Spooky Tooth / It's All About
(Reissue)
It's All About
Also, manchmal sind CD-Reissues geradezu waffenscheinpflichtig!
Wenn sie denn überhaupt auf den Markt kommen.
Und auch nur dann, wenn Leute daran arbeiten, die etwas von ihrem jeweiligen Job verstehen.
Dies scheint offenbar in gehäufter Form beim deutschen Reissue-Spezialistenlabel 'Repertoire' der Fall zu sein.
Denn seit geraumer Zeit erscheinen dort Reissue-CD's, die sowohl klanglich, als auch von ihrer Aufmachung her, ihres Gleichen suchen.
Ein weiterer Meilenstein dieses renommierten Hauses ist die Aufbereitung des Backkataloges einer Formation namens Spooky Tooth.
Ja, seltsamer Name, von wegen Spukzahn oder so ähnlich.
Aber die Jungs aus dem Königreich waren diesbezüglich von jeher phantasievoll gewesen, nannten Mike Harrison (vocals, piano, harp), Greg Ridley (bass) und Luther Grosvenor (guitar, vocals) ihre erste gemeinsame Band doch ganz unbescheiden The V.I.P.'s und sorgten 1965/1966, unter anderem im Hamburger 'Star-Club', mit rohem, soulrockgetränkten R&B für Furore.
In dieser Zeit veröffentlichten sie auch einige EP's, die heute absolute Sammlerraritäten darstellen und astronomische Preise erzielen.
Offenbar aus rechtlichen Gründen gibt es bis dato keine Wiederveröffentlichung auf Vinyl oder CD, außer von einem kleinen (halboffiziellen?) Speziallabel aus Sydney ('Progressiv Line'), was sehr schade ist, denn die V.I.P.'s hatten bei einigen Aufnahmen gar als Gastkeyboarder Mr. Keith Emerson (ab Ende 1967 The Nice und ab Mitte 1970 ELP) an Bord und boten einen hochgradig kompetenten, enthusiastischen, energetischen, zum Teil richtig stürmischen, aber auch soulig gefühlvollen R&B klassischer britischer Mittsechziger-Prägung (ein guter Orientierungspunkt ist die Spencer Davis Group!) mit großer instrumentaler Klasse und einem Mike Harrison am Mikro, der bei diesen Aufnahmen mehrfach an den ganz jungen Joe Cocker erinnert!
1967 ersetzte dann Mike Kellie den bisherigen Schlagzeuger der Gruppe und mit den drei bisher genannten V.I.P's zusammen wurde unter dem neuen, nicht weniger bescheidenen Namen Art ein heute legendäres Freakbeat Album ("Supernatural Fairy Tales") eingespielt, was neben einigen R&B Reminiszenzen inmitten des 'Summer Of Love' deutliche Psychedelic - Spielereien enthält, aber einerseits auch schöne melodische Grundgerüste offenbart, während es andererseits heftig rockende Eruptionen zu bieten hat.
Damit zeichneten sie den musikalische Weg zu weiteren Großtaten vor, obwohl noch kein kommerzieller Erfolg in Sicht war.
Aber die vier veröffentlichten immerhin beim brandneuen 'Island'-Label von Chris Blackwell, kamen unter die Fittiche des Produzenten Jimmy Miller, der zu der Zeit auch u.a. für Traffic oder die Rolling Stones zuständig war, integrierten mit Gary Wright (organ & vocals) noch ein fünftes Bandmitglied und gleichzeitig hervorragenden Songschreiber, der mit Jimmy Miller bereits gut bekannt war und mit selbigem auch fruchtbar zusammenarbeiten konnte, gewannen den damaligen Aufnahmeingenieur überhaupt, nämlich Glyn Johns, für das Projekt, benannten sich wiedereinmal um, diesmal ganz aberwitzig in Spooky Tooth, und fabrizierten unter der Flagge des zähnezeigenden Spuks letztendlich das epochale Debütalbum, um welches es hier primär gehen soll.
"It's All About" wurde das Teil in Europa genannt, die US-Ausgabe hieß dagegen "Tobacco Road", da genau dieser Titel, ein von John D.Loudermilk geschriebener knalliger R&B Rocker, in der Interpretation der Nashville Teens 1964 in den USA ein Hit war.
Dieser war Spooky Tooth mit ihrem Debüt vom Juni 1968 leider nicht vergönnt, obwohl es wirklich alles andere als zahnlos ausfiel.
Aus heutiger Sicht ist der kommerzielle Flop völlig unverständlich, denn sie hatten die sehr spannende musikalische Formel von "Supernatural Fairy Tales" noch weiterentwickelt, boten geradezu orgiastischen, schweren Psychedelic-R&B, wundervoll melodische Brecher wie "Sunshine Help Me", die das grundsätzliche Fundament dieser Band legten, bei aller Melodik und Soundspielerei verdammt 'heavy' zu sein, ohne auch nur entfernt in die Nähe des Heavy-Rocks zu kommen und hatten als Ergänzung gar klagende Softdramen wie "It Hurts You So" im Programm.
Ihre großen Trademarks waren eine schwerfällige Orgel, eruptive gitarristische (Riff)Ausbrüche von Luther Grosvenor und der sich komplett konterkarierende gemeinsame oder abwechselnde Leadgesang von Mike Harrison und Gary Wright. Während ersterer mit einer geerdeten, souligen, belegten und raspelnden Stimme zu Werke ging, klagte und schrie sich letzterer im höchsten Falsett durch die Songs.
Ein wirklich irrer Kontrast!
Zudem entbehrte manches, wie z.B. "Society's Child" nicht einer gewissen Dramatik.
Komplettiert wurde das Ganze durch einen Monsterbass von Greg Ridley, perkussive Stürme wie in "Love Really Changed Me" oder "Forget It I Got It" und diverse psychedelische Momente, wie das vom Harpsichord dominierte Titelstück oder das thematisch korrekt blubbernde "Bubbles".
Insgesamt gesehen also ein Album, wo es sich lohnt, auch die Feinheiten zu hören. Das war bisher, zumindest im CD-Zeitalter, nicht möglich. Nun haben aber dankenswerterweise die Leute von 'Repertoire', vermutlich in der Verantwortung von Maestro Eroc, wirklich ganze Arbeit geleistet, denn dieses Album wird einem als ein einziger Orgasmus aus den Lautsprechermembranen entgegengeschleudert, wie ich es bisher selten erlebt habe. Ein Hördurchgang bei voller Lautstärke ergibt einen gefühlten Gewichtsverlust beim Hörer von mindestens einem Kilo! Also ist eindeutig das Prädikat 'Waffenscheinpflichtig' zu vergeben! Oder etwa 'Diätmittel'?
Nein, dafür haben die Macher dieser Edition ein zu opulentes Paket geschnürt, denn es sind zusätzlich sämtliche Single A- und B-Seiten berücksichtigt, die kurz vor und nach der Albumveröffentlichung auf den Markt kamen, bis hin zu "The Weight", einer relativ werkgetreuen Coverversion des The Band Hits, der quasi zeitgleich im September 1968 herausgekommen war.
Erstmals gibt es diesen Titel auch in einwandfreiem Stereo zu hören, ansonsten sind getreu der Singlevorlagen alle Bonustitel ursprüngliche Monoabmischungen.
Und gerade die beiden B-Seiten "Weird"(ein Progressiv-Rock Vorreiter) und "Luger's Groove" (perkussives und orgelgestützt vorwärtstreibendes Instrumental mit Luther's Qualitätsgitarre, der sich als Autor dieses Stückes mal eben 'Peter Luger' nennt) sind sehr interessant, da sie auf dem regulären Album nicht auftauchen.
Genauso wenig wie das erwähnte "The Weight" und das formidable "Do Right People", ein bassgetriebenes Paradebeispiel für die Heavynis von Spooky Tooth.
Viel gefährlicher als so manches, was später als Heavy Rock oder Heavy Metal bezeichnet wurde. Wer heute so ne Nummer aufnimmt, landet umgehend in der Schublade Stoner Rock. Das mag auch als Synonym dafür stehen, dass es nicht die Geschwindigkeit ist, die den Härtegrad der Musik von Spooky Tooth ausmacht.
Und da die Etikettierung 'Stoner Rock' in der gegenwärtigen Musikszenerie durchaus eine gewisse Relevanz genießt, nicht zuletzt durch ausgesprochen formidable skandinavische Bands, sind die 'Repertoire'-Wiederveröffentlichungen alter Spooky Tooth Alben mehr als zu begrüßen.
Belegen sie doch eindrucksvoll, dass die Musikschaffenden Ende der Sechziger Jahre verdammt viel entwickelt haben, was prinzipiell grundlegend ist für alles, was wir ganz allgemein in der heutigen Moderne unter Rockmusik kennen und verstehen. Daher kann es von mir für diese "It's All About" Edition, noch dazu im schicken Digi-Pack und mit einem hochwertigen, informativem Booklet versehen, nicht weniger als 9 RockTimes Uhren geben, denn das Album gehört einfach in jede ernstzunehmende Rocksammlung!


Spielzeit: 65:40, Medium: CD, Repertoire Records, 2005 (Island Records 1968)
1:Society's Child 2:Love Really Changed Me 3:Here I Lived So Well 4:Too Much Of Nothing 5:Sunshine Help Me 6:It's All About A Roundabout 7:Tobacco Road 8:It Hurts You So 9:Forget It I Got It 10:Bubbles
Bonus Tracks: (Alle in Mono ausser #11 )
11:The Weight 12:Sunshine Help Me 13:Weird 14:Love Really Changed Me 15:Luger's Groove 16:The Weight 17:Do Right People 18:Bubbles
Olaf "Olli" Oetken, 13.08.2005