Prolog:
Ten Years After = 10 Jahre nach was?
Ein mysteriöser Name für eine Band.
Das findet auch der irritierte Erwin und stellt zudem die Frage: "Wie, Ten Years After steht für eine Band, wer soll das sein?"
Erna, seine Göttergattin, weiß natürlich Rat: "Mensch Erwin, dat war doch dieses blonde Jüngelchen, der sich auf diesem verlotterten Hippietreffen, wie hieß n' das noch gleich, Holzstock oder so ähnlich, uff der elektrischen Klampfe selbst überholte und wie n' Irrer immer was von 'ich geh' nach Hause' faselte."
Tja, und schon ist das Dilemma schonungslos offenbart. In der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung, also nicht nur bei der guten Erna, ist Ten Years After gleichzusetzen mit Alvin Lee (bürgerlich Graham Barnes), seines Zeichen das ehemalige blonde "Jüngelchen" mit den flinken Fingern.
Und nur, wer damals hochgradig interessiert Zeitzeuge der diversen musikalischen und kulturellen Revolutionen geworden ist, oder wer sich als der berühmte 'zu spät Geborene' in die Thematik eingelesen, -gefühlt und -gehört hat, wird an dieser Stelle energisch widersprechen und darauf hinweisen, dass zur Band exakt 4 Musiker gehören, die ohne Personalwechsel in ihrer Karriere zwischen 1967 und 1974, inklusive einer kurzen Reunion 1989, zusammengespielt haben.
Und nun wird's erst richtig mysteriös. Denn seit gut 2 ½ Jahren ist auf der Insel und dem europäischen Festland wieder eine Combo unter dem Namen Ten Years After live on tour.
Aber genau dieser wieselflinke Rock 'n' Roller, der speziell beim 'Woodstock'-Festival mit seinen Kollegen den ganz großen Durchbruch gehabt hatte, ist gar nicht dabei! Alvin klampft nämlich aktuell lieber mit echten Zeitzeugen aus der Geburtsstunde des (weißen) Rock 'n' Rolls (beispielsweise D.J. Fontana und Scotty Moore, ihres Zeichen ehemalige Rhythmusgruppe des SUN - Elvis, "Alvin Lee In Tennessee", Repertoire 2004).
Wie kann das also gehen?
Ganz einfach, seine alten Bandkollegen von früher verspüren irgendwann mal keinen Bock mehr auf vorgezogene Rente und Abstellgleis, bekommen ein unverhofftes Engagement als Backingband eines gewissen Calvin Jones, und stellen dabei fest, dass es noch genug Leute gibt, alte wie nachgewachsene, die auf den Sound von Ten Years After stehen, obwohl seinerzeit eigentlich gar keine Ten Years After -Songs gespielt werden.
Das Tischtuch mit Alvin Lee scheint allerdings endgültig zerschnitten zu sein, denn laut Chick Churchill, dem Tastenderwisch, hat Alvin Lee rechtlich gesehen das alleinige Copyright an den meisten Songs durchgesetzt, obwohl bei vielen Songs der Band, beispielsweise auch beim Hit "Love Like A Man" (UK Platz 10, einzige Single -Top Ten - Platzierung ihrer Karriere!) eigentlich nur das Riffthema von Mr. Lee stammt, ansonsten sind die Songs im Ganzen wohl überwiegend Bandproduktionen, nur dass die anderen Bandmitglieder in den Songcredits überwiegend nicht genannt werden.
Das erzeugt natürlich böses Blut, vor allem Chick Churchill zeigt sich in einem kurzen Gespräch nach dem Konzert in Oldenburg relativ angesäuert bei diesem Thema.
Somit kommt Alvin Lee also definitiv für eine weitere Reunion nach 1989 nicht in Frage, und die anderen drei Urgesteine brauchen einen neuen Gitarristen und Sänger, um eingehende Angebote, unter dem Banner Ten Years After zu spielen, annehmen zu können. Dieser soll selbstredend irgendwie in das Schema Ten Years After passen, musikalisch wie menschlich.
Nach einigen gescheiterten Versuchen mit Generationskollegen schlägt schließlich der Sohnemann von Bassist Leo Lyons seinen Schulfreund und Nachwuchsgitarrero Joe Gooch vor, der interessanterweise bis dato, wie so viele andere (siehe Erwin), noch nie etwas von Ten Years After gehört hatte.
Es gibt ein paar Proben und bumms, Joe schlägt ein wie eine Bombe, trotz oder gerade wegen des großen Altersunterschiedes.
Es folgen jede Menge umjubelte Clubgigs, ein neues Live- und Studioalbum ("Now", 2004), und schließlich gar Auftritte in Kanada und den USA.
Auf der daran anschließenden Europa-Tour im November/Dezember 2004 werden dann Auftritte mitgeschnitten für ein Live-Doppelalbum, das unter dem bezeichnenden Titel "Roadworks" am 08.08.2005 auf den Markt kommen soll.
Genau unter diesem Motto sind sie dann schließlich im Mai und Juni diesen Jahres wieder in good old Europe unterwegs, zusätzlich sogar noch unter dem gemeinsamen Dach der 'Love & Peace'-Bewegung, wo sie teilweise mit Kollegen wie Canned Heat, Iron Butterfly oder Jefferson Starship auf einer Besetzungsliste stehen.
Und Flitzefinger Alvin Lee ist immer noch nicht dabei!
Das Konzert:
Tja, und so gehe ich mit gemischten Gefühlen am Sonntag den 12.06.05 ins Oldenburger 'Amadeus', seines Zeichen ein sogenannter Tanzspeicher und traditionell eher Kultschuppen für die Teens und Twens der Huntestadt, die sich gerne mal etwas heftigere Töne um die Ohren schlagen lassen.
Wer wird sich wohl in diese Höhle des Löwen wagen, und erwartet uns da nicht eindeutig eine Rentnercombo, die nicht verwinden kann, dass 36 Jahre nach Woodstock das Zepter der Rockmucke ganz andere Bands schwingen, beispielsweise die wilde Horde, die in Scheesel an diesem Wochenende das sogenannte 'Hurricane Open-Air' vor 60.000 Leuten rockt?
Nun, zunächst entern 5 Jungs die Bühne, die äußerlich wie musikalisch umgehend keinen Zweifel daran lassen, dass sie direkt vom 'Hurricane' oder 'Rock am Ring/im Park' Festival ins kleine 'Amadeus' gekommen sein könnten, um quasi After-Show mäßig einen abzurocken.
No Time Toulouse nennt sich die Bande nicht ohne Wortwitz (übrigens ein Monty Python-Zitat) und knallt uns ihren, etwas vereinfacht ausgedrückt, Nu-Rock bzw. Alternative Rock entgegen.
Dabei peitscht der Drummer gnadenlose Salven in den Raum, Bass und Rhythmusgitarre versuchen, ihn quasi mit dem Lasso wieder einzufangen, der Gitarrist überrascht mit einer erstaunlichen Variabilität und der Shouter spuckt ziemlich authentisch Gift und Galle am Mikro, kann es aber auch gefühlvoll und "gesitteter" angehen. Er ist gebürtiger Amerikaner, studiert nunmehr in Oldenburg und die Band gibt es überhaupt erst seit ca. 1 ½ Jahren, in denen sie immerhin schon ungefähr 40 Gigs absolvierte und sie stehen in einer von mehreren Zwischenrunden zum sogenannten 'Oldenburger act 2005'.
Dort erwartet sie sicherlich ein deutlich jüngeres Publikum, hier und heute gibt es doch viele Fragezeichen in den Gesichtern des geneigten Auditoriums zu sehen. Es fehlt auch das obligatorische Stage-Diving und enthusiastische Rumgehoppse, aber die Band zieht tapfer und engagiert ihr Ding durch, zeigt uns allen, dass die Rocktime nicht stehen geblieben ist und hat schließlich noch ein finales Leckerli zu bieten, indem ein krachendes und inspiriertes "Purple Haze" rausgerotzt wird, mit wirklich ausgezeichneter Leadgitarrenarbeit.
Da wünsche ich doch der Band an dieser Stelle viel Glück für den 'Act 2005'!
Nach der unvermeidlichen Umbau- und Bierholpause klettern schließlich drei ältere Herrschaften und ein langer Schlacks mit Cowboyhut auf die Bühnenbretter, welche gerne mal die Welt bedeuten und feuern sogleich ein energetisches "I Woke Up This Morning" vom 69er "Ssssh" - Album ab, was unmissverständlich klar macht, dass hier definitiv keine(!) Rentnertruppe mit einem Familiensprössling auf der Bühne steht, sondern tatsächlich die originalen Ten Years After, äußerlich gealtert, aber innen jung geblieben, wohl nicht zuletzt dank des Neuzuganges Joe Gooch, der natürlich nicht wie Alvin Lee klingt und trotzdem sehr bald zu faszinieren weiß.
Anschließend kommt das Paradestück vom Anfang69er und erstem Hitalbum "Stonedhenge" (UK Platz 6), "Hear Me Calling", gefolgt vom Klassiker "Good Morning Little Schoolgirl".
Spätestens jetzt wissen alle im Raume, dass sich hier eine Legendenband offenbar neu erfunden hat. Leo Lyons fegt mit einer unglaublichen Elastizität über die dicken Saiten und verströmt dabei richtig gute Laune, Ric Lee, der Maesto am Schlagwerk mit den Jazzwurzeln, ist rechts hinten kaum zu sehen, aber dafür umso besser mit seiner flexiblen Rhythmik zu hören, Chick Churchill hält sich an den Tasten noch etwas bedeckt und wirkt ansonsten nicht wirklich wie ein Rockmusiker, sondern eher wie der gute Onkel von nebenan und Jungspund Gooch in seinem Rodeoreiteroutfit funktioniert den geschundenen Gaul in eine Fender Stratocaster um, auf der er einen Husarenritt nach dem anderen hinlegt.
Ich muss zugeben, zunächst irritiert mich der im Vergleich zu Alvin Lee andere Stil (härter, rockiger) seines Spiels, obwohl er dessen Schnelligkeit locker übernommen hat. Natürlich klingt seine etwas belegte Stimme auch anders. Aber er schwimmt sich von Song zu Song freier, mit kraftvollen Vocals und seinen Ritten auf den sechs Saiten haucht er den alten Schlachtrössern neues Leben ein. Es ist deutlich spür- und hörbar, dass Ten Years After in dieser Zusammensetzung mittlerweile etliche Gigs hinter sich haben und als Band zu einer organischen Einheit zusammengewachsen sind.
Das erstaunt mich, macht den Abend aber zu einem nicht unbedingt erwarteten Hochgenuss!
Dabei gibt es nicht nur den alten TYA-Stoff, sondern auch Futter vom letztjährigen Studioalbum "Now", wie beispielsweise "King Of The Blues", "Time To Kill" oder "Reasons Why". Kraftvoller britischer Bluesrock, der erstaunlich wenig Staub angesetzt hat.
Natürlich macht irgendwann der versteckte Ric Lee mit einer Taschenlampe darauf aufmerksam, dass er schließlich auch noch da sei und belegt mit seinem "Hobbit" eindrucksvoll, dass er nichts, aber auch wirklich gar nichts verlernt hat. Währenddessen pushen sich Leo Lyons und Joe Gooch immer weiter hoch und lassen spätestens bei "I'd Love To Change The World" vom 71er "A Space In Time" - Album (USA Platz 17) den Saal kochen, denn sie präsentieren diesen Song einfach als einen wahren Feuersturm von Bassläufen und Saitengequetsche der Extraklasse. Schier unglaublich, was diese Truppe hier aus dem alten "Schlager" herausholt!
Und schließlich entfesselt die Band beim Doppeldecker "I Can't Keep From Crying Sometimes" (Al Kooper) und "Extension On One Chord", übrigens einer der seltenen Fälle, wo tatsächlich neben Alvin Lee auch die anderen Bandmitglieder in den Songcredits auftauchen, ein geradezu orgiastisches Inferno, in das sich auch Chick Churchill mit einbeziehen lässt, der die Tasten mithin bei vollem Körpereinsatz zum Glühen bringt.
Wir erleben begeisternde Duelle von Bass, Keyboards und Leadguitar, zusammengehalten und mit Bodenhaftung versehen durch Ric Lee.
Das daran anschließende unvermeidliche "I'm Going Home" (Erna lässt grüßen!) bringt das 'Amadeus' endgültig zum Überschäumen. Längst hat das Publikum seine anfangs etwas reservierte Haltung aufgegeben und geht schwer begeistert mit.
Mitten im Song werden noch "Whole Lotta Shakin' Goin' On", "Tutti Frutti", "Blue Suede Shoes" und ähnliche Kaliber verwurstet. Sie lassen wirklich nichts aus!
Am Ende steht frenetischer Jubel, drei Zugaben, darunter das bisher noch nicht veröffentlichte "Living It Up", und die Erkenntnis, dass überraschenderweise niemand mehr zwingend Alvin Lee vermissen muss.
Denn der 28 jährige Joe Gooch ist eindrucksvoll in der Lage, den alten Esprit von Ten Years After zu erhalten und gleichzeitig neue Akzente zu setzen.
Davor ziehe ich meinen nicht vorhandenen Cowboyhut und stelle fest, dass die Eingangsfrage beantwortet ist:
Ten Years After = 10 Jahre nach was?
Ganz einfach, 10 Jahre nachdem ich zuletzt Alvin Lee mit seiner damaligen Band live gesehen habe, darf ich feststellen, dass britischer Bluesrock mit jazzigen Verwurzelungen und einer guten Portion Rock (mehr als Roll, wofür nämlich eher Alvin Lee steht), eine Zukunft hat.
Und diese Zukunft darf sich tatsächlich ungeniert auch Ten Years After nennen!
Epilog:
Nach dem Konzert habe ich noch kurz Gelegenheit mit Chick Churchill und Joe Gooch zu sprechen.
Dabei spielen die bereits erwähnten Copyright-Querelen eine Rolle, was mir irgendwie bekannt vorkommt, denn das zieht sich offenbar quer durch die ganze Historie der Popularmusik.
Chick bestätigt aber nachdrücklich, dass das Arbeiten mit Joe Gooch jetzt etwas ganz anderes sei, ohne Egotrips einzelner Bandmitglieder und im Gesamtergebnis sehr harmonisch und fruchtbar. Es mache großen Spaß, mit einem solchen Enthusiasten zu spielen. In Gedanken füge ich dann noch hinzu, dass genau dies auch ein Jungbrunnen zu sein scheint, in Anbetracht des vorangegangenen furiosen knapp 1 ¾ stündigen Auftritts.
Ich frage dann Joe Gooch natürlich noch nach seinen Vorbildern, da er mir zuvor gesagt hatte, dass er tatsächlich vorher keinerlei Kontakte zur Musik von Ten Years After oder zu den Leuten der Band gehabt habe. Dabei äußere ich meine Vermutung, dass es sich wahrscheinlich um Leute wie Jimi Hendrix, Stevie Ray Vaughan oder, um in die Gegenwart zu gehen, Joe Bonamassa oder Aynsley Lister handeln müsste.
Die ersten drei Namen bestätigt er auch, nur von Lister hat er noch nicht so viel gehört. Darüber hinaus nennt er vor allem den Saitenhexer Steve Vai und, für mich überraschend, viele Namen aus dem Bereich der Jazzrockgitarristen, wie Pat Metheny, John McLaughlin, John Scofield oder auch Robben Ford.
Bei näherer Betrachtung ist das aber gar nicht so überraschend, erklärt es doch sein teilweise wahnwitziges Spiel auf den sechs Saiten, welches häufiger mal klar die Grenzen der Blues- oder Rock('n'Roll) Schemata verlässt und daher selbst bei längeren Soli nie langweilig wird. Und das erklärt letztlich auch die Frische, die er im Zusammenspiel mit seinen neu motivierten Kollegen dem 'alten' Sound von Ten Years After verpassen kann!
Setlist:
1. I Woke Up This Morning
2. Hear Me Calling
3. Good Morning Little Schoolboy
4. King Of The Blues
5. Working On The Road
6. Big Black 45
7. Hobbit
8. Love Like A Man
9. I'd Love To Change The World
10. Time To Kill
11. I Can't Keep From Crying Sometimes/Extension On One Chord
12. I'm Going Home
13. Reasons Why
14. Living It Up
15. Choo Choo Mama
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