Stern-Combo Meissen
Bilder einer Ausstellung - The Rock Version
Bilder einer Ausstellung Spielzeit: 73:59,81:40
Medium: CD/DVD
Label: BuschFunk, 2016
Stil: Art Rock, Klassik


Review vom 16.01.2016


Ingolf Schmock
Kaum ein anderer klassischer Klavierzyklus versetzte so manchen musischen Wirrkopf wohl derart in Verzückung und befriedete die zittrigen Komponisten-Griffel bei dessen Klangreformierung, wie Modest Mussorgskys "Bilder einer Ausstellung".
Einst gleichwohl als freundschaftlicher Kniefall Mussorgskys vor seines verblichenen Kreativfreundes Viktor Hartmanns Aquarellen, zudem russischen Seelen-Biotopen untertanen Erbgütern erdacht, erwies sich jener musikalisch gestaltungsbereite Galerie-Rundgang als inspirativer Urknall.
Nicht umsonst schlugen einst Hartmanns vertonte Pinseleien ehrgeizige Musikusse wie den Tasten-Querulant Ravel, die Fugen-verrockende Dreierbande Emerson, Lake & Palmer oder auch Synthie-Autist Isao Tomita in ihren Bann - ein nach wie vor entschlossenen Wiederholungstätern geschuldeter Umstand, der ungebrochen scheint.
So war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die dienstälteste, mittlerweile durch Jungblut Manuel Schmids Kreativpfunde erstarkte Art Rock-Kapelle Stern-Combo Meissen des Themas bemächtigte, um es wie einen rohen Stein, virtuos und lyrisch nachspürend, zu bearbeiten.
Seinerzeit als wegbereitende Stilblüte kunstmusikalischer Rock-Traditionen im ehemaligen Arbeiter-und Bauernstaat, alsgleich sächsischem Tal der Ahnungslosen erblüht, verlustierten sich diese schon in den Siebzigern an Jean Sibelius oder Mussorgskys grosskopferten Kompositions-Ergüsse.
Nun laufen moderne Aufmöbler klassischer Musikmonumente durchaus in Gefahr, den bildungsbürgerlichen Nimbus eines Orchesterklangkörpers und kongeniale Durchschlagskraft von elektrischem Rockinstrumentarium in konsumentenumschmeichelnden Sirup zu tauchen, oder gar noch zu substanzloserer Massenware durchzunudeln.
Nicht so bei bei den altgedienten, jedoch von jugendlichem Ehrgeiz betriebenen Sachsen. Vom Ideen-Funken eines Grimma'schen Kulturverantwortlichen sowie Leipziger Dirigenten gezündelt, nahmen sich die 'Sterne', implizit ihr musikalisch frühsozialisierter Frontmann Manuel Schmid sowie Ex-Sangesfundament (und nun schwersterkrankt) Reinhard Fissler dieser Herausforderung an, Mussorgskys Bilder-Korso ein 'Rock meets Classic'-symbiotisches, vocalkontrastierendes Gewand zu verschaffen.
Die Live-konservierte und im Ergebnis Meissener Artrock-gemarkerte Uraufführung mit ihrer nachhörbar pointiert, ins bandureigene Klanguniversum eingefühlten Orchesterchor-Variation, bietet nun jener in den Frühsiebzigern durch Keith Emersons exaltierte Burschenschaft rockistisch determinierten Einspielung respektvolles Paroli.
Erstmalig gebieten hierbei Manuel Schmids von hoher künstlerischer Integrität zeugende Gesangs-Zeremonielle sowie Combochef Martin Schreiers morbide Rezitativ-Dramaturgien eine durchaus sinnreiche Bereicherung, wandelt perdu ein sowohl ehrfürchtig bezartet als auch übermütig kantig aufspielendes Orchester-Aufgebot über die "Promenaden", und nehmen die Bilder geradezu fühlbar von der Wand. So erwachsen aus den Crossover-manövrierenden Musiker-Händen wahnwitzig zappelnde und düster schleichende Zwergen-Gebärden, Baba-Jagas Stößel-betriebener Flug-Mörser, die unergründlichen Tiefen Pariser Unterwelten, mediterrane Wohlfühl-Gärten sowie gewichtige Glockentürme, die, dank digitaler Trickkisten, auch den sehenden Hörer ergreifen.
So sorgen die gesonderten Ambitionen orchestermodifizierter Darreichungsformen aus dem eigens von Schreiers rockakademischen Haudegen früh adaptierten Schaffenslager des verkappten Russen, zweifelsohne für werksbereichernde und prägnante Akzente.
Somit erhielten Mussorgskys Schöpfungen, wie die einst vom verstorbenen Tasten-Bombastiker Thomas Kurzhals auftoupierte, kompositorisch abgründige Hexensabbat-Abhandlung "Eine Nacht auf dem kahlen Berge" eine mit Streicher-Zuckerguss überzogene Runderneuerung; das mittelalterlich anmutende "Alte Schloss" mit Manuels "Schloss Rockstein"-Ableger dagegen einen Retro-Rock-dienlichen Bonus.
Trotz aller dramaturgischen und werksgebotenen Kalküle für Dramatik und jenem klangkoloriertem Werkgebot, zeugen ein sichtlich vergnügtes Konzertpublikum sowie ein ausgelassener, überdies dem Jazz verfallener Kapellmeister hier dennoch davon, das künstlerische Zweckehen zwischen Art Rock-stallgerüchigen Musikussen und dem Klassikkanon gereichenden Establishment scheinbar nicht unwiederbringlich ausgelutscht oder gar den Industriegeschwüren massenkompatibler Klassik-Pop-Derivaten ausgeliefert wären.
In qualitativ zeitgemäßem Ton und Bild festgehalten, agierten an jenem Maiabend erstklassige Musiker und Stimmen mit werkstreuer Gravität und gleichzeitig neuerungsbetriebener Leichtigkeit auf großer Freiluftbühne, die bei so manchen Ur-Comboianer beim resümierenden Konsumieren wiederholte Wonnen wohliger Assoziationen und Deutungen bewirken dürften.
Dabei heimst Stern-Meissens hinzugewonnene Triebfeder und musikalischer Multitasker Manuel Schmid durch seine eigenverfassten "Bilder"-Lyriks sowie Kompositionsvorträge, obendrein die technische Endfertigung, verdientermaßen das Gros an Würdigungs-Lorbeeren ein.
Nichdestotrotz wärmte nicht nur Mussorgskys plastischer Bilderrundgang deren Melancholie-Genius, sondern auch ein bestens geschmierter Bandmotor sowie Stephan Königs Gabe, Orchester und Chor-Gesalbtes in Energie zu verwandeln.
Nein, dieses Werk steht für kein weiteres Teil banaler Klassik-Tupperware, vielmehr für einen heimischen Crossover-Meilenstein, auf den man sich unbedingt einlassen sollte. Im Ergebnis wird mit diesem wagemutigen Projekt wiederum der nachhaltige Beweis erbracht, dass Klassik-elektrifizierende Rock-Urgesteine und handwerklich edle Verfechter musikalischer E-Unterhaltung einen sich gegenseitig befruchtenden, gemeinsamen Nenner finden können.
Line-up:
Manuel Schmid (vocals, keyboards)
Martin Schreier (percussion, voice)
Sebastian Düwelt (keyboards)
Axel Schäfer (bass)
Frank Schirmer (drums, percussion)
Leipziger Symphonieorchester
Landesjugendchor Sachsen
Leitung:
Stephan König
Tracklist
CD:
01:Promenade 1
02:Gnomus
03:Promenade 2
04:Vokalise-Interlude
05:Das alte Schloss
06:Schloss Rockstein
07:Eine Nacht auf dem kahlen Berge
08:Das alte Schloss (Nachspiel/Erinnerung)
09:Promenade 3
10:Tuilerien
11:Bydlo
12:Promenade 4
13:Ballett der Küchlein in ihren Eierschalen
14:Samuel Goldberg & Schmuyle
15:Promenade-Zwischenspiel
16:Promenade 5
17:Der Marktplatz
18:Drum Solo
19:Katakomben
20:Promenade 6 (Con Mortius in Lingua Mortua
21:Baba Yaga
22:Das grosse Tor von Kiew
DVD:
01 bis 22 wie auf CD
23:Promenade 5 (Zugabe)
24:Verkaufsgespräche (Drum Solo)
Externe Links: