Es ist schon erstaunlich, dass es Musikgruppen schafften, über vier Jahrzehnte mit einem häufig wechselnden Besetzungskarusell, Musikgeschichte mit zu schreiben, und dabei für eine eher geringere Hörerklientel wirklich bekannt bzw. prägend zu sein.
Die besagte Band hat eigentlich nie musikalisch zur Revolution aufgerufen, aber trotzdem maßgeblich anspruchsvolle Rockmusik revolutioniert.
Soft Machine gehören zweifelsohne zu den Goldgräbern des Britischen Kunstrock, die
ihre Zuhörer im Frühjahr 1967 schon arg verwirrten, als diese im berüchtigten Londoner 'UFO-Club', wo es oft zu gemeinsamen Auftritten mit Pink Floyd kam, mit einer ungewohnt esoterische Mischung aus Rock, FreeJazz und Effekten aus der avantgardistischen
E-Musik aufwarteten.
Das nach einem Roman von William S. Burroughs benannte Quartett, formierte sich 1966 in Canterbury, Grafschaft Kent, wo sie sehr bald eine zentrale Rolle in der dortigen Szene innehatten, aber erst einmal ihren künstlerischen und musikalisch experimentellen Freiraum seinerzeit in Paris auslebten.
Nach ihrer Abwanderung nach 'Swinging London' avancierten sie neben den revolutionären Pink Floyd, zu den Kultstars des Britischen Psychedelic Rock. So gingen sie 1968 im Vorprogramm von Jimi Hendrix auf eine ausgedehnte US-Tournee, worauf dessen Manager Chas Chandler das erste reguläre, leider erfolglose, selbstbetitelte Album produzierte.
Mit fluktuierender Besetzung tendierten Soft Machine ab 1969 jetzt stärker zu typischen Jazz-Harmonien, einer spielerisch ungeraden Metrik mit einer adäquat dichten Rhythmussektion. Sie verstärkten ihr Gebläse, von denen Elton Dean (alt sax) zum vierten ständigen Mitglied wurde.
Das dritte Album "Third" gilt heute zusammen mit Miles Davis' "Bitches Brew" als eines der bedeutendsten Dokumente der Fusion von Jazz und Rock.
Ohne Stillstand, auch im personellen Bereich, entwickelten die Herren ihren kontroversen Jazz, bereichert durch Einflüsse von John Coltranes Big-Band-Sound und dem europäischen Free Jazz.
Mit der fünften Langspielplatte 1971, bei der übrigens Schlagzeuger John Marshall dazu stieß, markierten sie, aus heutiger Sicht, den Höhepunkt ihres kreativen Schaffens. Ihre rein instrumentalen Kompositionen von höchster Präzision strotzten nur so von komplizierten Rhythmus- bzw. Harmoniewechsel. Selbiger Einfluss auf die Entwicklung des Jazzrocks kann kaum hoch genug eingeschätzt werden.
Bis 1973 war der Wandel in Richtung Fusion nun endgültig vollzogen und die minutiös erarbeiteten Arrangements der Band wurden prägnanter, rhythmischer und sogar etwas mainstreamiger.
Soft Machine lösten sich offiziell niemals richtig auf, ihre Aktivitäten wurden immer sporadischer und mit ihrem 81er Studio-Output "Land Of Cockayne", das trotz prominenter Beteiligung (Jack Bruce am Bass) weder bei den Kritikern noch beim Publikum Anklang fand, stellte die Combo alle Arbeiten endgültig ein.
"Statt die Kunst von ihrem Podest herunterzuholen, wie es das fundamentale Verdienst anderer Popgruppen ist, ist die Soft Machine im Gegenteil in ein künstlerisches Niemandsland zurückgekehrt." (Rolling Stone)
Erst seit einer Reformierung 1999 und ab Herbst 2004, neuerdings unter dem Pseudonym
Soft Machine Legacy, harmonierte die Chemie wieder bei den Herren Elton Dean (Sax-alto-Fender Rhodes), Hugh Hopper (Bass), John Etheridge (g) und John Marshall (Schlagzeug), die auch hochmotiviert für das 'WDR'-Fernsehen anlässlich der '26. Leverkusener Jazztage' im November vergangenen Jahres, einen exzellenten Konzertmitschnitt ablieferten, der nahezu identisch mit der uns aktuell vorliegenden DVD-Veröffentlichung ist und die Akteure bei ihrem Auftritt am 12. Dezember 2005 aus dem 'Pariser New Morning' beeindruckend dokumentiert.
Übrigens auch ein letztes trauriges Bild- und Tonzeugnis von Saxophonist Elton Dean, der leider kurz nach den Aufnahmen das Zeitliche segnete, der aber mit Sicherheit im Geist des Ensembles weiterleben dürfte.
Konzertaufführungen können manchmal recht langweilig und ermüdend sein. So bekommt man bei diesem visuellen Mitschnitt zunächst den Eindruck, die Musiker agieren etwas träge
bzw. lustlos, was dessen Unterhaltungswert nicht unbedingt steigert.
Mit äußerst geringer, aber klarer Zeichengebung schaffen es die Akteure dennoch, einen subtil gestalteten orchestralen Untergrund zu gestalten, der auf scharfe Akzente setzt, aber auf jegliche Effekthascherei verzichtet.
Die Instrumental-Senioren legen hierbei eine absolute Perfektion an den Tag, die technisch wie klanglich hervorragende Ergebnisse liefert, wobei das Blechgebläse zum höchst differenzierten Oeuvre positiv beiträgt. Das Ganze vereinigt sich zu einem schlüssigen, in sich ruhenden Gesamtbild, in dem Marshall und Dean scheinbar mühelos jeden Höhepunkt, jede Symbolik mit Evidenz herausschälen können. Hier verschmilzt wirklich Raum und Musik zu einer Einheit.
Dieser zivilisierte Dialog zwischen zwei klangstarken Instrumenten wird natürlich, trotz allem spielerischen Freigeist und Improvisation, von einem breiten Rhythmusfundament gestützt. Diese Symbiose und interpretatorische Leistung vermag es, entgegen aller Längen, den Konsumenten unablässig in den Bann zu ziehen.
Das Repertoire erstreckt sich vom frappant improvisierten und kopflastig fragmentarisierten Kompositionen, bis hin zu rockbetonten teils Disharmonie verkosteten Intentionen.
Das Konzert startet mit "Ash", bei welchem Saxophon und elektrische Gitarre erstaunliche Dialoge miteinander verfechten und das improvisierte Spiel magisch verzahnt.
Es wird hier teilweise schon eine zelebrierte Stille praktiziert, die aber immer wieder mit Leidenschaft aufgebrochen wird.
Etheridge lässt es dabei häufig heftig angehen und scheut sich nicht mit Dean in punkto solistischer Egozentrik zu wetteifern.
Dieser Gitarrist ist die bessere kraftvollere Alternative für das Ensemble, der mit seinem kompromisslosen Spiel einfach mehr Vitalität mit einbringt.
Ungeheuer ist sicherlich auch, dass die Altherrenriege noch in der Lage ist, solch elegante, epische Canterburyeske Komposition wie "Kings And Queens" mit Lust aus dem Ärmel zu schütteln bzw. zu erwecken.
"Two Down" gibt Marshall und Etheridge den nötigen improvisativen Raum, was die beiden ungeniert, erstaunlich auszunutzen wissen.
Soft Machines elektrischer Jazzrock malt kraftvoll und gibt dem Gebläse und den Saiteninstrumenten immer den angestandenen Spielraum, indessen Hopper und Marshall einen spannenden bzw. virtuosen Rhythmusteppisch entwerfen.
Ihre Musik ist "wie ein Liebesakt. Nach einem Höhepunkt ruht man sich aus, umspielt sich ein bisschen, macht weiter, ruht sich wieder aus und so fort." (Wyatt)
Das Aufeinandertreffen dieser Konstellation von Musikerkollegen, Komponisten bzw. wilden freidenkenden und hartnäckig ausschürfenden Intellektuellen mit gerade dieser Konzeption macht den gemeinsamen Geist dieser aggressiven und gleichzeitig Zarten und im höchsten Maß inspirierten Klangmalereien aus.
In den Tagen des musikalischen Urknalls der Sechziger, Psychedelica genannt, symbolisierte Soft Machine immer den Dialog zwischen Musikern, die eine Synthese der ungezähmten Energie des Rock mit der improvisatorischen Gewalt des Jazz verbanden. Vierzig Jahre später leben und musizieren dieselben Epigonen ihren Traum noch immer, immun gegen jegliche kreative Zwangsjacken der Musikindustrie.
Freiheit ist eben zeitlos!
Der äußerst transparente Ton auch im Surround-Gewand und die Bildqualität ist, wie man es von In-Akustik Tonträgern gewöhnt ist, über alle Zweifel erhaben.
Als Extra-Feature gibt es noch ein Gespräch mit den Hauptdarstellern zu sehen.
Wer also auf einen guten Ton bedacht ist, dem kann diese DVD uneingeschränkt empfohlen werden. Die echten Soft Machine-Fans und Anhänger des anspruchsvollen Jazz werden sich die Scheibe ohnehin ins heimische Regal stellen.
Technik:
Format:Stereo,Dolby Digital 5.1,Dts
Bild:4:3,Region:0
Spielzeit: 116:00, Medium: DVD, in-akustik, 2006, Jazz Rock
1:Ash 2:Seven For Love 3:12124:Baker's Treat 5:Has Riff 6:Kings And Queens
7:Sideburn 8:Two Down 9:Kite Runner 10:Strange Comforts
Ingolf Schmock, 18.06.2006
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