Viele Künstler im Musikbusiness schmücken sich gerne mit dem Attribut 'Independent'. Sie tragen diese scheinbare Unabhängigkeit von Major Labels und Verlegern mit dem Gestus unverwüstlicher, unbestechlicher Authentizität vor sich her. Gerade im Bereich Americana floriert die Indieszene: Kleine bis mittlere Plattenfirmen schießen geradezu wie Pilze aus dem Boden und selbstbewusst tingeln Singer-Songwriter, Folkies, Vertreter des New Country und natürlich auch eher ungebügelte Artgenossen der Spezies Rocker durch entsprechende Clubs. Eigentlich eine wunderbare Entwicklung, die zeigt, dass Musik nicht nur von Verkaufszahlen in die Notenblätter diktiert wird. Einige Künstler sind noch immer bereit, ihr Ding zu machen, ohne sich von der Aussicht auf die multimediale Glitzerwelt der Massenmedien verbiegen zu lassen. Manch ein Vertreter dieser Subkultur schaffte es durch fleißiges Touren und beständige Präsenz in alternativen Medien zuweilen, die Weihen des Big Business zu ergattern.
Die spröde Songpoetin Lucinda Williams wäre da ein gutes Beispiel. Sie schaffte den Schritt von der Indie-Diva zur Grammy-Preisträgerin.
Und mit eben dieser Dame ist Kristina Stykos häufig verglichen worden. Wie so oft sind Vergleiche aber hier eher kontraproduktiv - hört man danach schließlich die Werke eines Künstlers mit der Erwartung, er habe die Qualitäten eines anderen. Wo also liegen die Gemeinsamkeiten von Kristina Stykos und Lucinda Williams?
Beide sind Frauen, haben eine angeraute Artikulation, schreiben Songs zu amerikanischen und persönlichen Themen, die musikalisch im Niemandsland zwischen Folk, Rock und Country angesiedelt sind. Das war's dann aber auch schon.
Was Kristina Stykos darüber hinaus noch auszeichnet: Sie ist 'independent' bis zur letzten Konsequenz. Neben ihren Aktivitäten als Musikerin studierte sie noch Tontechnik an der Berkeley School of Music und richtete ihr eigenes Studio ein. Auch hier setzt sie auf Unabhängigkeit: Die gesamte Anlage wird von Solar- und Windkraft, bei Engpässen mit einem Notstromaggregat betrieben und ist völlig autonom vom amerikanischen Stromnetz. Sie produziert dort neben ihren eigenen Alben auch die Werke weiterer Künstler, vorzugsweise aus ihrer Heimatstadt Vermont. Veröffentlicht werden die Scheiben dann auf dem ebenfalls eigenen Label Thunder Ridge Records. Unabhängiger geht wohl kaum noch - as independent, as 'Independent' can be!
Für das aktuelle Werk "Wyoming Territory" zog sich die Songschreiberin zur Klausur auf eine abgelegene Ranch zurück, um die Basics für acht neue Stücke zu erarbeiten, in Ruhe an ihnen zu feilen und Demos aufzunehmen. Wo in Amerika dieses idyllische Anwesen steht, muss wohl nicht eigens erwähnt werden - der Titel der CD spricht Bände. Der Grund für diesen Rückzug, das Erkunden der ureigensten Qualitäten, lag in einer Krise begründet, die wohl eine Horrorvorstellung für alle Vokalisten darstellt. Trotz regelmäßigen Trainings und stetiger Auftrittsroutine ging Kristina Stykos ein Teil ihrer Singstimme verloren. Ihr Tonumfang dezimierte sich stark. Natürlich fühlte sich die Musikerin in ihrer gesamten künstlerischen Ausdrucksfähigkeit plötzlich mehr als nur eingeschränkt. Als sie diese Limitierung aber schließlich akzeptiert hatte, wollte sie eben Songs schreiben, die für diese, neue Altstimme maßgeschneidert waren. Sie beging nicht den Fehler vieler Chanteusen, die sich auf der Bühne abmühen, zu früheren Tonhöhen aufzuschließen. Das endet zumeist in peinlichen Kreischorgien. Wie schon vor ihr die große Joan Baez passte Kristina Stykos ihre Lieder, Arrangements und Interpretationen im Hier und Jetzt ihrer Stimme an und nicht umgekehrt. Ein weiser Entschluss!
Zu den ursprünglich geplanten acht Tracks kamen später noch vier weitere hinzu und mit einigen befreundeten Sessionmusikern aus Vermont komplettierte sie die Aufnahmen dann zu guter Letzt in ihrem autonomen Pepperbox Studio. Als die CD dann erschien, geschah etwas Außergewöhnliches - trotz der stimmlichen Probleme und der Tatsache, dass die kompakten Songs auch ein wenig aus der Not geboren waren, war sich die Kritik in God's Own Country ziemlich einig: Das Album wurde gemeinhin als das bislang musikalisch ausgereifteste Werk von Kristina Stykos gewürdigt. In den Jahren zuvor waren die Rezensenten nicht müde geworden, darauf hinzuweisen, dass die agile Sängerin und Gitarristin eine der begabtesten Autorinnen von Songtexten sei. Ihre musikalischen Qualitäten hingegen wurden meist in Vergleichen zur großen Lucinda Williams herabgewürdigt.
Doch in "Wyoming Territory" zeigt sich eine musikalisch gereifte Künstlerin, die es meisterhaft versteht, die Grundstimmung ihrer Lyrics in Töne zu verwandeln. Das über allem thronende Zauberwort heißt 'Emotion'. Jedoch ist die Autorin und Komponistin dabei meilenweit von der klebrigen Gefühlsduselei des Bubblegum-Pop entfernt. Viele Phänomene, die sie besingt, kennt man aus dem eigenen Leben. Wenn Kristina Stykos von Sehnsucht und Liebe erzählt, schwingen da all die menschlichen Zweifel, Ungewissheiten und Ängste mit. Es wird nicht zum x-ten Mal die alte Leier 'wir werden niemals auseinandergehen' herunter genudelt. Auch die Liebe kennt Abgründe. Dies wird besonders deutlich in "Angelino". In der rotzigen Rocknummer werden die schmutzigen Facts zeitweise in stakkatoartigem Sprechgesang ungeschönt ans Tageslicht geholt. Ein vermeintlich harmloser Alltagsflirt driftet ab in sexuelle Hörigkeit und emotionale Sklaverei. Auch für solche ernüchternden Stories findet Kristina Stykos die richtigen Klänge, ihre Stimme klagt an, fühlt aber auch mit. Die Band schrubbt sich mit dreckigem Rhythmusgepolter unbarmherzig durch die trostlose Welt, in der man von Liebe träumt und sich zum Sex zwingt. Auch Gitarren und Bass erledigen diese Nummer wie einen schmutzigen Job, der halt auch mal erledigt werden muss.
Trotz aller herben Enttäuschungen, die die Wirklichkeit zu bieten hat, haben vor allem Träume und Sehnsüchte unüberhörbar ihren Platz im Schaffen der Folkrock-Lady. Sie fordert gar »free speech fort the heart«, 'Redefreiheit für das Herz' im Song "Without Eyes".
Und kennt man das nicht selbst? Zu viel Nähe kann die größte Liebe pulverisieren, darum singt Kristina Stykos in "Love The Distance": »Wir können uns lieben, weil wir auch den Abstand zwischen uns lieben!«
Solche Zeilen machen immer wieder deutlich, wie meisterhaft die Sängerin ihre Gedanken in packende, nachvollziehbare Lyrik zu kleiden vermag.
Mit einem rauen, zeitweise gar brüchigen Alto transportiert Kristina Stykos ihre Worte dann überzeugend in die Musik. Die Gitarrenbegleitung ist unaufdringlich, pragmatisch und von einem zarten Groove bestimmt. Die Band folgt jeder Stimm- und Gefühlslage in einem dichten Gruppensound. Solistische Akzente setzen vor allem Mark Spencers Leadgitarre, Patrick Ross' Fiddle und Chas Ellers Keyboards. Ob man nun dezent rockt wie in "Watershed" oder eher zart die Poetik der Worte umschmeichelt wie in "Jackson", stets geraten Musik und Inhalt zu einer untrennbaren Einheit. Man muss nicht jeden Text wirklich nachvollziehen oder verstehen können - der Sound von "Wyoming Territory" nimmt durchaus auch mal 'nur so' gefangen …aber in jedem Fall ist es lohnend, sich intensiv mit dieser Scheibe auseinanderzusetzen. Wer wirklich tiefer in Lyrik und Musik der Kristina Stykos einsteigt, wird wohl nicht nur einmal eine Gänsehaut bekommen.
Line-up:
Kristina Stykos (lead vocals, guitar)
Bow Thayer (bass)
Patrick Ross (fiddle)
Chas Eller (keyboards)
Jeff Berlin (drums)
Mark Spencer (lead guitar)
Tracklist |
01:Watershed (5:33)
02:Jeffrey Lee (4:24)
03:Jackson (4:39)
04:Without Eyes (4:52)
05:I'm Here For You (3:40)
06:Love The Distance (3:40)
07:Highway Marker 9 (6:11)
08:Angelino (3:54)
09:The Stars Divide (4:11)
10:The Lost Track (5:25)
11:Redwing (2:54)
12:Forgiveness (6:20)
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