Dusty Springfield
Live At The Royal Albert Hall
Live At The Royal Albert Hall
O Dusty!
Warum um alles in der Welt muss man einer großen Künstlerin so eine DVD hinterherwerfen?
Warum kann man sie uns nicht so in Erinnerung lassen, wie wir sie in den 60er Jahren mochten?
Als eine der seinerzeit besten weißen Sängerinnen der Popbranche? Die in einer Kategorie mit den besten schwarzen Soulgrößen stand und neben dem Soul auch einen dermaßen betörenden Schmelz in der Stimme hatte?
Bei der selbst beinharte Rockmacker nicht fluchtartig die Kneipe verließen, wenn eine versehentlich an die Musicbox gelassene Tussi ihre Songs drückte?
Deren "Son Of A Preacher Man" heute ein absoluter R&B-Klassiker ist?
Vielleicht, weil es nicht nur Rockfans auf der Welt gibt, sondern auch Leute, die Musik und Künstler ganz anders interpretieren als wir?
1979 war Dusty Springfield international nicht mehr gefragt und hatte im ganzen Jahrzehnt noch keine einzige gute Platte aufgenommen, nur Flops. Die Lady, die sich oft gar nicht ladylike benahm und mit schweren Alkohol- und anderen Drogenproblemen kämpfte, hatte jedoch vor allem in ihrem Heimatland eine treue Fanschar. Eine ganz besondere. Dusty galt als bisexuell und wurde von der gleichgeschlechtlichen Szene als Ikone verehrt. Das muss man wissen, dann sieht man diesen Auftritt auch mit ganz anderen Augen.
Als Auftakt des Films wird ausführlich gezeigt, wie Prinzessin Margret mit Gefolge im Foyer von Kindern mit Blumen empfangen wird und dann unter "God Save The Queen" in ihrer Loge Platz nimmt. Ich frag mich - war das ein königlicher PR-Auftritt zugunsten des angestrebten Comebacks der Pichel-Schwester? Ein Showmaster kündigt die Sängerin groß an, die dann auch in ihrem extravaganten Bühnenkostüm unter Paukengrollen und Huhu-Chor heranrauscht und IHM die Hand küsst! Hat Frau 'Staubiges Frühlingsfeld' wohl etwa Schräglage bei diesem Auftritt? Und die Stimme? Man würde sie blind erkennen, kein Zweifel, zu einzigartig. Aber wie klingt sie bei der nun Vierzigjährigen?
Zunächst flach und auch leicht kurzatmig. Nach dem noch etwas verhaltenen "I Close My Eyes" macht Dusty auf Disco ("We Are Familiy") und kommt dann richtig in Form. Was an Knickschen hier, tiefe Verbeugung mit Bodensicht da, Küsschen ins Publikum, Armgeflatter, Augengeklimper auf den unbedarften Zuseher als affektiertes Gehabe wirkt, ist eine sehr intensive, offene Interaktion mit ihrem Schwulen/Lesbenpublikum. Und das 1979, und vor den Augen der Royals! Vielleicht die Antwort darauf, warum der Auftritt erst ein Vierteljahrhundert später veröffentlicht wurde.
Die ganze Show ist Las Vegas-mäßig mit Dreier-Backgroundchor und Bigband-Begleitung aufgedonnert. Dusty aalt sich in diesem Ambiente und intoniert immer besser. Keine Frage, sie ist fit und keineswegs angesäuselt. Bei den schnelleren Nummern kommt ihre Stimme allerdings nicht besonders zum Tragen. Aber die langsameren, bei denen verzaubert die Schöne nicht nur die Gays! Endlich "Preacher Man", das ist klasse, obwohl der Song nicht mehr ganz ihrem Anspruch zu entsprechen scheint. Das Programm ist kein 'Best Of' ihrer Charthits, sondern ganz auf ihr spezielles Publikum zugeschnitten. Klassisches Entertainment, eine Diva, die gut in Szene gesetzt ist und sich feiern lässt. Die königliche Halle liegt ihr zu Füßen. Die Koketterie mit den Fans bringt sie dann beinahe in ernsthafte Schwierigkeiten, als sie beim Händeschütteln fast von der Bühne gezogen und abgeknutscht wird. Die Hilfe vom Sicherheitspersonal kommt reichlich spät, was Frau Springfield jedoch nicht aus der Fassung bringt. Ganz offensichtlich liebt sie auch diese handgreifliche Verehrung, die beim Konzertende immer wieder Fans auf die Bühne treibt.
Bild- und tontechnisch ist die DVD in Ordnung. Konservative Kameraführung mit gekonnten Umschnitten, die Künstlerin wird vorwiegend im Spotlight bestens in Szene gesetzt. Auf meinem Equipment dominiert der Bandsound jedoch etwas zu sehr, auf einige Schwächen wird auch im Booklet hingewiesen. Neben dem Konzertmitschnitt gibt es noch eine Dreiviertelstunde Interviews mit ihrer damaligen Managerin, ihrer Sekretärin, einem Backgrundsänger (der die Sache mit 'ihrem' Auditorium erklärt) und einer Freundin, die das Wesen der Diva reflektieren. Dazu kann man zwischen den verschiedenen Soundformaten umschalten.
Dusty Springfield war zweifelsohne eine extravagante Künstlerin mit einer großen Stimme. In dieser Show präsentiert sie sich als Entertainerin, die jedoch nicht mehr die begeisternde Soulsängerin früherer Jahre ist. Für die absoluten Dusty- und Entertainmentfans sowie Memorabilia -Liebhaber sicher ein 'Muss', für musikliebende Schwule- und Lesben wahrscheinlich die schönste Erinnerung an ihr Idol. Selbst ältere Rockfans mit Hang zu Nostalgie sollten sich das aber nicht antun, sondern die 1999 Verstorbene besser aus 'unserer' Glanzzeit in Erinnerung behalten. Auch für die 'Spätgeborenen', die die Sängerin erst bei ihrem 1987er Comeback mit den Pet Shop Boys kennen lernten, wird die DVD wohl eine Enttäuschung sein.
Technik:
DTS, Dolby 5.1, Dolby Digital Stereo
Bildformat 4:3
Sprache: englisch (keine Untertitel)
kein Ländercode, freigegeben ohne Altersbeschränkung


Spielzeit: 99:00, Medium: DVD, Eagle Records, 2005
1:I Close My Eyes And Count To Ten 2:Medley: We Are Family/You Can Do It/On Your Knees 3:Lose Again 4: All I See Is You 5:This Will Be 6:Medley: Going back/I Only Want To Be With You/ Stay A While/Just A Little Loving/Some Of Your Loving/The Look Of Love/Wishin' And Hopin'/I just Don't Know What To Do With Myself/I'm Losing You 7:Son Of A Preacher Man 8:You Don't Have To Say You Love Me 9:Quiet Please (There's A Lady On The Stage) 10:Put Your Hands Together
Norbert Neugebauer, 27.12.2005