Hoppla! Was blickt mir denn da im Plattenladen meines Vertrauens, Mr. Music in Bonn, aus dem Neuheitenfach unter der Rubrik Blues entgegen? Mir scheint, als ob eine schwarze Langspielplatte aus ihrer Hülle herausragt und sich die Scheibe zudem noch durch die dünne Papierhülle hindurchdrückt. Der blickfangmäßige Aufdruck 'in stereo' - für heutige Ansprüche natürlich eine Selbstverständlichkeit - verstärkt noch den Eindruck, dass es sich hier um ein 'altes Schätzchen' handeln muss. Das Ganze allerdings in einem Jewel-Case und damit in CD-typischem Format. Darin befindet sich - um dies gleich vorwegzunehmen - ein klassischer "Silberling"; schade: Eine schwarz eingefärbte Scheibe hätte den 'auf alt' gemachten Eindruck der Verpackung komplettiert. So macht die CD lediglich den Eindruck eines klassischen LP-Labels.
Dennoch: Ein schneller Blick auf die Tracklist bestätigt, dass es sich bei den Songs fast ausschließlich um alte Titel handelt, um nicht zu sagen: Klassiker; interpretiert vorliegend also von George Thorogood, der ja bekanntermaßen auch schon seit knapp 40 Jahren mit seinen Destroyers im Geschäft ist. Also vielleicht alte Aufnahmen, zum x-ten Male wiederveröffentlicht (auch wenn das Inlet das Jahr 2011 nennt)? Mitnichten: Es handelt sich tatsächlich um eine aktuell eingespielte Scheibe.
Aber: Der Plattentitel "2120 South Michigan Ave."? Da war doch was? Richtig, das war (seit 1957, wie man auch im ersten Track erfährt) die Adresse des Plattenlabels Chess Records in Chicago, das insbesondere in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zahlreiche Legenden aus Rock'n'Roll und Blues sowie artverwandten Stilrichtungen unter Vertrag hatte. Einige dieser Künstler werden auf der vorliegenden CD mit einer Thorogood-Interpretation ihrer Songs gewürdigt.
Apropos Thorogood: Wie bereits erwähnt, sind George Thorogood And The Destroyers bereits seit Jahrzehnten im Musikgeschäft aktiv und haben bis in die jüngste Vergangenheit immer wieder neue Schallplatten bzw. CDs veröffentlicht. Vor diesem Hintergrund verwundert es ein wenig, dass sich bei uns nur wenige, zudem schon relativ alte Beiträge finden.
Doch genug des Vorgeplänkels: Im Booklet führt Thorogood aus, dass die auf dem Chess-Label veröffentlichte Musik ihn musikalisch stark beeinflusst habe, was dazu geführt hat, dass er auch in den vergangenen Jahren öfters »Chess-Covers« auf seinen Alben und insbesondere bei seinen Konzerten dargeboten hat. Und so war es nur konsequent, diesen Einfluss zum Thema einer eigenen CD zu machen.
Doch bereits der erste Titel ist eine der beiden Ausnahmen von der Regel der Cover-Versionen, nämlich eine Eigenkomposition des Protagonisten, gemeinsam mit dem Produzenten des Albums, Tom Hambridge, und stellt eine Hommage an zahlreiche im Verlauf des Songs genannte Vorbilder dar. Mit einem Kracher geht es los: Klassischer Blues-Rock, laut und kräftig vorgetragen, in der Art eines Rob Tognoni. Das lässt schon einiges erwarten.
Der zweite Track "Hi-Heel Sneakers", eine Tommy Tucker (alias Robert Higginbotham)-Komposition aus dem Jahre 1964 (und von ihm jedenfalls nicht auf dem Chess-Label veröffentlicht), ist in der Folgezeit unendliche Male von Leuten gecovert worden, von denen jedenfalls Chuck Berry bei Chess unter Vertrag stand. Die Band wird hier unterstützt von der Gitarren-Legende Buddy Guy, der vor über 50 Jahren selbst noch auf Chess veröffentlicht hat.
Der Willie Dixon-Song "Seventh Son" geht recht flott ab, in einer Art, wie ich sie auch von anderen Musikern her kenne. Mir persönlich gefällt allerdings die eingangs getragenere - und nicht weniger raue - Version der Climax Chicago Blues Band von ihrem 1970er Album "A Lot Of Bottle" besser - vielleicht auch nur, weil dies die erste Version dieses Songs ist, die ich gehört habe. Auch "Spoonful" stammt von Willie Dixon (auch wenn man spontan direkt an Cream denkt). Gerade noch habe ich eine harte Version dieses Songs vom Onesko Bogert Ceo Project gehört, da kracht mir die Thorogood-Interpretation um die Ohren. Schade eigentlich nur, dass hier nicht bereits der Gastmusiker Charlie Musselwhite mit seiner Harp zum Einsatz kommt, denn sowohl das Original wie auch viele andere Interpretationen werden durch dieses Instrument geprägt.
Mit dem Chuck Berry-Stück "Let It Rock" folgt ein klassischer Rock'n'Roll, bevor mit "Two Trains Running" Muddy Waters gehuldigt wird, der diese Nummer vor genau 60 Jahren unter dem Klammer-Titel "Still A Fool" veröffentlicht hat. Der Sumpf des Mississippi-Deltas wird auch bei Thorogood deutlich. Auch den monotonen Rhythmus des folgenden "Bo Diddley" vermag er gut zu adaptieren.
Es folgt "Mama Talk To Your Daugther", ein Lied von J.B. Lenoir, das dieser zunächst für ein anderes Plattenlabel, später aber auch auf Chess veröffentlicht hat. Der eigentliche Blues-Song wird hier eher als Rock'n'Roll dargeboten - kann man machen, entfernt sich aber stark vom Original. Dem nähert man sich wiederum beim nächsten Willie Dixon/Sonny Boy Williamson-Track "Help Me". Mein Gott, wie viele Interpretationen dieses Songs hat es bislang schon gegeben? Und doch können alle Versionen - auch die vorliegende - nicht leugnen, dass das Stück seinerseits auf dem Instrumental "Green Onions" von Booker T. And The MG's basiert.
Bei - wiederum von Willie Dixon stammend - "My Babe" (übrigens dessen einzige Nr. 1-R&B-Nummer) wird endlich Charlie Musselwhite 'losgelassen', der mit seiner Harp eine gewisse Abwechslung in die musikalische Darbietung bringt. Zum Ende hin erfolgt ein Wechselgesang von George mit Marla und Rio Thorogood, seiner Frau und seiner Tochter, auf die der Titel "My Babe" geradezu passt.
Mit der sich anschließenden Thorogood/Hambridge-Eigenkomposition "Willie Dixon's Gone" wird endgültig deutlich, wem diese CD vornehmlich gewidmet ist: Ein typischer Chicago-Blues, ganz im Stile des 'Titelhelden'. In dieselbe Richtung geht aber auch die Jimmy Rogers alias James A. Lane-Nummer "Chicago Bound", die vorliegend sehr am Original orientiert interpretiert wird.
Und schließlich quasi der Titel-Track "2120 South Michigan Ave."; eine Cover-Version des Instrumentals der Rolling Stones, mit dem diese bereits im Jahr 1964 das Chess-Label ehrten. Sehr stark Hammond-B3-geprägt, aber durch den wiederholten Einsatz von Charlie Musselwhite sehr abwechslungsreich dargeboten. Als Komponist für diesen Song ist ein gewisser Nanker Phelge angegeben, dem (und seinen Jungs) George Thorogood in den Credits einen persönlichen Dank ausspricht. Dies ist m.E. ein nettes Gimmick am Rande dieser CD, weiß doch heutzutage sicher nicht mehr jedermann, dass Nanker Phelge nichts anderes, als früher ein Pseudonym für die Rolling Stones themselves (oder aber Teile davon) war.
Mein Resumee? Eine klassische Thorogood-CD; stark beeinflusst durch das selbstgesetzte Thema. Klassische Blues-Songs, überwiegend nah am Original ausgerichtet (was auch die kurze Gesamtlaufzeit bei insgesamt 13 Titeln erklärt), solide interpretiert und daher (leider) ohne großartige Überraschungsmomente. Unter einem Deutsch-Aufsatz würde stehen: Aufgabenstellung erfüllt, aber ohne große eigene kreative Leistung. Das Verdienst dieser CD besteht in erster Linie darin, die Bedeutung des Chess-Labels insbesondere für die Blues-Musik in Erinnerung zu rufen (und sich vielleicht intensiver hiermit zu beschäftigen). Für mich ist das ein positives Resumee.
Line-up:
George Thorogood (rhythm, lead & slide guitar, vocals)
Bill Blough (bass)
Buddy Leach (saxophone)
Jeff Simon (drums)
Jim Suhler (rhythm & lead guitar)
Additional musicians:
Buddy Guy (lead guitar)
Tom Hambridge (drums, percussion, background vocals)
Tommy MacDonald (bass)
Kevin McKendree (piano, B3 organ)
Charlie Musselwhite (harmonica)
Marla & Rio Thorogood (background vocals)
Tracklist |
01:Going Back (3:22)
02:Hi-Heel Sneakers [feat. Buddy Guy] (3:28)
03:Seventh Son (3:05)
04:Spoonful (4:10)
05:Let It Rock (2:54)
06:Two Trains Running [Still A Fool] (5:12)
07:Bo Diddley (3:07)
08:Mama Talk To Your Daughter (2:29)
09:Help Me (4:01)
10:My Babe [feat. Charlie Musselwhite] (3:18)
11:Willie Dixon's Gone (3:10)
12:Chicago Bound (2:57)
13:2120 South Michigan Ave. [feat. Charlie Musselwhite] (4:35)
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Externe Links:
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