Klaus Schulze muss ich doch nicht näher vorstellen, oder? Daher nur kurz die Stationen seines Lebens:
4.8.1947 geboren in Berlin
1969 Mitglied der Band Tangerine Dream
1970 Mitbegründer von Ash Ra Tempel
1972 erste Soloplatte, "Irrlicht"
2010 Veröffentlichung der Doppel-CD "Big In Japan".
Gemäß der Angaben auf des Künstlers Website müsste das nun die 44.Solo-Veröffentlichung sein. Darunter fallen allerdings auch die aktuellen Einspielungen mit Lisa Gerrard. Dazu dann noch die Alben als Richard Wahnfried. Fleißig, fleißig also, der Keyboard-Experte, der auch Gitarre, Bass und Schlagzeug spielt. Und noch einige Hintergrundinformationen: Zuletzt arbeitete der Musiker also mit Lisa Gerrard von Dead Can Dance zusammen, mit dem Ergebnis eines Studio- und zweier Livealben. Jetzt, für viele Fans sicher eine freudige Überraschung, wieder ein Soloprojekt. Nun ja, so ganz solo insofern auch nicht, da ihm viele andere Musiker dabei halfen. Einer der japanischen Fans des Künstlers, Gen Fujita hatte den Musiker nach Tokio eingeladen für Solo-Konzerte. Die japanische Crew baute eigens für dieses Ereignis das in Europa so oft benutzte Equipment komplett nach. Ich denke, das war nicht gerade billig.
Eine Erstveröffentlichung dieser Edition gab es bereits in Japan, mittlerweile wohl ein begehrtes Sammlerstück, erschien das Box-Set dort doch limitiert auf 500 Exemplare. Die europäische Version wurde verändert, auf der CD befindet sich auch der Track "Sequencers Are Beautiful", der in Japan nur auf der DVD vorhanden war. Auf der hiesigen Ausgabe befindet sich auf der DVD noch ein Stück, das man auf der Doppel-CD nicht findet, "A Crystal Poem". Die mir vorliegende Promotion-Ausgabe enthält die DVD nicht, so dass ich dazu keine Stellung nehmen kann.
Also nun zum hörbaren Ereignis Folgendes: Grundsätzlich ist es mit elektronischer Musik so, dass man das mögen muss. Nicht jeder findet Zugang dazu. Liegt dieser Musik einerseits oft ein gewisser meditativer Charakter zugrunde, kann sie andererseits auch extrem langweilen, eben, weil nicht unbedingt viel passiert, gerade auch im Hinblick auf die Länge der Titel. Ich bin offen für jede Art von Musik, nur muss ich sie an mich heranlassen können, das heißt, ein emotionaler Zugang ist für mich wichtig. Was ich vorausschicken kann, ist die perfekte handwerkliche Beherrschung des Instrumentariums, das sollte beim Vollblutmusiker Schulze außer Frage stehen.
"The Crystal Returns", das fließt großflächig dahin, ich spüre sofort angenehme Strömungen im Sonnengeflecht. Das ist Musik, die mich 'runterholt', die mich verharren lässt im Augenblick des Geschehens, ich vermisse hier nicht die Abwechslung. Der Kenner wird alsbald erkennen, dass dieser Titel eine Neubearbeitung des Klassikers "Crystal Lake" beinhaltet. So werde ich plötzlich aus meiner Ruhe und Beschaulichkeit gerissen, als eine Schlagzeugsequenz auftaucht. Ab jetzt beginnen Sequenzerkaskaden ohnehin die Oberhand zu gewinnen, das - etwas aufgemotzt - könnte man in jeder Techno-Disko bieten und der tanzwütigen Menge präsentieren. Bevor der Begriff 'Sequenzer' dann thematisch zum nächsten Titel überleitet ("Sequencers Are Beautiful"), stellt sich erneut die anfänglich magische Ruhe ein und lässt mich wieder dahin fließen. Wenn nun noch eine Gitarre auftauchte, dann wäre ich bei "Wish You Were Here"…Aber hier kommt dann noch einmal ein druckvolles Finale mit dem eingesetzten Drumcomputer. Ach, diese Musik ist für mich so herrlich 'erfrischend altmodisch'. Die wunderschönen Sequenzer des zweiten Titels bringen eine ganz raue und verquere Atmosphäre. Irgendwie klingt das nach einem Gemisch zwischen Alarmanlage und dem Großstadtverkehr zuzuordnenden Geräuschen, bis dann schon nach kurzer Zeit eine Überraschung auftaucht, und zwar in Form von Gitarrenklängen. Ja, ganz metallisch scheppernde Klänge erheben sich über der Alarmanlage, es ist auch das einzige Stück mit Gitarreneinsatz.
Hier empfinde ich gar keine meditativen Gedanken. Hier ist es sehr stark expressionistisch und unruhig. Leider kann ich mich mit diesen manchmal nach Experimenten klingenden Tonfolgen nicht sogleich anfreunden, bis dann jedoch elektronische Perkussion mit einem sanft wiegenden Rhythmus überleitet in einen coolen Groove, der mich dann doch packt. Aber schon bald wabern die Sounds wieder ohne Rhythmus frei schwebend durch den Raum. Dadurch bekommt man den Eindruck einer Art Suite mit verschiedenen Inhalten, wobei mich der dritte Teil wieder schwelgen lässt in einem Meer von fließenden Klängen. Das ist ein Soundtrack für die Seele, für einen eigenen Film, den man sich nur für sich anschaut, weil ich denke, dass Emotionen verschiedener Couleur geweckt werden können. Ein vierter Teil bringt dann die Drums wieder zurück und verschiedene Elemente scheinen sich zum großen Finale zu vereinen. Jetzt hätte ich mir die Gitarre noch einmal mit einem wilden eruptiven Einsatz gewünscht, dann wäre es perfekt für mich gewesen. Aber das Finale war es noch nicht, denn mit spinett- und flötenartigen Tönen, die Elemente der klassischen Musik aufzugreifen scheinen, geht der Titel letztlich in seine Endphase, und ich bin mir nicht sicher, ob hier nicht doch die Gitarre wieder eingesetzt worden ist. Mit einem choralartigen Einsatz und bedrohlich wirkenden Klängen verebbt der Klangstrom dann...
Auf zur 2. CD des Albums. Hier gibt es einen Titel mehr, der erste ist mit 46:35 auch gleich der längste. An die Atmosphäre innerhalb einer Kathedrale erinnert mich der Beginn von "La Joyeuse Apocalypse" stark. Gewaltige Klangschichten drängen sich auf. Man scheint einen Chor zu vernehmen, ein Tick Vangelis ist nicht von der Hand zu weisen. Wird sich so die Apokalypse ankündigen? Was wird uns erwarten?
Sich lösende, frei schwebende, zerrende Töne werden vom Schlagzeug mit viel perkussionsartigen Beiklängen in eine neue Richtung gedrängt, ein ähnlicher Groove wie bei "Sequencers Are Beautiful". Über dieser Basis erleben wir variantenreiche lange Minuten von Improvisation, von repetativen Mustern bis hin zu scheinbar spontan entwickelten Ideen. Ein Titel, der dazu auffordert, sich zu öffnen und sich völlig hinzugeben und fallen zu lassen, alle anderen mag das vielleicht nicht berühren. So etwas 46 Minuten lang in einer Disko, und ich glaube, da könnte ich meine müden Knochen auch noch einmal in Bewegung bringen. Nach weiteren Anleihen aus möglicherweise klassischer Musik, die aber dann in Skandinavien anzusiedeln wäre, ich könnte mir jetzt als Begleiter absolut passend Terje Rypdal vorstellen, wie er typischerweise aus der Tiefe eines Fjords mit seinem unverwechselbaren Sound auftauchen würde. Mein Wunsch an die Beiden - bitte ein Konzert oder/und eine Platteneinspielung!
Nach flächigen Schlussklängen erwartet uns nun "Nippon Benefit". Das hätte auch gut in den Soundtrack zu "2001 - Odyssee im Weltraum" gepasst. Unheimlich, unwirklich, fremd und - aus den Tiefen der Seele - wahrscheinlich doch wieder vertraut, man meint ein dröhnendes Cello zu hören.
So, mit dem kürzesten Titel der Schlusspunkt, der mit Geräuschen, die einer Mischung aus einem Bienenschwarm und startenden Motorrädern gleichkommen, wilde Eruptionen, die den Gedanken freie Assoziationen bieten und ungeordnet durchs All zu schweben scheinen, bis ein energischer Drumsound auf den Boden der Realität zurück holt.
Gut, die Musik läuft Gefahr, aufgrund ihrer Struktur eine gewisse Gleichförmigkeit zu entwickeln. Wenn man nicht Kenner ist, kann es schon vorkommen, nicht klar aussagen zu können, welcher Titel gerade läuft. Ich bin mir auch nicht so sicher und komme daher mit mir überein, das ganze als Gesamtkunstwerk zu betrachten, also kleine Suiten innerhalb einer großen Suite. Und - wie gesagt, man muss sich Zeit nehmen, sich darauf einlassen und einfach mitfließen in diesem Strom von Klängen.... Einige mögen Schulze vorwerfen, nicht viel Entwicklung zu zeigen, andere werden sich freuen, wieder die neuen alten Klänge live miterleben zu können. Jede(r) möge demnach für sich entscheiden.
Ich mag diese Musik, ich mag die Musik dieser Veröffentlichung, kann sie aber nicht immer hören, weil hier sehr viel Stimmung aufgefahren wird, an der man teilhaben sollte.
Line-up:
Klaus Schulze (keyboards, synthesizer, guitar - CD1, # 2)
Tracklist |
CD 1:
01:The Crystal Returns (38:03)
02:Sequencers Are Beautiful (39:00)
|
CD 2:
01:La Joyeuse Apocalypse (46:35)
02:Nippon Benefit (14:10)
03:The Deductive Approach (12:12)
|
|
Externe Links:
|