Timo Tolkki, finnischer Frickelkönig, ist bereits seit längerem in der Metal-Szene aktiv als er 1985 den Platz des Axe-Man und Sängers bei Stratovarius ergattern konnte.
Nachdem nun diverse Demos an verschiedene Label verschickt wurden, konnte man 1989 einen Plattenvertrag bei Columbia unterschreiben. Es wird das erste Album "Fright Night" aufgenommen, allerdings floppt das Teil kommerziell total.
1992 wird "Twilight Time" mit völlig neuem Line up vom deutschen Shark-Label europaweit veröffentlicht.
Während man in Deutschland über Stratovarius nur müde lächelt, stellen sich in Japan erste Erfolge ein, die mit "Dreamspace" weiter ausgebaut und gefestigt werden können.
Zwischenzeitlich stößt Tieftöner Jari Kainulainen zur Band und da Timo Tolkki die Doppelbelastung Gitarre/Gesang langsam aber sicher zu viel wird, wird Ausnahme-Shouter Timo Kotipelto rekrutiert und die nächste Longrille "Fourth Dimension" auf den Markt gebracht.
Zwischenzeitlich mutieren die Finnen in Japan zu absoluten Superstars und auch ihr deutsches Label scheint zu begreifen, welche Pferdchen sie sich da in den Stall geholt haben. Es ist an der Zeit, Stratovarius auf eine, wenn auch vorerst kleine Clubtour zu schicken - und sie hinterlassen überall runtergeklappte Kinnladen.
Bevor der nächste Longplayer "Episode" eingespielt wird, komplettieren Jens Johansson (ex- Yngwie Malmsteen / Dio) am Keyboard und Jörg Michael (ex- Headhunter/ Mekong Delta / Grave Digger usw.) an den Fellen - zwei gestandene Musiker - Stratovarius, nachdem man sich zuvor von Antti Ikonen und Tuomo Lassial getrennt hat. Mit dieser Top-Mannschaft ist der Grundstein für weitere Heldentaten geschaffen: der Rundling "Episode" mit seinen hervorragenden Songs und einer großartigen Produktion ist ein wahrer Klassiker des skandinavischen Power Metals und das deutsch-schwedisch-finnische Quintett endlich in aller Munde.
Mit "Visions" (1997), "Destiny" (1998), "Infinite" (2000) und dem Doppelalbum "Elements - Part" (2003) werden noch einmal fünf hochkarätige Kohlen nachgelegt. Nun haben sie nicht nur Japan vollends in der Tasche, sondern erleben auch in ganz Europa, Südamerika und selbst in den USA einen wahren Triumphzug.
Doch dann hat dieser Höhenflug plötzlich ein jähes Ende. Timo Tolkkis Psyche - die durch eine bis in die Kindheit zurückreichende Erkrankung sowieso schon angeschlagen ist - spielt einfach nicht mehr mit.
Manische Depressionen bringen das ganze Bandgefüge durcheinander und am Ende führen diese sogar zu einem vorrübergehenden Split.
"Das Ganze Dilemma wurde", mutmaßt Sänger Kotipelto, "wahrscheinlich noch verstärkt, weil wir Finnen von Natur aus eh nicht zum gesprächigsten Menschenschlag zählen. Wenn sich dann Probleme langsam aufstauen und plötzlich in einer Eruption entladen, ist alles zu spät."
Glücklicherweise ist diese unschöne Episode zur Freude aller Fans nur von kurzer Dauer, Tolkki ist therapiert und Stratovarius sind bereit für neue Glanztaten, was sie mit ihrem neuen Scheibchen "Stratovarius" nachhaltig unter Beweis stellen.
Offenbar hat die kurze 'Besinnung' allen Beteiligten doch recht gut getan, denn herausgekommen ist ein Album, dass nicht nur durch kompositorischem Tiefgang und Mut zur Komplexität glänzt, sondern insgesamt auch etwas gemäßigter ausgefallen ist.
Die Band hat die Zeichen der Zeit erkannt: Stillstand ist - gerade in der Power-Melodic-Szene, tödlich - klar, aber zu Veränderungen gehört auch eine gute Portion Mut und den haben sie nachhaltig mit ihrer neuen Scheibe bewiesen.
Da ist erst einmal der sofort ins Ohr gehende, schmissige Opener "Maniac Dance", ein echter Rock-Stampfer, der live garantiert ein Knaller ist.
"Fight" wandelt etwas abseits Stratovarius-typischer Pfade. Aufgrund seines komplexen Aufbaues könnte diese Nummer vermutlich selbst eingefleischte Prog-Fans begeistern.
"Back To Madness" schlägt in die gleiche Kerbe, nur dass hier Piano, Contrabass, akustische Gitarren sowie klassische Gesangs-Sequenzen den Song veredeln. Eine astreine Monumental-Nummer, die zum absoluten Highlight auf dieser Platte zählt.
"Just Carry On" wiederum ist sehr eingängig gehalten und "Gypsy In Me", stark nach vorn treibend und sehr melodischer gehalten, lässt die Matten ordentlich kreisen.
Mit "Götterdämmerung (Zenith Of Power) zieht die Band alle ihr zur Verfügung stehenden Register und schuf ein großartiges episches Meister-Werk, dass Proggies garantiert mit der Zunge schnalzen lässt.
Sanfte Flötenklänge, Piano-Einsprengsel, zurückhaltender, jedoch sehr eindringlicher Gesang: so beginnt sich dieser Song akustisch ganz langsam aufzubauen - wuchtige Drumwirbel, einfallende E-Gitarre - die Nummer scheint regelrecht zu explodieren, um dann sofort wieder ins Akustische zurückzufallen. Windgeräusche lassen erschauern.
"Leave The Tribe" - hier sorgen Chorgesänge, ein gleichförmig stampfender, verschleppter Rhythmus sowie Kotipeltos hervorragende theatralische Gesangslinien für eine geheimnisvolle, ja fast finster wabernde Kulisse. Das Stück könnte ungehindert als Soundtrack für einen Monumentalfilm durchgehen. Lediglich die eingestreuten Gitarrensoli lockern die Gesamtkomposition etwas auf.
Zu guter letzt haben wir noch das über 7-minütige "United", das den Stimmungspegel wieder sprunghaft nach oben steigen und den Mosher breit grinsen lässt. Da gibt es alles, was einen starken Song ausmacht: feine Gitarren- und Keyboardsoli, klasse Gesang, Backgroundchöre ja und selbst Trompeteneinlagen runden das Ganze ab. Der nächste Anwärter für eine großartige Bandhymne!
Nun, Stratovarius haben mit dem neuen Rundling wieder einmal ein kleines, sehr überzeugendes Meisterwerk geschaffen, womit sie wohl nicht nur eingefleischte Stratovarius-Fans überraschen werden.
Die Band zählt seit Jahren schon zur Speerspitze des melodischen Power-Metal und ich bin überzeugt, dass sie sich auch mit ihrem neuen Output wieder einen absoluten Spitzenplatz in der Szene sichern werden.
Für ihren Mut zum Risiko haben sie sich hervorragende 8,5 Punkte verdient.
Spielzeit: 49:23, Medium: CD, Sanctuary Records, 2005
1:Maniac Dance 2:Fight!!! 3:Just Carry On 4:Back To Madness 5:Gypsy In Me 6:Götterdämmerung (Zenith Of Power) 7:The Land Of Ice And Snow 8:Leave The Tribe 9:United
Ilka Czernohorsky, 29.08.2005
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