Okay, okay, ich gebe es zu: Erstens bin ich nicht neutral und zweitens beschreiten wir hier ungewöhnliche Wege.
Denn wer von euch mal in unseren redaktionellen Jahresrückblick 2005 geschaut hat, wird festgestellt haben, dass die hier zu besprechende DVD mein persönliches Highlight des vergangenen Jahres war. Eine Rezension folgt erst jetzt, nachdem sich natürlich alle gefragt haben: "Was mag das wohl für eine DVD sein?"
Getreu dem Motto 'Besser spät als nie' breche ich nunmehr, bei Dauerregen und Sturmböen in meine schon längst innewohnenden Jubelarien aus.
Denn diese DVD ist keine schnöde Musik-DVD, sondern ein Traum in Moll. Das beginnt schon beim Klang. Ich höre in meinen vier Wänden keine multiplen Kanäle, sondern 'truly stereo'. Und was hier an Klangerlebnis aus den Winzböxchen perlt, ist nicht weniger als eine Offenbarung. Ach, würden doch nur 5 % aller Musikproduktionen auch nur annähernd diese Aufnahmequalität erreichen. Woran liegt's?
Die Klasse der Live From Austin - Reihe hat der Kollege Markus ja bereits angedeutet. Live im (Fernseh)-Studio aufgezeichnet, für die ursprüngliche TV-Ausstrahlung im Rahmen der 'Austin City Limits'-Show auf 30 Minuten zusammen geschnitten und jetzt ungekürzt in voller Pracht als Digitalkonserve mit Spitzenklang zu erleben. Eine wirklich feine Sache und offenkundig immer mit Qualitätssiegel.
Die Gattin des aktuellen Allman Broters Band-(Slide-)Gitarristen und Leaders der Derek Trucks Band gab sich am 17. Juni 2003 die Ehre, mit ihrem damals aktuellen Longplayer "Wait For Me" im Rücken. Hierfür gab's dann später ihre insgesamt dritte Grammy-Nominierung.
Hatte sie bei ihrem ersten Anlauf 2000 gegen 'Dirty Aguilera' als beste Newcomerin das Nachsehen (welch Wunder bei der Medienlandschaft), zog sie 2004 gegen Altmeisterin Etta James in der Kategorie 'Best Contemporary Blues Album' den Kürzeren.
Was soll's, Susan ist noch vergleichsweise jung (Jahrgang '70, na gut, jedenfalls im Vergleich mit der guten Etta) und normalerweise würde ich jetzt die Prophezeiung wagen, dass sie nächstes Jahr mit ihrem brandaktuellen Album "Hope And Desire" (Rezension bald in eurem Lieblings-Online-Musik-Mag) einen Blues-Award abräumen wird. Wenn es denn selbigen noch geben würde. Aber dieser ist, im Mutterland des Blues, einfach abgeschafft worden und wurde vor kurzem letztmals verliehen ( Delbert McClinton "Cost Of Living", immerhin auf dem gleichen Label wie die "Live From Austin"-Reihe veröffentlicht). In Anbetracht des heutigen (politischen und gesellschaftlichen) Amerika kann mich diese Ungeheuerlichkeit aber auch nicht mehr wirklich überraschen!
Aber zurück ins 'Austin City Limits'-Geschehen, denn dort präsentierte Susan Tedeschi nicht weniger als neun von elf Titeln des "Wait For Me"-Longplayers. Und das völlig zu Recht, denn neben vermarktungsstrategischen Aspekten muss einfach konstatiert werden, dass dieses Album fantastisches Songmaterial beinhaltet, größtenteils sogar Eigenbauten neben ausgesuchten Fremdkompositionen von Koryphäen wie beispielsweise Bob Dylan. Um ihren Set gehaltvoll abzurunden, baute sie noch solche Hochkaräter wie Sylvester 'Sly Stone' Stewart ("You Can Make It If You Try"), Stevie Wonder ("Love's In Need Of Love Today"), Koko Taylor ("Voodoo Woman") und John Prine ("Angel From Montgomery", auch auf ihrem 1998er Album "Just Won't Burn" zu finden) mit ein.
Und das ergab zusammen einfach eine Wucht in Tüten.
Zunächst agiert Susan ziemlich zurückhaltend, etwas steif wirkend und mit einer ähnlichen Nicht-Bühnenpräsenz ausgestattet wie ihr Göttergatte. Dieses Manko, was bei der Derek Trucks Band durch deren Drummer Yonrico Scott behoben wird, bügelt in diesem Fall der Hammond B-3 - Organist William Green aus. Der Mann ist das Eintrittsgeld alleine wert und bekommt im Laufe des Sets genügend Raum und Gelegenheit sich auszuzeichnen.
Musikalisch befinden wir uns mitnichten bei der reinen Blueslehre, mit der Susan Tedeschi vor gut 10 Jahren mit ihrem Debütalbum "Better Days" (1995) anfing. Waren damals die souligen Einsprengsel noch recht zaghaft, so sind diese mittlerweile selbstverständlicher Bestandteil des musikalischen Tedeschi-Kosmos, besonders deutlich bei "Gonna Move" ausgeprägt. Hinzu kommen funkige Töne (beispielsweise beim grandiosen "Hampmotized" mit Jam-Charakter oder beim Opener "You Can Make It If You Try"), jazziges ("The Feeling Music Brings"), 50ies Style und Rockabilly ("It Hurt So Bad", "I Fell In Love"), bluesrockiges ("Voodoo Woman" mit scharfem Wah-Wah-Groove) oder Singer/Songwriter-Folkrockmäßiges wie Dylans "Don't Think Twice, It's All Right", welches ich nie mehr anders hören möchte als hier.
Gesanglich wird der Tedeschi gerne nachgesagt, sie bewege sich irgendwo zwischen einer Bonnie Raitt und Janis Joplin. Das ist in der Tat nicht ganz aus der Luft gegriffen, denn besonders Bonnie Raitt muss ein großes Vorbild für Susan Tedeschi sein. Mit ihrer gesanglichen Performance, die sich im Laufe des Sets immer weiter steigert, analog zu ihren gitarristischen Beiträgen, kann sie Bonnie Raitt gar locker übertrumpfen und erreicht eine Kraft und Intensität, bei gleichzeitigem Vermögen auch ganz zarte Töne anzuschlagen, dass einem unweigerlich tatsächlich die große Janis Joplin in den Kopf kommen muss. Das steht dann diametral zu ihrer sehr zurückhaltenden Körpersprache und den unglaublich piepsigen Ansagen zwischen den Songs, die eher an Daisy Duck denn an eine Joplin gemahnen.
Besonders grandios trumpft die Tedeschi bei "It Hurt So Bad" auf, unterstützt von einer tollen Hammond B-3 und als besonderes Schmankerl gibt es ein hervorragend vorgetragenes Jazz-Vocal-Outro. Die DVD macht durch ihre visuellen Möglichkeiten anschaulich deutlich, wie sich Susan Tedeschi und ihre Band geradezu in das Konzert hineintasten, um dann schlicht überragend zu agieren, sowohl als Einzelkönner, als auch als kompakte und super aufeinander abgestimmte Einheit. Dies kann die ebenfalls erschienene CD zum Thema (komplett gleicher Inhalt, nur ohne Ansagen) nicht so gut vermitteln.
Und so darf es nicht verwundern, dass beim "Lost Lover Blues" einfach nur noch zum Niederknien agiert wird und Susan Tedeschi auch als Gitarristin ganz groß auftrumpfen kann.
Fazit:
Diese DVD ist meines Erachtens eine musikalische (Songmaterial/Interpretation) und klangliche Offenbarung und kann somit locker 9 von 10 möglichen RockTimes-Uhren ergattern.
Wir werden garantiert noch so einiges von dieser Lady hören und um das musikalische Talent des Nachwuchses von Susan und Derek muss einem glatt Angst und Bange werden. Wo soll das bloß hinführen?
Technische Ausstattung:
Stunning 5.1 Surround Sound; Dolby Digital 2.0
Spielzeit: 83:00 Min, Medium: DVD, New West Records/Blue Rose 2004
1:You Can Make It If You Try 2:The Feeling Music Brings 3:Alone 4. Wait For Me 5:Hampmotized 6:Love's In Need Of Love Today 7:Don't Think Twice, It's All Right 8:Voodoo Woman 9:In The Garden 10:Gonna Move 11:Wrapped In The Arms Of Another 12:It Hurt So Bad 13:Lost Lover Blues 14:I Fell In Love 15:Angel From Montgomery
Olaf "Olli" Oetken, 12.02.2006
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