John Sykes / Bad Boy Live
Bad Boy Live
Kein guter Reviewer lässt gleich zu Beginn einer Besprechung die Katze aus dem Sack und poltert sofort hinaus, wie er eine Cd beurteilt. Weil die Spannung bei den Lesern unbedingt aufgebaut und bis zum Schluss gesteigert werden muss, werden am Anfang prinzipiell nur vage Andeutungen über die Qualität einer Scheibe gemacht.
Also los:
WAHNSINN! SAGENHAFT! BRILLANT! KRASS! GIGANTISCH! "Bad Boy Live" ist jetzt schon in der engsten Auswahl für die CD des Jahres 2005. Und das gerade mal am 10.02.2005. Es ist wirklich sehr zu bezweifeln, ob dieses Jahr noch eine Scheibe veröffentlicht wird, die "Bad Boy Live" aus dem Feld schlägt.
Vier Sykes-Shows sind während der Japan Tour im April 2004 mitgeschnitten worden. 11 Stücke aus den Sets gibt es als neuestes Lebenszeichen von John Sykes und Band außerhalb dessen Aktivitäten als Mastermind von Thin Lizzy. In Japan wurde er von dreien seiner alten Kumpels unterstützt. Der Überall-zu-Gleich-Basser Marco Mendoza ist bekannt von seinen Gastspielen bei der Sykes Truppe Blue Murder. Außerdem tourt er sporadisch mit Thin Lizzy, nimmt an Ted Nugents verrückten "Whiplash Dang-Bang Sweet Potang" Partys teil und whitesnakte mit David Coverdale erst '04 durch Europa. Er macht einen tollen Job auf "Bad Boy Live".
Insbesondere bei "Jelly Roll" spielt er den Bass haargenau so, wie es das Lied verlangt. In der gleichen fluffigen Weise wie ihn bei der Studioversion Tony Franklin zupft.
Ebenfalls seine Erfahrungen mit Nugent, Thin Lizzy und Whitesnake hat Superdrummer Tommy Aldrich gemacht. Fast hat man das Gefühl, als sei hier eine große Familie am Werk, deren Mitglieder sich regelmäßig besuchen fahren. Für die Keys war diesmal Derek Sherinian verantwortlich. Der spielte unter anderem bei Dream Theater, Planet X und Alice Cooper mit.
Diese vier Jungs haben in Japan gewaltig abgeräumt. Sie haben ein gnadenloses Feuerwerk abgebrannt und den Bombensound auf die CD hinüber gerettet. Es knallt gewaltig und gerade beim Gitarrensound möchte man vor Freude weinen. Was aber auch an Johns virtuoser Spielweise liegen kann. Wenn man ihn zwirbeln hört, erkennt man ihn. Er ist flink an der Axt und er lässt die Gibson auf die für ihn so bekannte und unnachahmliche Art mit Obertönen und Feedbacks heulen.
Aber er ist nicht nur ein begnadeter Gitarrist, sondern auch ein klasse Rock-Shouter. Wenn man ihn singen hört, erkennt man ihn. Ob es nun um Sykes-, Blue Murder, Thin Lizzy oder Whitesnake- Songs geht: Er bringt sie mit Bravour rüber und drückt ihnen dabei seine eigene Note auf.
Natürlich spielt sich Sykes durch die eigene Musikgeschichte. Nicht weniger als vier Whitesnake Songs sind auf "Bad Boy Live" vertreten. Und wen wird's wundern - "Bad Boys" macht gleich den Anfang.
Hört euch an, was er aus den Gesangslinien macht und mit welchen Emotionen er die Texte präsentiert.
Wer braucht da noch Mr. Coverdale?
Gleiches gilt für die Gitarrenarbeit. Bis auf "Crying In the Rain" und "Thunder and Lightning" war John bei allen Stücken am Songwriting zumindest beteiligt. Hört euch an, wie er die Soli in neuem Glanz erstrahlen lässt.
Wer braucht da noch Bernie Marsden, Adrian Vandenberg oder Scott Gorham?
Auch die Sykes- und Blue Murder Ära ist mit Stücken vertreten. Gerade diese Songs spielt die Sykes Band mit großer Souveränität. Der deutsche Hörer stellt dabei mit Wehmut fest, dass er diese Lieder wahrscheinlich nie live wird erleben dürfen. Jammerschade!
Zwei Thin Lizzy- Songs sind zu genießen. Zum einen die klassische Heavy Nummer "Cold Sweat", die bisher bei wohl keinem offiziellem Live Mitschnitt John Sykes gefehlt hat. Auch auf dem 1994er "Screaming Blue Murder"-Album war sie mit von der Partie. Eine besondere Freude ist aber das bereits erwähnte "Thunder and Lightning".
Es fehlt jedes Mal schmerzhaft, wenn man sich Thin Lizzy - "One Night Only" gibt. Schon alleine die Sykes-Soli machen aus dieser Nummer eine Gnade Gottes. Und der Gesang? Was gibt's da noch zu sagen?
Wer braucht da noch Mr. ... doch halt! Das geht so nicht! Respektlose Rhetorik in allen Ehren, aber ich will das nächste Treffen der RockTimes-Crew überleben.
Der Anspieltipp für Whitesnake Fans:
"Crying In The Rain" ist allen bekannt. Aber der normale Drang schnell über diesen Song hinweg zu skippen, hat bei dieser Interpretation endgültig ein Ende. Besonders der Anfang ist beeindruckend. Nach jedem charakteristischen Riff-Einsatz jubelt das Publikum erstaunt auf. Und die Gesangslinie, die Sykes fabriziert, lässt Herzen aufgehen. Vom Gitarrengewitter in der Mitte mal ganz zu schweigen.
Der Anspieltipp für Thin Lizzy Fans:
Natürlich ist "Thunder and Lightning" zu nennen. Es hat Power, es hat Klasse, es hat Sykes.
Der Anspieltipp für Blue Murder/Sykes Fans:
"Bad Boy Live". Ihr werdet die ganze CD lieben.
Mann, wenn der Meister nur ein wenig von seiner auf "Bad Boy Live" gezeigten Form mit auf die nächste Thin Lizzy Tour bringt, werden das ganz gewiss unvergessliche Abende.
Das Booklet ist leider etwas spartanisch ausgefallen. Es umfasst gerade vier Seiten und beinhaltet Infos zum Line-Up und der Crew, die üblichen Danksagungen und die Aufnahmedaten. Tja, man kann eben nicht alles haben.
Die CD bekommt von der Mucke her die volle Punktzahl der Wahnwirtz Scala, also eigentlich eine glatte 10. Aber es gibt Abzüge in der B-Note.
Ein Pünktchen geht verlustigt, weil kein echtes Live-Feeling aufkommt. Die Stücke sind bei vier verschiedenen Shows aufgenommen und anschließend auf CD zusammengestückelt worden. So gibt es einige Aus- und Einblendungen, die "Bad Boy Live" alles andere als homogen erscheinen lassen.
Die Jury zieht einen zweiten Punkt ab, weil trotz aller Klasse zu viele Whitesnake und Lizzy Songs Einkehr gehalten haben. Weniger ist manchmal mehr! Eine Sykes Liveplatte ganz ohne diese Cover ist durchaus vorstellbar. Ganz zu schweigen davon, das unter den Brandings Blue Murder und Sykes genug hervorragende Songs erschienen sind, um zwei oder auch mehr Livealben zu füllen.
Ein Punkt kommt aber wieder hinzu. Denn gerade die Whitesnake Songs sind schon alleine deswegen hörenswert, weil John alleine die Gitarre bedient. So braucht man sich nicht anzuhören, wie ein zweiter Gitarrenmann die Songs mit seinem "unqualifizierten Geschrubbe" versaut.
Das macht also 9 fabelhafte Punkte für "Bad Boy Live".
Hat diese Review eure Neugierde auf John Sykes geweckt? Dann genügt ein kurzer Klick und ihr seid in der Bio!
Spielzeit: 56:33, Medium: CD, Pro Rock Productions, 2005
1:Bad Boys 2:We All Fall Down 3:Cold Sweat 4:Crying In The Rain 5:Jelly Roll 6:In This Love 7:Look In His Eyes 8:I Don't Wanna Live My Life Like You 9:Please Don't Leave Me 10:Still Of The Night 11:Thunder and Lightning
Olli "Wahn" Wirtz, 15.02.2005