Swedish Erotica / Too Daze Gone
Too Daze Gone
Ach du liebe Güte, so ein Chaos bei der Recherche für eine Musikrezension habe ich bisher noch nicht erlebt!
Das Corpus Delicti: Die Veröffentlichung von Swedish Erotica - "To Daze Gone" als 'Golden MTM 10-Years Anniversary Edition' und deren ominöser Inhalt.
Hier landet mensch, bei seinem Bemühen Näheres zu erfahren, ziemlich leicht auf delikaten Seiten, die nicht wirklich etwas mit Musik zu tun haben.
Ansonsten ist die Informationsauswahl nicht groß und dann auch noch in sich widersprüchlich. Leider bringt auch der offizielle Pressetext des Münchener Plattenlabels wenig Licht ins Dunkel und so sind die folgenden Ausführungen quasi ohne Gewähr (peng!) zu sehen.
Mitte der 80er Jahre gründete sich in Schweden eine 'Dauerwellen-Fönfrisur-Spandexhosen-Glitter-Glam-Hard 'n' Melodic-Rock' - Combo namens Swedish Beauty, u.a. mit dem Sänger Dag Ingebrektsen, dem Saitenschwinger Magnus Axx und dem Tieftöner Ken Sandin.
Nach einigen Umbesetzungen an der zweiten Axt und den Drums war das Kapitel im Verlaufe des Jahres 1988 erledigt, wiederauferstand allerdings mit den beiden Gitarristen Magnus Axx und Morgan Le Fay (Jensen?) unter dem Namen Swedish Erotica, zunächst mit dem Shouter Goran Edman und dann mit Tony Niva, welcher auch auf der ersten Single ("Down Town") der neuen Formation mitwirkte.
1989 erschien dann schließlich das Debütalbum dieser Band (Swedish Erotica), inzwischen neben den beiden bereits genannten Saitenakrobaten mit dem Vokalisten Mats Levén und der Rhythmsection in Person von B.C. Strike und Johnny D'Fox (oder Jonas Tangström und Bjarne Olsson) besetzt. Dieses Album konnte immerhin die Schwedischen Charts entern und erntete durchaus gute Kritiken.
Bereits 1990 verließ Mats Levén wieder die Band und konnte weitere Lorbeeren bei Acts wie Yngwie Malmsteen, Talisman und Southpaw ernten. Es folgten weitere Umbesetzungen und erst 1995 erschien das zweite und bisher letzte Album "Blind Man's Justice".
Es gab allerdings relativ zeitnah nach dem Erscheinen des Debütalbums weitere Aufnahmen, die für ein Folgewerk vorgesehen waren, aber bis heute nie erschienen sind, was vermutlich nicht unwesentlich an der sehr inkonstanten personellen Besetzung dieser Band gelegen haben dürfte.
Nach Meinung von Magnus (der offenbar einzigen Konstante), Morgan und Mats waren diese unveröffentlichten Aufnahmen mit das Beste, was Swedish Erotica je hervorgebracht hatten und das rührige Label 'MTM Music' sorgt nun 10 Jahre nach dem letzten Erzeugnis dieser Combo für die Erstveröffentlichung der angesprochenen Einspielungen.
Ergänzt wird das Jubiläumspaket durch Demotracks aus der Frühphase der Band, hauptsächlich im Zeitraum zwischen 1986 und 1987 entstanden, also zu einer Zeit, als sich die Formation noch Swedish Beauty nannte.
So, das sind nun meine logischen Schlussfolgerungen der Informationsrecherche. Andere Musikfreunde, mit denen ich gesprochen habe, kommen eher zu dem Schluss, dass es sich bei dem ersten Teil des neuen Albums auch um Neueinspielungen handeln könnte. Hauptsächlich deshalb, weil einige Quellen (u.a. das Label selbst) dafür eine andere Besetzung angeben, als für das Debütalbum. In der Tat, es war selten so verwirrend.
Kommen wir also zum Hörcheck.
Dieser angesprochene erste Teil umfasst insgesamt 8 Tracks, wobei "Terri" die Neuauflage einer Einspielung ist, die bereits 1987 getätigt wurde und später im zweiten Teil bei den Bonus Tracks auftaucht.
Das reine Soundbild klingt alles andere als zeitgemäß, von der Musik einmal ganz abgesehen. Die Drums donnern wie eine Dampfwalze voran, mit sehr viel Hall unterlegt. Der Sänger ist stark in den Vordergrund gemischt, der Rest erscheint leicht wattiert. Dies spricht eindeutig gegen Neuaufnahmen.
Insgesamt gesehen erscheint mir die klangliche Produktion sehr an das 1989er Werk von Aerosmith angelehnt ("Pump"), mit Ausnahme des Schlagzeughalls und ohne dessen Brillanz zu erreichen. Aber ein ausgesprochen staubtrockenes Klangcharakteristikum haftet beiden Produktionen in verblüffender Ähnlichkeit an.
Das lässt die Vermutung zu, dass es sich tatsächlich um Aufnahmen aus 1989/1990 handelt, bevor Mats Levén die Band wieder verließ.
Musikalisch bewegt sich alles im Dunstkreis von 'Glitter-Glam-Hard 'n' Melodic-Rock', inklusive einer nicht zu überhörenden 'Sleaze-Rock' - Attitüde.
Es klingt alles so, als hätten zig andere Bands der Hardrockszene Ende der 80er des letzten Jahrhunderts genau das Gleiche gemacht und somit alles andere als eigenständig.
Ich kann mir die Stücke so oft anhören wie ich will, jedes Mal liegt mir auf der Zunge, wo und von wem ich das schon mal gehört habe, aber es fehlen in meiner Sammlung offenbar die zuständigen Protagonisten.
Schließlich komme ich auf die gewagte Idee, dass es sich hier um ein krudes Dreieck aus Aerosmith, Kiss und Def Leppard (alle um 1990 rum) handeln könnte.
Mats Levén erweist sich dabei als Shouter, der den tendenziell zurückhaltenden Joe Elliott (Def Leppard) unbedingt übertrumpfen möchte, um schließlich bei einer hyperventilierenden Schmalspurausgabe von Steven Tyler zu landen. Er schmettert halt allzu gerne in höchsten Tonlagen, gerät dabei aber leider viel zu häufig ins Kreischen, ohne den Kultfaktor von Steven Tyler sein eigen nennen zu können. Hier wäre weniger mit Sicherheit des öfteren mehr gewesen.
Beim Titeltrack des Albums wird's gar sleazy-bluesy, mit feinem Riffing und Slideguitar. Auch die folgenden drei Titel wissen durch schmissiges Riffen zu gefallen, während "Skin On Skin" eine für diese Zeiten unvermeidliche Mitgrölnummer darstellt. "Fire With Fire" bewegt sich eher im Midtempobereich und wird sehr engagiert vorgetragen.
Insgesamt gesehen vermisse ich aber instrumentale Finesse und ausgeklügelte Arrangements, die das Ganze aus der totalen Durchschnittlichkeit hätten herausheben können.
Noch gesichtsloser wird's im zweiten Teil der Kollektion, wo wir vermutlich bis auf Track 11 ("Can You Stand The Heat") dem Vokalisten Dag Ingebrektsen lauschen dürfen. Dieser erklingt im Vergleich zu Mats Levén wohltuend zurückgenommener, erinnert phasenweise entfernt an Joey Tempest (Europe), ohne allerdings auch nur im Entferntesten an dessen stimmliche Klasse heranzureichen.
Leider gibt's nur US-amerikanisch inspirierte 'Kinderrock' - Ware von der Stange, allerdings weitgehend ohne Keyboardeinsatz. Dafür wird bei "Roll Away The Stone" der klassische Glamrock Marke Spät - Mott The Hoople wiederbelebt und bei "Goodbye To Romance" schauen sogar ganz kurz mal Van Halen vorbei - natürlich nur im Geiste.
Alle Tracks zeichnen sich durchaus durch einen hohen Grad an Melodiösität aus, aber es fehlt ihnen jegliche Originalität. Es gibt Gitarrenriffs und -licks vom Reißbrett und jede Menge Refrain-Gedöns. Am besten sind noch Tracks wie der Rausschmeißer "Loaded Gun", oder das schon erwähnte "Roll Away The Stone" mit ihrer Glam-Attitüde.
Und das 1988er "Can You Stand The Heat" weiß mit Schmiss, Groove und schönem Riffing zu gefallen, irgendwo zwischen Europe (ohne keys) und Bon Jovi, wobei wir hier wiederum einen anderen (besseren) Sänger hören, vermutlich Tony Niva.
Fazit:
Es handelt sich bestimmt um eine nicht uninteressante Veröffentlichung für alle, die sich eingehender mit dem melodiösen Hardrock der Mitt80er bis Anfang 90er beschäftigen und hier einen weiteren Vertreter offeriert bekommen, der zumindest durch seine Herkunft und seine raren Outputs einen gewissen Exotenstatus genießen könnte.
Für alle anderen halte ich dieses Album für relativ entbehrlich, weil es innerhalb des musikalischen Kontextes keinerlei Duftmarken hinzufügen kann.


Spielzeit: 68:25, Medium: CD, MTM Music, 2005
1:Down 2 Bizniz 2:Skin On Skin 3:Fire With Fire 4:Too Daze Gone 5:Muscle In Motion 6: Show A Little Lace 7: Blue Movies 8:Terri
Bonus Demo Tracks:
9:Break The Walls (1987) 10:Roll Away The Stone (1987) 11:Can You Stand The Heat (1988) 12:Terri (1987) 13:Goodbye To Romance (1986) 14:Open Arms (1986) 15:Love On The Line (1986) 16:Loaded Gun
Olaf 'Olli' Oetken, 18.10.2005
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