"Aha!" und "Wow!" kamen mir in dem Sinn - direkt nachdem ich "Uii!" und "Oha!" laut ausgesprochen hatte, das aber wohl im lauten Opener "Flesh" von Smokewagon untergegangen sein muss. Der Refrain ist gerade das erste Mal durchgelaufen und ich muss meine Gedanken erst einmal neu ordnen. Wirft mich doch das zweite Album der Band irgendwie aus der Bahn. Ein intensives Gefühl von 'es gibt noch hell-leuchtende Sterne im Universum der unbekannnten Rockbands'. Ich bin geblendet von den kreischenden Gitarren, den harten Riffs und mehr als überrascht vom Text. Der Opener ist gelungen - die Kopfschmerzen vom Trinken gestern sind wie weggeblasen und ich bin schon seit der ersten Textzeile "In the morning the alarm clock's ringing it's singing it's song at me!" hellwach.
Beim folgenden "Brutus" bekomme ich Angst. Nicht nur weil dieser dich vor 'Ihnen' warnt, sondern weil ich hier auf eine Steigerung gehofft hatte, die mich aber trotzdem unerwartet trifft. Etwas langsamer, aber intensiver.
Die CD "Deuce" der Band Smokewagon aus Brooklyn (New York) ist heißer als mein Kaffee, an dem ich mir gerade den Mund verbrannt habe. Eine Rockscheibe, bei der ich gar nicht glauben mag, dass so ein druckvoller Sound von nur drei Mann erzeugt wird. Es ist diese Art von Rock, wo man mit dem Gedanken spielt, seine Blues-Gitarre wieder in die Ecke zu stellen und die alten Lederklamotten aus dem Keller zu holen. Wo ist das Fass, dass man uns versprach? Wo sind die Kumpels mit ihren Bikes? Die CD macht mich wild! Ich vergesse, dass heute Sonntag ist - ich rebelliere und dreh' die Anlage noch lauter auf. Sollen die Nachbarn ruhig klingeln bis ihnen die Finger bluten - ich höre es eh nicht.
Nach dem ruhigeren "California" wird die Band mit "Remember" gnadenlos - unbeschreiblich. So gerockt habe ich das letzte mal bei den frühen AC/DC-Platten. Mit so einer Wucht wird der Rock vorangetrieben. Und ich weiß immer noch nicht, was mir besser gefällt. Der Powerrock, das schnelle Gitarrensolo oder die Textpassage "like Howlin' Wolf drunk out of his brain comin' into Memphis on a midnight train."
Kann es denn noch besser werden? Na klar. Eine Leichtigkeit - einfach ein paar Lieder weiterschalten. "Me And The Devil" - und man hat einen Heavy Rock-Song mit einem Touch Blues. Die Band bleibt ihrem Stil treu.
Es ist lediglich ein erstklassiger Rocksong, mit erstklassigem Text, passend unterstützt von einer Slide-Gitarre.
"Bombs" ist ein Stück, das mich gesanglich an die guten Sachen von Metallica erinnert, im Refrain aber melodisch ist, wie ein Happy-80s-Rock-Song von Whitesnake. Aber erinnert mich nur daran - in Wirklichkeit ist das Lied viel besser: "one, two, three, four - hey man, let's have a war!". Eine Anti-Kriegs-Nummer, die die schon erwähnten Tracks auffrisst. Werden diese von Lied zu Lied besser, oder ist die
verdammte ganze Scheibe so gut? Ich fühle die Antwort zwischen den Riffs.
Nummer 7 ist "Jackson". Wer jetzt an den 'King of Pop' denkt, der liegt ganz falsch. Eigentlich fühle ich mich schlecht, ihn jetzt hier zu erwähnen - der Song ist so emotional und traurig vorgetragen, dass ich eine Gänsehaut bekomme und meine Augen feucht werden. Diese Komposition transportiert erfolgreich die Stimmung, mit der sie wohl auch geschrieben worden ist - macht mich traurig - unterstreicht meine Nachdenklichkeit, da hinter dem Stück sogar noch eine 20-Sekunden-Gedenkpause eingelegt wird! Gab es so was schon mal?
Es geht etwas ruhiger mit "Drunken Angel" weiter - leider gibt es dazu im Booklet keinen Text. Hab' gesucht, aber auch keine weiteren Infos gefunden. Aber der Titel steht ja auch für sich selber.
Und jetzt wieder was für die Nachbarn: "Fireball". Keine Coverversion vom Deep Purple-Klassiker - geht aber (fast) genauso gut ab. Es ist kein Heavy Rock, aber Rock mit einem Hauch Country?! Bin da etwas unsicher.
Sorry. Die Scheibe wird auf keinen Fall schlechter, aber ihr Stil hat sich fast unbemerkt verändert. Nach dem langsamen "Jackson" fiel es gar nicht auf. Verglichen mit den ersten Nummern hätte ich nicht gedacht, dass diese Tracks ebenfalls auf der selben CD sein könnten.
Die harten Töne sind noch da, aber nicht mehr ganz so straight - sondern melodischer, feiner und noch intensiver in Szene gesetzt. Ich rede übrigens vom gerade laufenden "Model
Citizen".
Die Band weiß wie man Musik macht. "Who Could Love Me Now" - ein Lied über Sehnsucht und Existenzangst beginnt (und endet) mit einem Regenschauer... zuvor jedoch wird die Akustikgitarre mit Stahlsaiten eingesetzt und das Schlagzeug sanft in den Hintergrund gedrängt. Bevor es dann - im Low-Tempo - kraftvoll die CD beendet. Mit knapp 8 min. das längste Stück auf der CD.
Halt! Moment.... das Album könnte jetzt zu Ende sein. Nein, müsste sogar. Ist es aber nicht - es folgt noch eine 5-minütige gelungene Coverversion von "Whiskey In The Jar" mit leicht abgeänderten Text. Das passt musikalisch nicht zum Rest der CD. Ein Southern-Texas-Western-Song irgendwie. Gut - aber anders. Keine elektrischen oder verzerrten Gitarren - kein Hardrock-Beat. Was angenehm ruhiges - und durch den abgeänderten Text ein bekanntes Lied, bei dem es noch neue Dinge zu entdecken gibt.
Ja, Smokewagons zweites Album "Deuce" ist eine Top-Scheibe! Klasse.
Anfangs dachte ich noch: "kenn die Band nicht - was soll ich bloß dazu
schreiben", so waren nach dem ersten Hören alle Ängste weg. Und das Review schrieb sich fast von allein. Leute, reinhören und kaufen. Die CD kann ich mit besten Gewissen empfehlen!!!
Auf die Frage, warum die Lyrics zu "Drunken Angel" nicht im Booklet
stehen, antwortet Kevin:
"Den Text zu "Drunken Angel" haben wir absichtlich nicht abdrucken
lassen, weil dieser von Lucinda Williams geschrieben worden ist und wir
nicht wollten, dass die Leute denken, dass es unser Song ist.
Traurigerweise sind durch eine Unachtsamkeit alle weiteren Publish-Informationen verloren gegangen - wir standen ziemlich unter Zeitdruck, um die Vorlage pünktlich bei der Druckerei abzugeben und haben diese Details bei der Anfertigung der Vorlage dann schlicht vergessen."
Auf die Frage, wer die Songs auf dem Album "Deuce" geschrieben hat,
antwortet Kevin:
"Alle restlichen Songs sind von mir, bzw. der Band geschrieben. Außer
"Whiskey In The Jar" natürlich, welcher ja ein Klassiker ist. Allerdings mussten wir den Text des Liedes anpassen, um daraus anstelle eines Irish-Song eine Art Cowboy-Song zu machen. Das ist auf meinem Mist gewachsen und ich trage dafür die volle Verantwortung - ob's gefällt oder nicht."
Kevin Olmen: guitar, voc, keys
Pat Fondiller: bass, mandolin
Jesse Howard: drums
Spielzeit: 52:27, Medium: CD, Eigenvertrieb, 2006
1: Flesh 2:Brutus 3:California 4:Remember 5:Me And The Devil 6:Bombs 7:Jackson 8:Drunken Angel 9:Fireball 10:Model Citizen 11:Who Could Love Me 12:Whiskey In The Jar
Tom Kaldyka, 29.05.2006
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