Mit einem riesigen Paukenschlag schlug seinerzeit - anno 1978 - die Nina Hagen Band in die deutsche Rockszene ein. Abgesehen von der unvergleichlichen 'Röhre' der Frontfrau beeindruckte mich vor allem die exzellent agierende Band. Auch wenn die Sängerin einen auf rotzigen Punk machte - das war keine Punkband! Das war eine hochklassige Rockband - für mich vielleicht die Beste, die ich bis dato aus heimatlichen Breitengraden gehört hatte. Dass die Hagen einen Knall hatte, war relativ schnell klar. Aufgrund vertraglicher Verpflichtungen musste noch ein zweites Album eingespielt werden, das wahrhaftiges "Unbehagen" auslöste. Man hörte dem fertigen Produkt an, dass sich Band und Sängerin aus dem Weg gegangen und zu diesem zweiten Album niemals gemeinsam im Studio waren. Während Nina Hagen danach in geistige Wirren abglitt (und bis in heutige Tage darin verstrickt zu sein scheint), war völlig klar, dass von dieser Band noch einiges zu erwarten sein würde.
Für die Spliff Radio Show sicherte man sich die Dienste eines im wahren Wortsinn irren Sängers, dem Australier Alf Klimek, und lieferte ein tolles Konzeptalbum über die Schaffung eines Rockstars ab. In der Retrospektive wirkt die Spliff Radio Show allerdings schon etwas putzig. Man konnte halt damals noch unmöglich ahnen, was zwei Jahrzehnte später in Casting-Shows im deutschen Unterschicht-Fernsehen abgehen sollte.
Während diese Punk- und Hard Rock-Kiste 1980 auf eine bemerkenswerte Tournee ging, trällerte bereits die Neue Deutsche Welle fröhlich-debil durch deutsche Radiostationen. Dass man das besser machen kann und muss, war den vier 'Spliffern' sofort klar. Und so erschien zwei Jahre später mit dem nach der CBS-Katalognummer benannten "85555" ein echter Meilenstein der deutschen Pop- und Rockgeschichte. Auch wenn Spliff insgesamt nur knapp vier Jahre Bestand hatte, wurden in dieser kurzen Zeit mit drei exzellenten Alben hierzulande neue Maßstäbe gesetzt.
Leider war alles ebenso schnell vorbei, wie es begonnen hatte. Einzig Herwig Mitteregger gelang eine erfolgreiche Solokarriere. Reinhold Heil, Manne Praeker und Bernhard Potschka sind bis in heutige Tage erfolgreiche Produzenten, Musiker und Komponisten von Filmmusiken.
Was soll ich hier groß die Musik Spliffs beschreiben? Gibt es tatsächlich jemanden, der "Carbonara", "Das Blech", "Heut' Nacht" oder "Computer sind doof" nicht kennt? Die Songs der ersten Disc von "Kult" kennt selbst heutzutage jedes Kind. Mehr noch: Diese Stücke sind Teil deutschen Kulturgutes geworden. Punkt!
Natürlich bieten solche Compilations immer den perfekten Anlass zum Meckern. Warum sind nur zwei Songs der Spliff Radio Show dabei? Warum so wenig Songs des (tollen) dritten Albums "Schwarz auf Weiss"? Und jeder Zweite wird wohl 'seinen' Song vermissen - wie ich persönlich "Rand der Welt".
Egal, die Songauswahl auf "Kult" passt schon! Der spliff'sche Mix aus Überresten der Punk-Ära, Electro, Funk und radiokompatiblem Rock macht richtig große Wiederhörensfreude. Der ein oder andere Radio Show-Track - ich denke da an "Gravy" oder "Cheap Chicks" - hätte sich allerdings schon gut gemacht. Die Wehmut wird allerdings mit dem achtminütigen "Rock Is A Drug" eindrucksvoll weggeblasen.
Die zweite Disc beinhaltet immerhin sieben Songs, die erstmals auf CD gebannt wurden. Neben 12" Remixes von "Augen zu!", "Jerusalem" und "Telefon Terror" sind dies zwei (von vier) Filmmusiken aus dem 1986er Schimanski-Tatort "Zweierlei Blut". "Rock'n'Roll Refugee" ist ein Outtake aus der Debüt-Scheibe, wobei schon klar wird, warum es dieser Song nicht auf "The Spliff Radio Show" schaffte. Hochinteressant ist natürlich "Tooled Fool", eine Aufnahme mit Alf Klimek aus dem Jahr 1981, die lediglich als B-Seite von "Rock'n'Roll Refugee" vermarktet wurde. Diese Aufnahmesession muss demzufolge kurz vor dem radikalen Umbruch des musikalischen Konzeptes stattgefunden haben.
Ganz nett ist auch die englische Version von "Heut' Nacht", "Tonite", die 1982 auf dem für den englischsprachigen Markt bestimmten LP "85555 International" erschien, das sich als Mega-Flop erwies. Die 12" Remixes sind gespickt mit allerlei elektronischen Spielereien und für Technik- und Kopfhörer-Freaks sicherlich hochinteressant - mich persönlich haben solcherlei Sound-Gimmicks nie großartig inspiriert. Da hätte mich ein Remix des Punk-Rockers "Müller" weitaus mehr angemacht...
Die drei Spliff-Studioalben sind auf sage und schreibe neun Compilations ausgeschlachtet worden - rekordverdächtig. Wohl nur die Hooters haben ihre drei ersten Alben radikaler ausgeweidet.
Betrachtet man den Anlass der Veröffentlichung von "Kult" - nämlich das dreißigste Bandjubiläum - macht die Doppel-Scheibe optisch nicht viel her. Da wäre ein informativeres und schöner gestaltetes Booklet angemessen gewesen. So muss man sich mit knappen Liner-notes und kurzen Basisinfos zu den Songs begnügen.
Rein musikalisch ist "Kult" dagegen eine überaus vergnügliche Reise in die deutsche Musikwelt der aAchtziger Jahre... und "Rock Is A Drug" ist der Oberknüller davon!
Line-up:
Herwig Mitteregger (vocals, drums)
Reinhold Heil (vocals, keyboards)
Manne Praeker (vocals, bass)
Bernhard Potschka (guitars, vocals)
Additional Line-up Spliff Radio Show [- #11, 18 (CD 1), - #12, 13 (CD 2)]:
Alf Klimek (lead vocals)
Rik De Lisle, Lisa Bialac, Lyma Russel (vocals)
Billy Gwartney (DJ)
Tracklist |
CD 1:
01:Herzlichen Glückwunsch (4:37)
02:Dèjá vu (4:05)
03:Radio (4:23)
04 Carbonara (3:56)
05:Labyrinth (4:28)
06:Duett komplett (2:15)
07:Das Bleck (3:38)
08:Computer sind doof (2:57)
09:Jerusalem (4:13)
10:Kill (4:10)
11:Sweet As Radio (3:56)
12:Heut' Nacht (4:22)
13:Augen zu! (3:28)
14:Glaspalast (5:50)
15:Telefon Terror (3:41)
16:Herr Kennedy (3:00)
17:Notausgang (2:49)
18:Rock Is A Drug (7:55) |
CD 2:
01:Das Blech [Ben Liebrand 12" Mix] (5:05)
02:Augen zu! [12" Version] (5:03)
03:Radio [Special 12" Club Mix] (6:04)
04:High Noon [Tatort "Zweierlei Blut"] (3:19)
05:In The Gutter [Tatort "Zweierlei Blut"] (2:55)
06:Carbonara [Remix] (5:31)
07:Jerusalem [Live 12" Version] (6:31)
08:Telefon Terror [Extend 12" Dance Mix] (5:57)
09:Tonite [Heut' Nacht] (4:57)
10:Juke Box Disco [Tatort "Zweierlei Blut"] (3:25)
11:Die Ruhrratten [Tatort "Zweierlei Blut"] (2:52)
12:Tooled Fool (4:18)
13:Rock'n'Roll Refugee (4:29) |
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Externe Links:
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