Mike Tramp will es wohl Allen zeigen. 16 Stücke mit einer Gesamtlänge von 63:15 Minuten hat er als "Songs I left behind" auf Tonträger digitalisiert. Endlich mal einer, der kapiert hat, dass eine CD mehr Musik fasst als schnöde 45 Minuten.
Mike Tramp, Mike Tramp! Na, klingelt etwas? Genau, der war und ist noch immer irgendwie bei White Lion, jener verzweifelten Truppe von Schönlingen, die auf ihrem Album "Big Game" den Golden Earring-Überhammer "Radar Love" verhunzt hat.
Aber das ist lange her und interessiert eigentlich niemanden mehr. Neues Spiel, neues Glück!
Mike Tramp spielt auf seinem Album Gitarre, er singt, er spielt Bass, hat sämtliche Songs geschrieben und das Ding dazu noch produziert. Und all das sogar noch verdammt gut. Verwundern würde es mich nicht, hätte er im Presswerk auch noch selbst an den Walzen gestanden.
Es ist also sein Album und er besinnt sich auf puren Rock mit einer Nuance ehrlichem Holzfällercharme. Die Songs stehen im Mittelpunkt, nicht das Klischee. Er brettert saubere Riffs zu profunder Rhythmik.
Tramp versteht es, Songs zu schreiben. Er weiß ganz genau, worauf es dabei ankommt: auf eine gute Strophe, einen noch besseren Refrain, einen knackigen Riff und darauf, beim Hörer das Herz zu erreichen. Natürlich hat er seine Songs für den amerikanischen Markt geschrieben und natürlich möchte er sie dort im Radio hören. Vielleicht wird er das sogar. Das Potenzial dazu ist in seinen Songs mehr als vorhanden. Die Backingvocals platziert er zielsicher dort, wo sie den größten Effekt haben. Er hat im Gespür, wie die Gitarre zu klingen hat, um den Songs ein hitverdächtiges Gewand zu bescheren. Die verzerrte E-Gitarre benutzt er dabei als songunterstützendes Instrument und nicht als ohrmeuchelnde Waffe, wie von der Schwermetall-Fraktion präferiert.
Natürlich erfindet auch Mike Tramp den AOR nicht neu. Jeder wird andere Anleihen bei Songs, Klangfarben, Arrangements und stimmlicher Vielfalt finden. Mir schweben nach einigen Durchläufen in der geistigen Hörschnecke:
Bryan Adams in einer starken, rockigen Form,
Tonic, gerade bei dem Song "Show Me",
Jack Blades, abseits seines Bombastic-Trips, oder auch in seiner Phase mit Tommy Shaw
Rem, besonders bei den ruhigeren Stücken wie "Think About The Times" und auch einmal, ganz kurz jedenfalls
Tom Petty bei "Love Me Somebody". Wer dabei nicht spontan an "Insider" denkt....
Wollen wir es Mr. Tramp nicht unnötig schwer machen. Seine Songs sind keine Plagiate. Sie klingen frisch, sie klingen gut und vor allem klingen sie ehrlich. Das ist mehr, als viele seiner Konkurrenten von ihren Songs behaupten können.
Die eben genannten Lieder waren gleichzeitig auch die Anspieltipps für "Songs I Left Behind". Aber ein Stück darf dabei nicht unerwähnt bleiben. "One For The Anger, Two for Pain" ist für mich der Höhepunkt der CD. Es hat einen außergewöhnlichen Riff und besitzt das gewisse Etwas. Es rockt gut und wird interessierte Blicke meiner Kumpels hervorrufen.
"Songs I Left Behind" ist eine wirklich gute AOR-Scheibe geworden. Mike Tramp ist am stärksten, wenn er sich von seiner robusteren Seite zeigt. Aber auch die langsameren Stücke haben etwas. Trotzdem wünsche ich mir, dass er nie mit einer Ballade einen Welterfolg hat. Ihr wisst schon, wie ich das meine.
Übrigens: Steve Lukather stellt auf "Songs I Left Behind" ebenfalls seine Gitarrero-Künste unter Beweis. Spielt mal Song Nr. 2 an.
Spielzeit: 63:15, Medium: CD, UlfTone Music, 2004
1:Sometimes, 2:Do it while you can, 3: Over and out, 4: Love won't wait on me, 5: If I was real, 6: One for anger, two for pain, 7: Before the night, 8: I won't walk away, 9: Show me, 10: I'll be there, 11: I don't believe anymore, 12: What if I, 13: Love me somebody, 14: Think about the times, 15: Falling down, 16: Darkness
Olli "Wahn" Wirtz, 25.01.2005
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