Sigur Rós / 18.08.2008, Alter Schlachthof, Dresden
Support: Ólafur Arnalds
Alter Schlachthof Sigur Rós
Support: Ólafur Arnalds
Alter Schlachthof Dresden
18. August 2008
Konzertbericht
Stil: Worldmusic
Fotos: ©Axel Clemens



Artikel vom 28.08.2008


Ingolf Schmock
Gobbledigook in Elbflorenz
AudienceEs fiel schwer, angesichts der heimeligen Raumatmosphäre und den dargebotenen musikalischen Landschaftsmalerein, dem Klischee hochglanzfotografierter Bildbände vom Land des vulkanischen Gesteins und der heißen Quellen, nicht zu verfallen.
Der proppenvolle und schon wochenlang vorher ausverkaufte Dresdner Schlachthof mit seinem wie für Nordlichter-Veranstaltungen geschaffenen, pittoresken Ambiente, empfing die zahlreich erschienenen Musikliebhaber aller Couleur schon lange vor Konzertbeginn mit einer seltsam elektrisierenden Stimmung in seinen Jugendstilräumen.
Eine Formation junger Musiker, welche in diesen Tagen verstärkt die Feuilltonsseiten einschlägiger Musikgazetten füllen, Millionenverkäufe ihrer aktuellen Veröffentlichung vermelden und zunehmend ein junges, schnelle Medien-beschwörendes Zielpublikum dazugewinnen, sollen an diesem Abend ihren letzten Auftritt im Rahmen einer kurzen, umjubelten Deutschlandvisite absolvieren.
Eigentlich klingt es fast wie eines jener unzähligen Rock'n'Roll-Märchen, von den armen blutjungen Burschen, welche sich vor fünfzehn Jahren dafür entschieden, westliche Rock/Popmusik zu kopieren, sich auf den Leib zu schneidern und sich selbst damit zu erfinden, um der kleinbürgerlichen Enge ihrer Heimatstadt Reykjavik zu entfliehen.
Sigur Rós, deren Namensgebung schlicht und einfach den Namen von Sänger Jón Þór Birgissons Schwester zuzuschreiben ist, wussten schon damals mit dem nötigen Selbstbewusstsein bzw. einer gewissen Arroganz zu behaupten, mit ihrer Musik unsterblich werden zu wollen.
Im Jetzt vermögen es die vier Musikergesellen aus dem nicht gerade sonnenverwöhnten Island, eine Millionenhörerschaft in ihren Bann zu ziehen, hinter den heiligen Gemäuern der legendendären Abbey Road-Studios ihre Musik aufzunehmen und nebenbei mal eben das Londoner Symphonieorchester als Untermalung aufspielen zu lassen.
Vielleicht erklärt ein Zitat aus der kürzlich erschienenen DVD-Dokumentation "Heima" ihren kontinuierlich ansteigenden Erfolg:
»Die Leute denken, wir verfolgen mit unserer Musik irgendeinen Plan. Aber wenn wir zusammen spielen, reden wir nicht mal. Es entsteht einfach.«
Deren episch in sich gekehrte, eremitenhafte, musikalische Grundkonzeption, welche sich so gar nicht massenkompatibel darbietet, ist und bleibt ein Phänomen bzw. funktioniert in einer von zähnefletschenden Monopolisten umkämpften Musiklandschaft.
Sigur Rós sind das konsequenteste, vielleicht schönste, entrückendste und bizarrste Gesamtkunstwerk, das die so genannte Indiepop-Kultur seit Ewigkeiten hervorbrachte.
Ólafur ArnaldsUnd das sollte man rückblickend von diesem emotionsgeladenen Konzertabend behaupten dürfen, welcher sich tief in so manchem Unterbewusstsein eingenistet haben müsste. Angereichert wurde dieser Abend mit dem aus schlichter Schönheit bestehenden Programm des gerade mal zwanzig Jahre alten Landsmannes Ólafur Arnalds, welcher eigentlich bis vor kurzem als Schlagzeuger einer Hardcore-Band seine Brötchen verdiente.
Heute zaubert er feine minimalistische Sinfonien aus seinen Fingern, eine Art Schnittmenge aus Zeitlupen-Ambiente, bzw. elektronischen Geräuschfragmenten und dem Instrumentarium klassischer Musik.
Ólafur ArnaldsÓlafurs Mini-Orchester verführte das andächtig lauschende Publikum im abgedämmten Bühnenlicht in ein astrales musikalisches Labyrinth, und dies ganz natürlich, ohne die dick aufgetragene Pathetik eines Traumfabrik-Filmsoundtracks. Wohlklang für das Volk, welches sich sehr aufmerksam und mit Begeisterung, abgeschirmt vom Zivilisationslärm der Großstadt, dazu verleiten ließ.
Ólafur Arnalds    Ólafur Arnalds    Ólafur Arnalds
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Was nach dem kurzen Bühnenaufbau passierte, entbietet jeglicher greifbarer Beschreibungen in Worten seinem Tribut. Im gleißenden Gegenlicht eines Scheinwerfers scheuten die vier Musiker keine Sekunde lang zurück, die mit illustrem Instrumentarium vollgestellte Bühne mit ihrer Musik zu vereinnahmen. Mit einer wachsenden Pianosequenz servierten uns die Isländer im weiteren Verlauf eine Klangkelle, welche so überdimensioniert war, wie es wahrscheinlich nicht jeder erwartet hatte.
Sigur RósMit Blick auf den Goldstaub-bedeckten Sänger Jónsi, dessen hagere, außerirdisch anmutende Schattengestalt mit einem Cellobogen über die Gitarre streichelte, während seine drei Bandkollegen langsam ein rhythmisches Geflecht aufbauten, um im Verlauf dieser surrealen Szenerie die realitätsferne Soundkulisse als opulentes Gitarrengetöse zerreißen zu lassen.
Das betagte"Svefn-G-Englar" bildete den elegischen Auftakt für eine neunzigminütige Odyssee durch sphärische Klanglandschaften mit dem gewissen nordischen Crescendo und allerlei verhexten Fabelwesen, bzw. Tolkiens Mythen im Schlepptau. Und es sollte noch eine ganze Weile dauern, bis die Vier mit dem farbenfrohen, poppigen Songmaterial des aktuellen Werkes, "Med Sut I Eyrum Vid Spilum Endalaust" (zu deutsch: Mit einem Summen im Ohr spielen wir endlos), aufwarteten.
Sigur RósDer auf einem Auge erblindete Jónsi Birgisson, mit der berüchtigt ätherischen, knabenhaften Falsett-Gesangsstimme, Tieftöner Georg Holm sowie Multiinstrumentalist Kjartan Sveinsson und Schlagzeuger Orri Páll Dýrason, vermögen es durchaus, selbst konzertant ihre abstrakt-flächigen, schwebenden Kompositionen ohne Umwege in die Hirne zu bohren.
Schwelende Orgelakkorde, himmelhoch jauchzende Gitarren, elfenhafte Gesänge, kreischende Rückkoppelungen, donnergrollendes Schlagwerk, filigrane Tastengespinnste und Glockenspielmotive, machen den Hörer glaubend, zeitlupenhaft die kargen, nebelverhangenen, aber dennoch majestätischen Gletscher- und Lavalandschaften im Regenbogen ausbrechender Geysire zu erleben.
Die Musik der Isländer erinnert an süffige Teenager-Symphonien der siebziger Jahre, an leicht verstrahlte Soundscapes à la Pink Floyd, sowie an Hymnen der Seeligkeit oder gar Sirenengesang zum dämonischen Rock'n'Roll.
Sigur RósDie auf den Punkt gespielten Stücke wirkten wie ein einziges, kreisendes Klangzentrum, statisch und doch sehr bewegt, erzeugten zusammen mit dem dramatischen Gestus der Protagonisten und dem sehr geschmackvoll bzw. versierten Bühnenlicht mehrere Serotoninausschüttungen bei der mittlerweile erhitzten Menge.
Die Gesangsstimme fungiert mehr als Instrument, die Texte, teils im schratigem Isländisch, teils auf 'Hopeländisch', einer selbstkreiirte Kunstsprache, spielen hierbei eher eine Nebenrolle.
Dabei fühlte sich so mancher Konzertbesucher doch genötigt, Birgissons Aussage Glauben zu schenken, Sigur Rós musiziere doch eigentlich nur Rock und keinen Esoterikklimbim.
Sigur RósAnsonsten mussten die Akteure diesmal ohne die voluminöse Unterstützung vom femininen Streicherquartett Amiina und der fünf Mann starken Blaskapelle auskommen - sozusagen puristisch und mit besonderem Reiz.
Dieser Zustand bereitete der nordischen Gelassenheit der vier Künstler, die ihre Bühnenlandschaft unter luminierenden Monden völlig auszufüllen vermochten, keinerlei Kopfschmerzen. Musikalisch schien die Welt wohl an diesem Abend heil zu sein bzw. man durfte sich ganz den subtil gesponnenen Webkünsten der Isländer hingeben. Schwelgerisch in den Tönen der Tasten und Saiten, erwärmend im Timbre des Gesangs, geizte dass mit reichlich Vorschusslorbeeren behangene Miniorchester keinesfalls mit effektvoller Brillanz. Ein selten so erlebtes aufmerksames Publikum, welches sich nur zwischen den Stücken in frenetischem Jubel äußerte, ließ sich nur zu gern von strömenden Wohllauten ummanteln. Pärchen lauschten umschlungen und wiegend geschlossenen Auges den melancholischen Lustbarkeiten.
Sigur RósIhr Repertoire war diesmal weit gestreut: Brachiale Ausbrüche lagen nah neben sehr intimen, unaufgeregten Momenten. Schon bewährte, ausufernde leicht unterkühlte Endzeit-Sinfonien aus vergangenen Tagen, teilten sich mit kürzerem, knackigerem Songmaterial aktueller Machart das Konzertterrain. So entfachte das Quartett gegen Ende mit dem zappelig-rhythmischen, fast heiter überdrehten Popsong "Gobbledigook" den kollektiven Frohsinn, und ließ mit reichlich Konfettiregen die Bühnenbretter in ein strahlendes Weiß eintauchen.
Man muss diesen Musikern mit Sicherheit nicht mehr apostrophieren, dass sie klanglich, wie auch dramaturgisch, weit weg von den engen Plastikschubladen unserer derzeitigen Popkultur agieren, muss aber mit der Befürchtung leben, dass ihre momentane Erfolgskurve bzw. medientaugliche Vermarktung kreativitätstötend wirken könnte, oder die doch sehr bodenständig gebliebenen Jungs zukünftig in kalten unpersönlichen Arenen für ein Massenpublikum aufspielen müssen.
Sigur Rós beherrschen die Sprache der jetzigen Musikgeneration, welche sich wieder verstärkt nach Werten einer längst vergangenen Blumenkinderbewegung, nach Herzenswärme und, wenngleich in kurzen Schüben, nach Glückseligkeit sehnen.
Und mit dem wunderbar rauchigen "Popplagid" im Ohr, entschwand so allmählich ein noch benommenes Konzertpulikum in die Dresdner Vollmondnacht, mit der leichten Hoffnung auf das nächste Sigur Rós-Happening.
Setlist:
01:Svefn-G-Englar
02:Glosoli
03:Fljotavik
04:Ny Batteri
05:Vid Spilum Endalaust
06:Hoppipolla
07:Med Blodnasir
08:Festival
09:Heysatan
10:Saeglopur
11:Inni Mer Syngur Vitleysingur
12:Hafsol
13:Gobbledigook
14: Popplagid (Zugabe)
Ólafur Arnalds     Ólafur Arnalds     Ólafur Arnalds     Ólafur Arnalds
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RockTimes bedankt sich für die freundliche Unterstützung bei Bernd Aust Kultur Management GmbH und allen fleißigen Helfern dieser Konzertveranstaltung.
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