Sieges Even / The Art Of Navigating By The Stars
The Art Of Navigating By The Stars
Das ist doch mal ein griffiger Albumname: "The Art Of Navigating By The Stars"! Das Titelstück misst gerade mal 29 Sekunden. Viel schneller sind die Worte - The Art Of Navigating By The Stars - auch nicht getippt. "Die Kunst mit Hilfe der Sterne zu navigieren" brachte den Seeleuten vergangener Epochen bekanntlich einen großen Vorteil. Jederzeit zu wissen, wo man ist, wie weit man sich von seinem Herkunftspunkt entfernt hat und wie weit es eigentlich noch sein sollte, kann sehr beruhigend sein.
Interpretiert man die Statements der Bandmitglieder, ist nun eine 8-jährige Irrfahrt von Sieges Even zuende gegangen. Zwar hatte sich die Band nie wirklich aufgelöst, man suchte aber nach "neuen Ausdrucksformen und dem optimalen Sänger ".
Schön zu wissen, dass die Jungs um Alex und Oliver Holzwarth zum Abschluss ihrer Odyssee mit zielgenauer Navigationskunst einen sicheren Hafen ansteuern konnten.
"The Art Of Navigating By The Stars" bringt den Progfans knapp 64 Minuten lang feinsten Progressive Rock in seiner ureigensten Spielart. Es wird gebreaket, es wird soliniert, es wird verschachtelt und es wird gespielt. So gespielt, als gäbe es keinen Morgen mehr. Die Leistungen an den Instrumenten sind meisterlich. Bei den ersten Hördurchgängen erquickt den Musikfan besonders der akzentuierte und immer wieder auftauchende Synchrongalopp von Bassdrum mit Gitarre und/oder Bass.
Gesungen wird auch. Die Suche nach dem optimalen Sänger war offenbar erfolgreich. Der Mann am Mikro heißt Arno Menses und wirkt in den komplexen Arrangements als Orientierungspunkt, als ruhender Pol, als Schwerkraftzentrum. Zur Einstimmung sei seine Intonation der Strophe bei "Blue White Open" um Minute 3:37 empfohlen.
Er zeichnet die wohl einzig passenden Gesangslinien und macht aus den Kollagen wirkliche Songs, die auf "The Art Of Navigating By The Stars" allerdings als 'Sequences' bezeichnet werden. Er ist eben ein sehr guter Navigator. Erwähnt werden müssen auf jeden Fall auch seine ergreifenden Harmonievocals.
Das Label beschreibt die Musik so: "…sorgen mit cleveren Taktkombinationen, polyrhythmischen Einlagen, und Metrumverschiebungen präzise aufeinander eingespielt für stets spektakuläre Wendungen " - So eine Aussage darf einfach nicht vorenthalten werden. Das Irre ist nur: Sie ist wahr!
Sieges Even reihen Frickeleien aneinander, lassen eine Finesse der anderen folgen, unterbrechen zu jedem passenden Zeitpunkt und bauen sofort wieder neue Dramaturgien auf. Sie komponieren die Themen aus, sie iterieren um ähnlichen Melodien und lassen den Hörern ihre Ideen aus verschiedenen Perspektiven erleben.
Doch aufgepasst: So leicht wie es sich liest, ist es zu hören nicht. Enervierte Partner sind garantiert, denn Sieges Even toben sich an der Grenze des Machbaren aus. Sie agieren am Limit, nie drüber, aber auch wirklich nur ganz knapp davon entfernt.
"The Art Of Navigating By The Stars" als eine Progrock-Sinfonie zu bezeichnen, ist vielleicht die einzige Möglichkeit, dem Werk gerecht zu werden. Jeder wird seine eigenen Assoziationen bei dem Album haben. YES und King Crimson werden sicher dazugehören. Vielleicht auch Rush und bei ganz verwegenen Zeitgenossen sogar Metallica. Aber Queen auch. Das allerdings weniger aufgrund der Musik, sondern weil es schier unglaublich ist, dass Sieges Even bei den Aufnahmen keine Synthesizer benutzt haben. Wer erinnert sich nicht gern an den selbstbewussten Satz auf den älteren Queen-Alben, der da lautete:
"…and nobody played synthesizer...again!"
Ein findiger Gitarrist reicht schon! Markus Steffen heißt der Brian May von Sieges Even.
Was bleibt, ist zunächst die Frage:
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Albumtitel und dem Coverartwork? Ich mag keinen erkennen, aber vielleicht kann jemand helfen.
Ansonsten sind 8 beeindruckte RockTimes-Uhren zu vergeben.
Die Progressive-Rocker unter den Musikfans werden dieses Teil eh ordern. Alle anderen neugierigen Musikfans, die zuweilen am Grenzwert interessiert sind, sollten ihn mit Sieges Even mal zu ergründen versuchen.


Spielzeit: 63:37, Medium: CD, InsideOut Music, 2005
1:Navigation By The Stars 2:The Weight 3:The Lonely Views Of Condors 4:Unbreakable 5:Stigmata 6:Blue Wide Open 7:To The Ones Who Have Failed 8:Lighthouse 9:Styx
Olli "Wahn" Wirtz, 27.09.2005