Über 30 Jahre lag dieses Dokument im privaten Archiv des Geschichtenerzählers Springsteen. Er schreibt im Booklet, dass er nach dieser langen Zeit Interesse verspürte, Ton- und Filmmaterial aus seinen frühen Tagen zu sichten und dabei diese Show zutage förderte. Das komplette Konzert wurde gefilmt und auf 24-Spur Band mitgeschnitten. Die DVD dieses Konzerts war Bestandteil der "30th Anniversary Edition" von "Born To Run", nun wurde der reine Soundtrack nachgeschoben.
Nach einigen Jahren in verschiedenen Bands wurde Springsteen 1973 als Solokünstler unter Vertrag genommen und die Plattenfirma erhoffe sich einen neuen Bob Dylan. Er ordnete sich allerdings nicht unter und zog stattdessen sein eigenes Ding durch. Seine erste Platte "Greetings From Asbury Park" verkaufte sich eher schleppend, nach 10 Monaten erschien dann "The Wild, The Innocent & The E Street Shuffle". Der 'Rolling Stone'-Redakteur Jon Landau wohnte einem Konzert bei und verbreitete anschliessend im Standardmagazin des Rock die gewagte Aussage: »Ich habe die Zukunft des Rock'n'Roll gesehen und sie heißt Bruce Springsteen«. Starker Tobak, auch für damalige Verhältnisse!
Landau übernahm dann das Management des jungen Musikers und das sollte sich bis heute für alle Beteiligten auszahlen. Aus dem 'Kid from New Jersey' wurde ein absoluter Superstar mit unvorstellbaren Verkaufszahlen. Man kann zu Bruce Springsteen stehen wie man will, er hat der Welt neben einigen Durchhängern auch eine Menge hochkarätiges Material beschert, vor allem seine folkigen Soloarbeiten konnten immer überzeugen.
Mit seiner 'E Street Band' hat er 1978 mit "Darkness On The Edge Of Town" eine Platte veröffentlicht, die ich auch heute noch sehr schätze. In den 80ern hab ich mich dann immer weniger für ihn interessiert, zusammen mit seiner Band war mir persönlich die Musik zu stark in den zeitgeistigen Mainstream abgedriftet... seine Soloplatten hingegen waren eine andere, sehr interessante Sache.
Ich bin sicher als Amerika-freundlich einzustufen (was nichts mit Politik zu tun hat, es ist viel einfacher und natürlicher: Ich liebe das Land, das Lebensgefühl und hab einige sehr verlässliche Freunde dort), aber bei vielen in der alten Welt stieß seine patriotische Ader ("Born In The USA") und seine Themen, die sich eben sehr spezifisch um die Probleme der Jugend in Amerika in deren gesellschaftlichem Umfeld drehten, auf - sagen wir mal vorsichtig - Unverständnis. Ob dahinter oft nicht ein latenter, unterschwelliger Anti-Amerikanismus stand bzw. steht, muss sich jeder selbst fragen. Zum gerechten Ausgleich gibt es in Europa aber auch mindest eben so viele Fans!
Und eins ist Bruce immer gelieben: Ein ehrlicher Arbeiter, dessen Konzerte lange, sehr lange dauern. Er hat sich bewahrt, nicht den abgedrehten Superstar zu geben und nach einer Stunde von der Bühne zu verschwinden. Das muss man einfach anerkennen. Als Songwriter war er immer eine Bank; seine Songs wurden von vielen Kollegen dann auch gerne zur eigenen Bearbeitung aufgegriffen.
Manfred Mann hat z.B. mit seiner Earthband gleich mehrere Cover eingespielt, die die Songs von Springsteen vor allem in Europa bekannt machten, so "Blinded By The Light", "For You" und einige andere. Die endgültige Version von "Because The Night" stammt von Patti Smith (auf ihrem Album "Easter") von 1978, dem können sicherlich viele zustimmen.
Das Konzert auf dieser Doppel-CD, das 1975 direkt nach dem Erscheinen der "Born To Run" LP im Rock-Kulttempel Hammersmith Odeon in London aufgezeichnet wurde, zeigt plötzlich nach so unendlich lang erscheinender Zeit, was für eine hervorragende Band Bruce Springsteen schon so früh um sich geschart hatte und lässt einen fast verstehen, was Jon Landau zu seinem Statement im Vorjahr trieb. Es war das erste Konzert, das Bruce Springsteen mit seinen Musikern in Europa gab, und die Erwartungshaltung war auf beiden Seiten entsprechend hoch.
Vor allem aber zeigt diese Platte, dass seine Musik ursprünglicher, grobschlächtiger, mit deutlich mehr Power und paradoxerweise mit mehr Spielwitz vorgetragen wurde, als man das vom 3er Live CD-Set aus den 80ern kennt. Hier war noch nicht alles wie im Schlaf einstudiert, obwohl die Selbstsicherheit der Musiker an ihren Instrumenten keinen Deut geringer ist. Man hört an jeder Stelle den Spass, den die Band an diesem Abend hatte, nicht die abgeklärte Arbeit, die dahinter steckt und das macht einen gewaltigen Unterschied.
Springsteen beschreibt im Booklet ein London, in dem die englische Metropole bei seinem Eintreffen noch kein einziges McDonald's vorweisen konnte (heutzutage eine unglaubliche Tatsache) und wie ehrfürchtig er vor diesem Ort war, aus dem so viele seiner musikalischen Helden stammten. Er bedankt sich mit einer Menge Humor auf der Bühne. Das Publikum geht voll mit, ist begeistert und nichts davon scheint im Studio hineingeschnitten zu sein, dazu sind Sound und Audience zu eng verflochten.
Bruce Springsteen mit Kopfsocke und Vollbart auf den Bildern im Beiheft... ein ungewöhnlicher Anblick, aber er war ja auch erst 25 Jahre alt. Sein zeitweiliger 'Sprechgesang' in den ruhigen Phasen der langen Songs kommt in der Liveatmosphäre wesentlich besser als man dies von den dagegen ziemlich sterilen Studioproduktionen kennt. Neidlos muss man ehrlicherweise anerkennen: Das war ein wirklich großes Konzert, das ist nichts weniger als in Töne umgesetzter Kult-Stoff!
Viele der Songs sind gespickt mit Zitaten aus Rock'n'Roll ("Devil With The Blue Dress On", "Jenny Take A Ride" und "Good Golly Miss Molly") und einer gehörigen Portion Soul ("Theme from Shaft" von Isaac Hayes, "Having A Party" von Sam Cooke). Auch Van Morrison wurde eine Referenz erwiesen, sein "Moondance" leuchtet hell wie eine Supernova aus dem Klanggeschehen heraus. Das alles hat schon fast den Charakter einer Rock-Revue.
Die Band spielt atemberaubend tight, Springsteen (hier noch nicht 'The Boss') und sein Co-Gitarrist Steven Van Zandt (Little Steven, der im Booklet seltsamerweise 'Stevie' genannt wird...) dreschen in manchen Phasen fast rauschhaft über die Saiten, in anderen Momenten liefern sie sich tolle Duelle, vor allem im über 17-minütigen "Kitty's Back". Wenn es aber einen wirklichen Star dieses Abends gab, gebührt ohne Zweifel Clarence Clemons am Saxophon die Krone. Was der hier an musikalischer Leistung bringt, ist fast mehr als verblüffend: Fordernd, die Band antreibend, sie wieder in einer Ecke abholend... jederzeit mit zielsicherer, geschmackvoller, genauer und nicht minder gefühlvoller Intonation. Da kann man nur den Hut ziehen. Ein Vollblut-Musiker wie er im Buch steht!
Im Nachhinein betrachtet: Unter den Anwesenden des Konzerts (oder zumindest im Besitz der schon immer erhältlichen Bootleg-Fetzen davon) waren sicher auch eine Menge Musiker, die daraus dann für sich selbst ihren eigenen 'New Wave' entwickelt haben. Ein Graham Parker und seine unmittelbare Konkurrenz haben sich doch sehr stark an diese Art Musik angelehnt, ohne je auch nur in die Nähe der Klasse dessen zu kommen, die man hier von Bruce Springsteen & The E Street Band zu hören bekommt!
Als wäre dies alles nicht schon zu schön, um wahr zu sein, muss man auch vom Klang sprechen. Es bleibt einem regelrecht die Spucke weg, was diese CD an Sound bietet. Wenn man es nicht besser wüßte, würde man bereit sein, seine Plattensammlung oder auch Omas Häuschen zu wetten, dass diese Aufnahme im neuen Jahrtausend aufgenommen wurde. Dieser natürliche, druckvolle und durchsichtig packende Klang führt exemplarisch vor, was alte 24-Spur Tapes in Händen von gleich zwei Meistern ihres Fachs zu bieten haben. Der Remix von Bob Clearmountain gepaart mit dem Mastering von Bob Ludwig ist nichts weniger als die hohe Schule des guten (was für eine Untertreibung!) Klangs. HiFi-Freaks - so es denn noch welche gibt in der Welt der datenreduzierten iPods und Konsorten -, hier wird euch warm ums Herz! So und nicht anders muss ein Livekonzert klingen.
Ich kann diese Doppel-CD nur jedem empfehlen, der ganz einfach an guter Rockmusik aus jener Zeit interessiert und auch bereit ist, seine eventuell vorhandenen Scheuklappen bezüglich Bruce Springsteen abzulegen. Viele werden eine freudige Überraschung erleben. Im Zweifelsfall kann man ja auch erst mal in die an vielen Stellen erhältlichen Sounds-Bites im Internet reinhören, die aber nicht das Klangerlebnis auch nur annähernd rüberbringen.
Die bekannten 'Ich bin doch nicht blöd'-Märkte haben diese Doppel-CD zeitweise für weniger als 7 € im Angebot, für einen solchen Preis kann man diese anspruchsvolle 'Gute Laune' Rockplatte sogar blind kaufen, obwohl sie objektiv betrachtet auch den doppelten Preis wert ist. Und das sage ich als ein Zeitgenosse, der den Musiker Springsteen zwar immer respektiert hat, aber dennoch nie ins Jubeln verfallen ist. Aber die Wahrheit bleibt nun mal die Wahrheit und genau die hab ich beschrieben. Fans müssen dieses Werk sowieso haben.
Line-up:
Bruce Springsteen (vocals, guitar)
Roy Bittan (piano, vocals)
Clarence Clemons (saxophone, percussion)
Danny Federici (keyboards)
Garry Tallent (bass)
Stevie [sic!] Van Zandt (guitar, vocals)
Max Weinberg (drums)
Tracklist |
Disc 1:
01:Thunder Road (5:51)
02:Tenth Avenue Freeze-Out (3:50)
03:Spirits In The Night (7:36)
04:Lost In The Flood (6:16)
05:She's The One (5:23)
06:Born To Run (4:16)
07:The E Street Shuffle (12:52)
08:It's Hard To Be A Saint In The City (5:28)
09:Backstreets (7:23)
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Disc 2:
01:Kitty's Back (17:15)
02:Jungleland (9:36)
03:Rosalita [Come Out Tonight] (9:51)
04:4th Of July, Asbury Park [Sandy] (7:04)
05:Detroit Medley (7:02)
06:For You (8:26)
07:Quarter To Three (6:45)
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Externe Links:
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