxide Blonde In A Hopped Up Model Ford", nämlich der inzwischen knapp über 70 jährige Gene Simmons, steuert bei der erstmaligen Vollendung seines Songs die Backgroundvocals bei.
Brian Setzer offenbart deutlich, dass Carl Perkins einer seiner größten Einflüsse sein muss, den er freilich in Sachen Virtuosität längst in den Schatten stellt.
Gerade bei den schnellen Rockabilly-Stücken spielt Setzer seine Stärken aus, kraftvolle, angeraute Vocals und wunderbar auf den Punkt gebrachte Gitarrenläufe, die Tradition bewahren, ohne dabei altbacken zu klingen.
"Mensch Erna, das ist ja wirklich eine dufte Scheibe! Die erinnert mich total an meine Jugend. Ich fühle mich doch glatt um Jahre jünger!"
Spielzeit: 59:55, Medium: CD, Surfdog Records, 2005
1:Red Hot 2:Slow Down 3:Real Wild Child 4:Rockhouse 5:Put Your Cat Clothes On 6:Lonely Weekends 7:Get It Off Your Mind 8:Just Because 9:Glad All Over 10:Flatfoot Sam 11:Rock'n Roll Ruby 12:Blue Suede Shoes 13:Tennessee Zip 14:Mona Lisa 15:Peroxide Blonde In A Hopped Up Model Ford 16:Get Rhythm 17:Stairway To Nowhere 18:Boppin' The Blues 19:Rakin' And Scrapin' 20:Sweet Woman 21:Flyin' Saucer Rock And Roll 22:Lonely Wolf 23:Red Cadillac And Black Moustache
Olaf "Olli" Oetken, 06.07.2005
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