Im Prinzip ist alles ganz einfach. Neben unterschiedlicher musikalischer Qualitäten finden wir in der LP/CD-Landschaft des guten alten Rock und Pop nur drei Möglichkeiten vor:
1.) Alben mit formidablen SängerInnen
2.) Alben mit SängerInnen, die es besser hätten bleiben lassen sollen
3.) Alben mit gar keinem Gesang!
Und genau um letztere soll es hier und jetzt gehen.
Zunächst haben wir da eine Bookletcovergestaltung, die mir Kunstbanausen doch gleich den Gedanken - "moderne Kunst, oder was?" - durch den Kopf schießen lässt.
Um wessen Kunstwerk geht es überhaupt? Der Namensschriftzug ist in rot gehalten, recht klein gedruckt und mitten in der modernen Kunst platziert. Zu allem Überfluss hat der Rezensent eine mittelschwere Rot-Grün-Schwäche (das ist jetzt nicht unbedingt politisch gemeint) und erkennt daher erst nach genauerem Hinsehen:
Neal Schon, und noch kleiner, dafür in schwarz: i on u
Aha, was will der Künstler uns damit sagen?
Zunächst zum Künstler selber, denn der Name Neal Schon lässt (Achtung: Wortspiel!) schon einige Glocken in meinem Gedächtnisspeicher, hinten links, läuten:
Da war doch was?
Richtig, anno 1971 wirkte er beim dritten Album der fabulösen Santana-Band mit und sorgte fortan dafür, dass der Chef dieser Gang keinen gitarristischen Boden mehr unter die Füße bekam, bis Carlos ihn feuerte, damit kein signifikanter Fall daraus werden konnte.
1973 gründete Neil Schon dann zusammen mit dem ebenfalls von Carlos geschassten Gregg Rolie die Gruppe Journey, die zunächst ab 1975 drei fantastische Alben herausbringen sollten, welche leider von der (Musik-)Welt sträflich übersehen wurden, um dann ab 1978 mit Rock-Pop-Operetten-Schmonz gewaltig abzusahnen.
Der Waschzettel von Neils neuer Plattenfirma, interessanterweise das noch ziemlich junge Favored Nations Label vom Gitarrenfrickler der härteren Fraktion himself - Steve Vai, spricht vom mittlerweile sechsten Soloalbum Neil Schons, der folglich neben seiner Haupteinnahmequelle Journey immer mal wieder gerne ausbricht, um sich ohne große kommerzielle Zwänge richtig austoben zu können.
Dabei legte er in der Vergangenheit schon öfter zwei verschiedene Gesichter an den Tag.
Einmal ein sehr bluesrockiges, wie beispielsweise seine Zusammenarbeit Anfang der 90er mit Paul Rodgers, mit dem er auch tourte und der Rezensent sich noch an ein fantastisches Konzert im Bremer Aladin erinnern kann, wo Paul sich die Seele aus dem Leib röhrte und Neil einfach alles gitarristisch bis dahin Gehörte in den Schatten stellte, oder auch das brettharte Piranha - Blues-Projekt von 1999, zum anderen ein sehr melodiöses, episches, rhythmisches und spielerisch sehr anspruchsvolles, was in zumeist instrumental gehaltene Alben mündet(e).
Bei diesem brandneuen Album (VÖ 28.02.2005) handelt es sich nun um letzteres, und es besticht durch eine unvermutete Stringenz und Geschlossenheit.
Zum Glück (?) hat sich Neil nicht seinen wilden Labelchef zum Vorbild genommen, sondern einen wunderbar atmosphärischen, melodiösen, manchmal rhythmisch, manchmal groovig, manchmal gefühlig und manchmal auch fetzig dominierten Soundteppich geknüpft, der auf wundersame Weise moderne Sounds und echte Instrumente miteinander harmonieren lässt und zudem auch noch herrlich warm aus den Boxen perlt!
Skeptikern sei gesagt, trotz teilweisem Drum Programming, Sequencing und massenhaften Keyboardeinsprengseln gelingt Neil Schon hier eine außerordentlich homogene Synthese von Technik und instrumentalem Können.
Sein Spiel an der Gibson ist einfach begnadet, vor allem in balladenhaften Klanggemälden wie dem Rausschmeißer des Albums - "Father"!
Dieser Mann hat seinen ganz eigenen, individuellen Gitarrensound entwickelt, der mühelos unter Tausenden herauszuhören ist, was wiederum wahrlich nicht viele KollegInnen seines Fachs von sich behaupten können!
Alleine sein fantastisches Spiel macht aus dieser Platte einen Soundtrack, der ganz bestimmt keine realen Bilder als Unterstützung der sinnlichen Erfahrung benötigt, die Bilder spielen sich individuell bei einem jeden ab, der mit geschlossenen Augen diesen fließenden Klängen lauscht!
Unterstützung erhält Herr Schon am Schlagwerk von Studioass Omar Hakim und an den Keyboards, beim Songwriting und bei der Produktion von Igor Len, der mir persönlich allerdings kein Begriff ist.
Da frühere Versuche eher zu der These führten, dass Neil Schon nicht zur Gattung der begnadeten Vokalisten zu zählen ist, hat er meiner Meinung nach bei diesem Album sehr viel richtig gemacht, bis er sich hoffentlich wieder mal dem Blues(Rock) zuwendet oder gar eine Neuauflage des Abraxas Pool - Projekts von 1997 startet, der besten Santana-Platte seit "Santana III", allerdings ohne Carlos, der wundersamerweise bei diesem Projekt gar nicht vermisst wurde!
Aber das ist eine andere Story.
Und was will uns der Künstler mit diesem neuesten Werk nun tatsächlich sagen?
Ganz einfach, dass ein Gitarrist und Komponist vom Format eines Neal Schon mittels seines Instruments wesentlich mehr auszudrücken im Stande ist, als es dies Worte jemals könnten und mit einer solchen Intention die Klänge (hoffentlich) in unsere Ohren schweben mögen, zur hoffentlich allseitigen Zufriedenheit!
Spielzeit: 60:30, Medium: CD, Favored Nations, 2005
1. Blue Passion (4:16) 2. I On U (5 :20) 3. Timeless Motion (6:57) 4. The Chamber (5:37)5. Urban Angel (5: 21) 6. Moon Dust (4:52) 7. Loner's Dream (3:28) 8. Burning Bridges (4:39) 9. Highland (4:11)
10. It Will Happen (4:59) 11. Taken There (5:41) 12. Father (5:05)
Olaf "Olli" Oetken, 17.2.2005
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