String Cheese Incident / Untying The Not
Untying The Not
Wow, so eine Scheibe kommt nicht oft zur Rezension, handelt es sich bei SCI doch um eine der ganz großen Jambands. Quasi eine der Top Five.
Live sind die ehemaligen “Ski Bums”, also obdachlose Ski- und Snowboardfahrer aus Boulder, Colorado absolute Jam Granaten.
Live..., vor mir liegt nun aber eine Studioaufnahme. Und wenn ich mir die Laufzeiten der Tracks anschaue (der längste Titel knapp unter 6 Minuten, dazu einige unter drei und einer sogar unter zwei Minuten), befürchte ich dann doch einiges.
Aber es kommt ganz anders. Die CD ist enorm spannungsgeladen und da sehr viele Titel ineinander überlaufen, wirkt sie keinesfalls wie eine dieser "3-oder-4-Minuten-dann-Pause-und-nächster-Track" Scheiben.
Das interessanteste ist jedoch die Tatsache, dass mit Youth (Killing Joke) ein Produzent gewählt wurde, der mit der Jamszene so viel am Hut hat wie ein japanisches Wagyu Rind mit einem Burger.
Die-hard SCI-Heads werden sicher erst mal schlucken, denn diese Studio CD hat mit den Livesachen wenig am Hut.
"Wir wollten nicht, dass dieses Studioalbum unbedingt das reflektiert, was wir live so machen", so Bill Nershi. Und weiter: "Stattdessen wollten wir das Studio als eine Art Werkzeug nutzen um zwar ähnliche Musik, die aber anders als on stage zu machen".
Mit Youth ist das gelungen, denn dessen sonstige Klientel sind Bands wie The Orb, The Verve oder Crowded House, also quasi SCI inkompatibel.
Innovative Dance Tracks schreibt man Youth zu und in der Tat fühlt man sich bei den Anfangsrhythmen von “Valley Of The Jig” als wäre man auf der Love Parade. Wuchtige Raves, untermalt von Stimmengewirr, die dann schnell in irische Strukturen übergehen. Riverdance lässt grüßen und die anfängliche Skepsis weicht alsbald totaler Begeisterung. Man muss diesen Track laut, sehr laut hören, dann knallt dieser Irish-Rave mit einer Intensität aus den Boxen, dass es eine wahre Freude ist.
Anfängliche Skepsis der Band dem Produzenten gegenüber, gipfelte dann auch in ein Umstellen gewohnter Spielweisen. So sagt Nershi, dass er jeden Gitarrenpart auf dieser CD so spielen musste, wie er normalerweise nicht Gitarre spielt. Und Drummer Michael Travis musste gar sein bisheriges Timing total umstellen, da ihn Youth fünf mal härter auf die Felle dreschen ließ, wie es Travis je in seinem Leben tat.
Die Vielfältigkeit des Albums erwähnte ich bereits. Pink Floyd'sche Gitarren und Saxeinlagen bei “Wake up” und “Orion's Belt” etwa. Dann ziemlich kommerziell klingend, zumindest am Anfang, die Blues-Harp Reggae Nummer “Sirens”. Unerwartet schiebt sich plötzlich eine "schwere" Gitarre ins Geschehen und es wird psychedelisch.
Leicht, mit an die Allman Brothers Band oder Pure Prairie League erinnernden Hooks und mehrstimmigen Vocals, jammt “Looking Glas” daher.
“Mountain Girl”: Nomen est Omen. Jerry Garcia's Ex, Carolyn "Mountain Girl" Garcia hing gerade mit ihrem Freund John Barlow im Studio herum und Youth nahm ihre gesprochenen Worte auf, unterlegte den Track mit dem Gesprochenen und herausgekommen ist eine ziemlich abgefahrene Nummer, die mich persönlich an Brainticket erinnert. Weiter Soundcollagen dieser Art auch beim “Lonesome Road Blues”, der dann in eine geile, mehrstimmige aber viel zu kurze Country und Blue Gras Sequenz übergeht.
Ruhig und traurig das Instrumental “Elijah”. Gewidmet Bill's verstorbenem 27 jährigen Neffen.
“Thinder Box” macht mir Kopfzerbrechen, da ich nicht genau weiß, wie ich sie einsortiere. Mal klingt es wie die alten Police, dann wieder wie die Led Zeppelin Experimentierphase Ende der Siebziger. Und als ob das nicht genug wäre, lassen die Vocals Parallelen zu Ozzy Osbourne erkennen. Ein Supertrack, der dann in “Just Passin' Through” übergeht. Eine Nummer, die von Grateful Dead sein könnte.
Who Am I?” ist auch ein sehr emotionaler Song. Reflektiert wird auf den Tod von Kyle's Vater, der früh starb.
"I see my hands. They are my father's.
Time has worn my fingers thin."
“Time Alive” und “On My Way”, zwei ruhigere Tracks, beenden das Album, welches bei mir nach anfänglichem Zögern einen sehr positiven Eindruck hinterlässt.
Total genreuntypisch, aber irgendwie auch genial. Es gehört Mut dazu, eine riesige Fangemeinde so zu überraschen. Beenden soll Bill Nershi dieses Review, denn er bringt es auf den Punkt:
"Honestly, this album is very much the record that the band wanted to make, we just needed help stirring it up".
Produktion, Sound und Booklet stehen der musikalischen Qualität in nichts nach.
Erwähnen möchte ich noch, dass am 19.3.2004 die Deutschlandtournee beginnt und wie ich aus gut informierten Kreisen weiß, liegen die German Deadheads schon erwartungsvoll in den Startlöchern.
Spielzeit: 54:21, Medium: CD, SCI Fidelity Records, 2003
1:Wake Up, 2:Sirens, 3:Looking Glas, 4:Orion's Belt, 5:Mountain Girl, 6:Lonesome Road Blues, 7:Elijah, 8:Valley Of The Jig, 9:Tinder Box, 10:Just Passin' Through, 11:Who Am I?, 12:Time Alive, 13:On My Way
Ulli Heiser, 22.02.2004