Esperanza Spalding / Radio Music Society
Radio Music Society Spielzeit: 58:02
Medium: CD
Label: Universal Music, 2012
Stil: Fusion

Review vom 23.03.2012


Wolfgang Giese
Esperanza Spalding, die Dame mit dem Bass, wurde am 18. Oktober 1984 in Portland/Oregon, geboren. Bereits im zarten Alter von fünf Jahren brachte sie sich das Geigenspiel bei und spielte in Oregon schon bald in der Chamber Music Society. Eigenen Angaben zufolge soll der Cellist Yo-Yo Ma Anlass für dieses Interesse gewesen sein. Weitere Instrumente, die die junge Dame damals spielte, waren Oboe und Klarinette, bevor sie sich an der High School dann dem Bass zuwandte. Als Teenager trat sie in Clubs in Portland auf. Nach einigen Tiefschlägen soll es Pat Metheny gewesen sein, der sie ermutigte, weiterzumachen. Das resultierte letztlich in dem Debütalbum "Junjo", erschienen im Jahr 2006.
Als wichtigste musikalische Einflüsse auf dem Bass nennt Esperanza die beiden Jazzbassisten Ron Carter und Dave Holland. Außerhalb dieses Instruments fiel dann noch der Name Wayne Shorter, von dem sie auf diesem Album, "Radio Music Society" betitelt, auch einen Titel interpretiert. Bis auf eine weitere Fremdkomposition sind alle restlichen Titel selbst geschrieben.
Der erste Song bietet sehr viel auf kleinem Raum. Ehrlich gesagt, halte ich das Arrangement in seiner Fülle etwas überladen, sodass es schwer fällt, sich auf etwas Wesentliches zu konzentrieren. Hinter dem Gesang, der mit viel Chor ausgestattet ist, geschieht laufend etwas, immer weitere Instrumente, Bläsersätze, kurze Pianosprenkel, die nach etwa fünf Minuten mit einem Solo dann für etwas 'Ordnung' sorgen... Mir persönlich ist das zu viel des Guten, denn gut ist es sicher, was hier musikalisch geboten wird, keine Frage.
Etwas geordneter erscheint dann der zweite Titel. Hier sorgt die E-Gitarre für einige interessante Aspekte, die Streicher werden dezent eingesetzt und begleiten eher, als das sie sich 'selbständig' machen. Das atmet ein gewisses Feeling eines 'R'n'B-Stücks, das durchaus in Richtung Mainstream oder, was in diesem Falle wohl die Absicht war, in Richtung Radioausstrahlung schielen kann. Das schwer schleppende Schlagzeug hält den Song am Boden und mich begeistern hier die eingesetzten Bläser- und Streichersätze. Gelegentlich erinnern mich die Arrangements der Bläser dann tatsächlich an eine Zeit, als solche Töne auch in den Charts zu finden waren, nämlich in Gestalt der Band Chicago, besonders auffällig bei "Crowned & Kissed". Bei diesem Titel fällt mir allerdings auch das auf, was mich bei dem einen oder anderen Song stört: Das ist dieser etwas gehetzt und unruhig wirkende, vorwärts treibende Gesang. Das lenkt mich oft völlig vom perfekt gestylten Hintergrund ab. Dann hätte ich die Titel doch lieber rein instrumental.
Oder so, wie es auf "Land Of The Free" in diesen knapp zwei Minuten besser funktioniert: gepflegt harmonischer Gesang mit Gefühl über dem Sound einer Hammondorgel. "Black Gold", auch wieder mit Orgeleinsatz, groovt sehr schön und erfüllt den von der Künstlerin nach eigenen Angaben gewünschten Ansatz, die Musik von Jazzern auch Pop-Hörern näher zu bringen. Lionel Loueke trägt dazu ein gefühlvolles Gitarrensolo bei. Auf dem Titel von Stevie Wonder kann sich der Spitzen-Saxer Joe Lovana dem Pop-Publikum dann einmal vorstellen. Dieser Song ist aus meiner Sicht gut gelungen und der leicht zurückgenommene Gesang offenbart eine gewisse Coolness im Ausdruck, die sich angenehm an das griffige Arrangement anschmiegt.
Big Band-Format atmet der siebte Titel ein wenig und Esperanza vermag auch hier, gesanglich positive Akzente zu setzen, indem sie mit ihrer Stimme spielt und bluesige Elemente hineinsetzt - dazu dieses wirklich imposante Arrangement mit reichlich Bläsern. Es trommelt der Profi Billy Hart, ein sehr jazziger Titel, der mich sofort angenehm anspringt. Aber auch der absolute Spitzen-Drummer Jack DeJohnette darf sich drei Mal vorstellen. Der leicht bluesig angehauchte Titel "Vague Suspicions", getragen von geschmeidigem akustischen Bass, Flöten und hintergründig agierender Gitarre, dazu die feinen Arrangements für die Bläser, lässt ihn die Felle eher streicheln, aber auch das will gekonnt sein. Beim funkenden Track zehn und dem mit federndem Rhythmus ausgestatteten Abschlusstitel darf er dann schon eher sein Können zeigen. Interessant auch der Gitarrist, dessen Name ich vorher noch nicht hörte - Gilad Hekselman - der sich eine ganze Stange von
Allan Holdsworth abgeschaut zu haben scheint. Das Solo ist gut eingefügt und wertet den Song durchaus auf.
Dazwischen noch etwas exotische Klänge auf "Endangered Species", die Bestandteil eines groovenden Ganzen sind, sowie die Ode an die Heimatstadt Portland, "City Of Roses", das leider wieder diesen gehetzt wirkenden Gesang aufweist.
Fazit ist für mich eine Platte mit hervorragenden Kompositionen und Arrangements, die für mich nicht immer perfekt umgesetzt wurden. Dabei ist es an erster Stelle der Gesangsvortrag, der mich bei einigen Titeln nicht erfreuen kann, sondern für mich persönlich Störungen in der Harmonie bedeutet.
Zum Anliegen dieser Platte hier noch Ausführungen der Künstlerin selbst: »Jeder weiß, wie das ist, wenn man im Auto das Radio einschaltet und gedankenlos so lange von einem Sender zum anderen herumzappt, bis einem plötzlich ein Musikfragment innehalten lässt und vollkommen fesselt. Diesen Augenblick, in dem die Musik einfach in einen hineinsinkt, wollte ich einfangen. Es geht dabei um die Kraft eines Songs und wie er einem zumindest den Tag retten kann.«
Ein interessanter Aspekt, über den man nachdenken sollte, wenn man die Platte hört. Bei einigen Titeln ist das sicher auch gelungen, aber ob die Absicht, dem geneigten Pop-Hörer den Jazz etwas näher zu bringen, aufgehen wird, wage ich zu bezweifeln. Und auch beinharte Jazzer wird die Dame mit diesem Album sicher nicht erreichen.
Man sollte die Musik daher völlig losgelöst betrachten und ich würde das Ganze schon fast in die Schublade R'n'B/Funk packen. Einiges erinnert mich an ähnliche Titel von Quincy Jones. Mich persönlich stört nur die mitunter gehetzt wirkende Atmosphäre, die für viel Unordnung sorgt, die mich als Freund des Free Jazz zwar nicht stören sollte, doch innerhalb der hier vorgelegten festen und sehr guten Arrangements wirkt das ab und zu wie ein Fremdkörper. Die hochwertigen Elemente dieser Platte stellen für mich allerdings eine starke Leistung dar.
Line-up:
Esperanza Spalding (vocals, electric bass, acoustic bass - #7, 8, 11, 12)
Leo Genovese (piano - #1, 2, Rhodes -#1, 6, 8, 10-12, keyboards -#2, 3, guembri - #8, 9, piano - #9)
Terri Lyne Carrington (drums - #1-3, 5, 9, 11)
Jamey Haddad (percussion - #1)
Gretchen Parlato (background vocals - #1, 6, spoken word - #10)
Becca Stevens (background vocals - #1, 6)
Justin Brown (background vocals - #1, 6)
Alan Hampton (background vocals - #1)
Chris Turner (background vocals - #1)
Darren Barrett (trumpet - #1-3, 9, 10, 12)
Jeff Galindo (trombone - # 1, 3, 8, 10, 12)
Daniel Blake (saxophone solo -#1, 10, tenor saxophone - #2, 3, soprano saxophone - #8, 9, flute - #8, alto saxophone - #9, baritone saxophone - #9)
Kyle Zimmerman (alto saxophone - #1)
Renato Caranto (alto saxophone - #1)
Stanley Mathabane (tenor saxophone - #1, 11, alto saxophone - #1)
Nicole Glover (tenor saxophone - #1, 7)
Jeff Rathbone (baritone saxophone - #1, 7, 11)
Benjamin G. McDonald (trumpet - #1)
Benjamin Seacrist (trumpet - #1, 11)
Kiran Bosley (trumpet - #1)
Stan Bock (trombone - #1)
Dan Brewster (trombone - #1)
Jerry Stalnaker (bass trombone - #1)
Jef Lee Johnson (guitar - #2, 9)
Olivia DePrato (violin - #2)
Jody Redhage (cello - #2)
Algebra Blessett (voice - #5)
Raydar Ellis (sounds - #5, 10, spoken word - #10)
Savannah Children's Choir (choral voices - #5)
Lionel Loueke (guitar - #5, voice - #5)
Raymond Angry (organ - #4, 5)
Tivon Penicott (tenor saxophone - #5)
Igmar Thomas (trumpet - #5)
Corey King (trombone - #5)
Joe Lovano (tenor saxophone - #6)
Ricardo Vogt (guitar - #6, 8, 10)
Lyndon Rochelle (drums - #6)
Janice Scroggins (piano - #7)
Billy Hart (drums - #7)
Kama Bell (clarinet - #7, 11, alto saxophone - #11)
Andrew Olson (alto saxophone - #7)
John Carey (alto saxophone - #7, 11)
Aaron Reihs (tenor saxophone - #7, 11)
Noah Conrad (trumpet - #7, 11)
Tree Palmedo (trumpet - #7)
Noah Hocker (trumpet - #7, 11)
Ian Garner (trombone - #7, 11)
Javier Nero (trombone - #7,11)
Matt Warming (trombone - #7)
Jack DeJohnette (drums - #8, 10, 12)
Lalah Hathaway (vocals - #9)
Leni Stern (background vocals - #10)
Anthony Diamond (saxophone soloist - #11)
Q-Tip (vocals, glockenspiel - #11)
Sam Seacrist (alto saxophone - #11)
Hayden Conrad (tenor saxophone - #11)
Ashton Summers (trombone - #11)
Gilad Hekselman (guitar - #12)
Tracklist
01:Radio Song (6:32)
02:Cinnamon Tree (5:35)
03:Crowned & Kissed (4:34)
04:Land Of The Free (1:54)
05:Black Gold (5:16)
06:I Can't Help It (4:42)
07:Hold On Me (3:40)
08:Vague Suspicions (5:50)
09:Endangered Species (6:37)
10:Let Her (4:20)
11:City Of Roses (4:35)
12:Smile Like That (4:17)
(written by Esperanza Spalding, except
#6 by Stevie Wonder and Susaye Greene-Brown,
#9 by Wayne Shorter and Joseph Vitarelli)
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