The Tangent
Going Off On Two-Live Studio Sessions
Going Off On Two-Live Studio Sessions Gesamtspielzeit: DVD (91:09), CD (69:40)
Medium: DVD & CD
Format: NTSC
Ton: PCM Stereo
Bildseitenformat: 4:3
Region: 0
FSK: Ohne Altersbeschränkung
Label: Sally Collyer Music, 2011
Stil: Retro Prog

Review vom 14.07.2011


Ingolf Schmock
Wenn Dezember-Grauschleier und eisige Frostschauer Englands gedämpft sonniges Klima heimsuchen und die sonst unterkühlte Pub-Mentalität samt minder genährter Kreativität in der kaltlichterleuchtenden Tristesse verbunkerter Probekeller ihr trotziges Antlitz entblößt, schlägt für die musikalischen Friedhofswärter des Frühsiebziger-Experimentierwahns die Gunst der Stunde.
Noch heute empfinden Liebhaber urwüchsiger Rock'n'Roll-Formen die verkopften Kunst Rock-Studien einiger britischer Zeitgenossen und musizierender Eigenbrötler als übermäßig strapaziös und als Bildungsbürger-eindruckschindendes Raubgut klassischer Moderne. Andere hingegen verschlingen den vielschichtig, mit einer breiten Spur zitatenreicher Anklänge angereicherten Spieltrieb Schallplattenindustrie-resistenter Handwerker, welche unbeirrt die ungebrochene Faszination und einen Vorschub für konstruierte Opulenz liefern.
Die einst als eine von Parallel Or 90 Degrees-Erfinder Andy Tillison geborene Nebenbeschäftigung, welche mittlerweile mit ihrer wildwüchsigen Rezeption aus grafschaftlicher Musikpädagogik und feingehäkelten Progressive Rock-Mätzchen mit Siebziger-Referenzrahmen aus den schattigen Nebenschauplätzen tradierter Studiotüftler auszubrechen vermochte, serviert nun eine audiovisuelle Süßspeise für ihre treuesten Naschkatzen und lässt eine resümierende Probestunde über die Bildschirme flimmern.
Anstatt in einer beschaulichen Hütte im Wald, verkrochen sich The Tangent bezeichnender Weise in einer billigen und klinisch anmutenden Kellerwohnung unweit von Manchester, um sich beim unverfälschten Archivieren ihrer geradezu mathematisch konstruierten Werkschau auf die trickreichen Finger starren zu lassen.
Dieses ohne jeglichen Schnickschnack geradewegs voyeuristische Abfilmen der fünf Akteure konserviert adäquat die Bühnenqualitäten selbiger und rekapituliert die auf Hochglanz polierte Aufbereitung ihres jüngsten Schaffens, sowie das ungebrochene Renommee einer keinesfalls sklerotischen und von schrammelnder Rock-Konjunktur untergrabenen europäischen Kunstmusik.
Auch wenn Tillison und seine Mitstreiter ihre Seelen bisher vehement der praktizierten Kunstanstrengung für eine weitestgehend erwachsene Zuhörerschaft, und somit dem ungebremsten Erschüttern der Demarkationslinien erforschender Rockmusik verschrieben, drohten ihre Vivisektionen von jazzorientiertem Wurzelwerk und Frühsiebziger-Endlos-Kompositionsmarotten nie gänzlich dem Pilzbefall überreifter Borke und der Versuchung nach akustischer Freizeittapete zu verfallen.
Neben all den gegen den Strich gebürsteten Instrumentierungen und schwulstigem Pathos betagter Zeitgeistwächter durchbrechen die Protagonisten des Öfteren anbahnende egozentrische Leidenschaft zugunsten gezähmter Harmonie für einen hochverdichteten Klangorganismus, dessen chromierte Oberfläche allenfalls durch Tillisons ungelenk wirkende Gesangsstimme einige Kratzer erleidet.
Das im rosa Scheinwerferlicht etwas ungleich und kauzig wirkende Abbild musizierender Jugendzentrum-Gruppenleiter, professionell ernüchterter Kunstsnobisten und naturverbundener Schwermetall-Technokraten laboriert sich mit schlafwandelnder Selbstsicherheit durch sein musikalisches Pensum aufbäumender Prog Rock-Hommagen und neusortierender Willensbekundungen. Ganz nebenbei feierten hierbei zwei neue Gesellen ihren Bandeinstand, wobei der sowohl kantige als auch von melodiösem Eigensinn besessene Trommel-Hüne Tony Latham mittlerweile die Stöcke schon wieder beiseite legte, hingegen der vom postpubertären Enthusiasmus beflügelte Saiten-Rotzlöffel Luke Machin seine bisher Stakkato-betriebenen Repliken dem konstruktiven Tempolimit wohlwollend opferte.
Die fünf Briten sezieren zum wiederholten Male das Nährlösung-gestärkte Gedärm einstiger Prog-Gralshüter, mit dem Unterschied, dass augenscheinlich des Maestros geradezu autistisch demonstriertes digitales Tasten-Rüstzeug anstatt schrankwandgroße Kommandozentralen den schmucklosen Übungsraum-Mikrokosmos szenarisch regieren.
Der mit seinem klassischen Bläserinventar intervenierende Theo Travis zieht demonstrativ sein gewohnt Canterburyeskes Girlandenwerk durchs Band-Repertoire. Umso verwunderlicher erscheint es, dass man selbigen während der Van der Graaf'schen Frickelstudie und Vorgucker aufs kommende Album "The Mind's Eye", vergebens um Bereicherung ersuchte.
Lobenswert ist die druckvolle und vom unverfälschten Bühnensound lebende, ausgewogene Produktion, welche gleichermaßen in Bild, sprich mit unaufgeregtem Kamera-Handling und klugen Schnittspielchen, und mit einer wärmespendenden Stereospur trotz kleinem Budget zu überzeugen vermag. Ein paar, nach meiner Meinung überflüssige DVD-Extras wie eine Foto-Galerie, schulmeisterliche Untertitel-Optionen und Interviews mit den Musikern, ergänzen diesen ansonsten gelungenen Prototyp audiovisueller Lehrstunden und instrumentaler Mesalliancen gebildeter Rockmusik.
Line-up:
Andy Tillison (lead vocals, keyboards)
Jonathan Barrett (bass)
Luke Machin (guitar, vocals)
Tony Latham (drums)
Theo Travis (saxophones, flute)
Tracklist
DVD
01:Where Are They Now?
02:The Mind's Eye
03:Perdu Dans Paris
04:Paroxetine 20mg
05:A Sale Of Two Souls
06:GPS Culture/The Music That Died Alone
07:In Darkest Dreams (including "After Phaedra")
CD
01:Where Are They Now?
02:The Mind's Eye
03:Perdu Dans Paris
04:Paroxetine 20mg
05:A Sale Of Two Souls
06:GPS Culture/The Music That Died Alone
Externe Links: