Isabel Sörling Farvel / Same
Same Spielzeit: 49:46
Medium: CD
Label: Unit Records, 2013
Stil: Jazz, Free Jazz, Avantgarde

Review vom 16.05.2013


Wolfgang Giese
Musik, die sich mit Sicherheit nicht für 'Normalhörer' eignet - zu Risiken und Nebenwirkungen empfehle ich zunächst die nun folgende Gebrauchsinformation zu lesen und zu befolgen. Unerschrockene können das gleich überspringen, Free Jazzer ohnehin. Was mir aus den Boxen entgegenklang, hat mich also nicht im Geringsten geschockt, war es doch vielmehr sehr erfreulich, was ich zu Gehör bekam.
Chorgesang - wie aus einer düsteren Märchenwelt - ist es jedoch zunächst, was geboten wird, bevor sich bekannte Strukturen auflösen und die Instrumentalisten ihren jeweiligen Instrumenten auch Töne entlocken, die nicht unbedingt zur üblichen Spielweise gehören. Und doch bleibt die Musik auf dem Boden. Sie hebt nicht etwa ab, wie es im Jazz zu Zeiten des 'New Thing' geschah und von Musikern wie Cecil Taylor betrieben wurde, oder auch nicht mit dem wilden spirituellen Anstrich von
John Coltrane und Pharoah Sanders. Es ist nicht unbedingt die typische amerikanische Ausrichtung, dazu schwingt zuviel 'Skandinavien' mit - Jazz und Folk vermengen sich hierbei.
Doch in gewisser Weise bemerke ich schon die Übernahme typischer Elemente zweier amerikanischer Jazzer: Zum einen ist es Anthony Braxton mit seiner oft zerklüfteten Spielweise und weiterhin orientieren sich einige Titel stark an der Musik von Carla Bley, gerade an ihrem Werk "Escalator Over The Hill". Diese orchestrale Gestaltung, die sich wiederum an Kurt Weill anlehnte, findet sich auch hier wieder. Zarter Gesang, der sich hin bis zu ekstatischen Schreien auftürmt, inklusive Kieksern und sonstig schrillen Geräuschen, dann aber auch relativ strukturiert in dem Umfang, wie sich die Sängerin Jeanne Lee oft ausdrückte, aber mit stark freiem Bezug. Hierbei fällt das schöne Zusammenspiel zwischen Gesang und Trompete bei "If You Don't" auf.
Die Arrangements entsprechen in der Regel nicht einer uns allen bekannten Norm. Atonal klingt das so manches Mal und dürfte zu viel für so manche Ohren und Nerven sein. Im Gegensatz zu vielen, die ich kenne, übt diese Musik auf mich jedoch eher eine beruhigende Wirkung aus, so widersinnig und konträr das auch klingen mag. Die nordischen Elemente finden sich in Titeln wie "Leta" wieder, das strukturiert startet und irgendwie sehr kühl und unnahbar wirkt, aber wohl zu den zugänglichsten Songs zählt, sogar mit Rockanteilen durch das Schlagzeug ausgestattet. Lyrische Momente beschert uns "Den sång som ej ljöd" mit einer schönen Pianoeinleitung, zu der sich alsbald der Gesang gesellt, bis uns der folgende Titel in eine Welt der Moritaten zu entführen scheint und mit "Kuume" ein Gespräch zwischen Saxofon, Trompete und Stimme präsentiert wird. Hier finde ich auch Assoziationen zu ganz früher Musik von Jan Garbarek, vielleicht zusammen mit der norwegischen Sängerin Karin Krog.
Für einige Zuhörer/innen mag die Frage entstehen, was die Absicht hinter dieser Musik ist und ob sie vom Anspruch her zu hoch gesteckt ist. Welche Erwartungen haben die Musiker? Denn diese Musik fordert heraus, wer sich oberflächlich leiten lässt, könnte genervt reagieren, wer sich schnell abwendet, könnte etwas verpassen. Nur letztlich wird eines bleiben, dass man es mag oder nicht, allerdings, dennoch Raum für ein klein wenig dazwischen lassend. Selten wie bei einer anderen Platte der letzten Zeit habe ich zwingendere Hinwendung zur Polarisation gesehen, und zwar in hohem Maße.
Eine gewisse Nüchternheit und Sachlichkeit zeichnet die Musik auch aus, manchmal gibt es Spuren des Art Ensemble Of Chicago, deren Groove und Feeling aber schlussendlich fehlt.
Auf jeden Fall hat sich mit dieser schwedisch/norwegischen Kooperation eine Band etabliert, die noch von sich reden machen könnte. Immerhin hat sie bereits einen Preis einheimsen können: den 'Jazzkatten' in der Kategorie 'Newcomer des Jahres'.
Line-up:
Isabel Sörling (voice)
Kim Aksnes (trumpet)
Otis Sandsjö (tenorsax)
Henrik Magnusson (piano)
Alfred Lorinius (double bass)
Carl-Johan Groth (drums)
Tracklist
01:Natt eller Grynig (7:52)
02:Närmre (1:17)
03:If You Don't (8:20)
04:Leta (4:18)
05:Den sång som ej ljöd (5:43)
06:Punktum. (1:04)
07:Kuume (8:01)
08:Dissolving (10:39)
09:Child of God (2:29)
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