Tobias & Stefan / Bitter Sweet
Bitter Sweet Spielzeit: 39:13
Medium: CD
Label: Unit Records, 2012
Stil: Avantgarde

Review vom 30.01.2013


Wolfgang Giese
Es gibt Musik, die in ihrer Aussage offensichtlich ist. Sie spricht direkt und unvermittelt an. Und es gibt solche, die regt zu Assoziationen an, ist nicht sofort zugänglich und eröffnet dem Hörer Räume, in denen er seinen Gedanken nachgehen kann, vielleicht auch Gedanken dazu, was Musiker möglicherweise mit ihrer Musik vermitteln wollen. Die zweite Alternative trifft klar auf die Produktion von Tobias & Stefan zu, aber mit dem Unterschied, dass der Freiraum für den Hörer etwas eingeschränkt ist und dass auch ich voreingenommen an den ersten Hördurchgang gegangen bin. Warum? Nun, ziehe ich das Booklet aus der Hülle, finde ich zu jedem einzelnen Titel eine Erklärung der Musiker, die offensichtlich die Stimmung, die jeweils ausgedrückt werden soll, beschreibt. So war es mir ein Bedürfnis, das schnell zu vergessen, um meine eigenen Eindrücke einwirken zu lassen und zu versuchen, sie aus meiner Sicht zu schildern. Vielleicht wäre eine 'Warnung' angebracht gewesen, zunächst die eigene Wahrnehmung wirken zu lassen.
Als Eingangsstatement übernehme ich jedoch gern diese Erklärung: » Tobias & Stefan halten Zwiesprache. Ein lebhaftes Spiel mit den Rollen von Solist und Begleiter, zwischen freier Improvisation und Komposition. Ausgangspunkt sind assoziative Bilder verschiedenen Gemüts. Sie öffnen Räume und laden zur Erkundung ein.«.
Manchmal klingt die Musik so, als würden zwei Freunde etwas gemeinsam unternehmen wollen und sich dabei über dies und das unterhalten und dabei ein Gespräch entwickeln, das einmal oberflächlich ist, dann in die Tiefe und in philosophische Unendlichkeiten geht.
Tobias von Glenck aus Hamburg und Stefan Rusconi aus Zürich scheinen auf eine Lücke gestoßen zu sein. Jazz ist es nicht (nur), Klassik passt manchmal, aber avantgardistisch ist es allemal.
"Calima", nach zwei Minuten wilder Konversation schält sich mit dem Bass ein Rhythmus heraus, auf dem sich der Pianist austobt. Wir finden Improvisationen neben Kompositionen mit Wiedererkennungswert - ein wahres Wechselbad von Stimmungen und Gefühlen. Rusconi ist in seinen wildesten Momenten jedoch nie so wild wie beispielsweise Cecil Taylor oder Yosuke Yamashita. Eher verorte ich ihn in Richtung Keith Jarrett, besonders gut auf dem schönen, lyrischen "Gratitude" nachzuvollziehen - hier als eine Anlehnung an die Duo-Platte, die Jarrett mit dem Bassisten Charlie Haden eingespielt hat.
Doch die Ruhe ist nur von kurzer Dauer. Spitz eingeworfene Klavierlaute, die scharf ins Ohr hacken, und der vom Zupfen zum Streichen wechselnde Bass bringen ständige Abwechslung in den sehr intensiven Dialog der beiden Musiker - "Bitter Sweet Erosion" bietet ein interessantes Gespräch! Aber ob da jedermann/frau lauschen möchte? Doch man sollte sich die Zeit nehmen und zuhören, auch wenn es zunächst anstrengend sein mag. Doch hat man diese Schwelle überwunden, schwimmt man in dieser Konversation mit, die sowohl ernste als auch humorig erscheinende Elemente aufweist. "Weites Land", es klingt wie ein Spinett, wenn die Saiten des Pianos traktiert werden, aber auch hier nicht unharmonisch sondern bei aller Freiheit melodisch. Vom Free Jazz ist das für mich weit entfernt, und dann wünschte ich mir, dass die beiden Musiker auch diese nächste Schranke öffnen mögen und einfach abheben würden, denn Chancen dazu gäbe es einige innerhalb der Entwicklung mancher Songs.
"Bitter Sweet" bietet 'unbequeme', fordernde jedoch sehr interessante Musik - eine neue Variante einer Duo-Besetzung. Die Erweiterung zunächst auf ein Trio lässt meinen Gedanken freien Raum und eine Annäherung mit Musikern aus dem ECM-Umfeld könnte ebenso faszinierend sein, wie die Zusammenarbeit mit einem Musiker aus dem Free Jazz-Bereich. Ich bin gespannt, wie es weiter geht!
Ach ja, und nun werde ich mich daran machen, die Erklärungen im Booklet durchzulesen und kann vielleicht das, was ich empfunden habe, wiederfinden…
Line-up:
Tobias von Glenck (Kontrabass)
Stefan Rusconi (Klavier)
Tracklist
01:Calima (4:01)
02:Gratitude (2:20)
03:Bitter Sweet Erosion (7:01)
04:The Calling (2:12)
05:Im Wind (4:27)
06:Weites Land (6:54)
07:Song (2:35)
08:Deserted Place (2:49)
09:Playground (3:50)
10:Contemplation (2:59)
(all compositions by Tobias von Glenck,
except #4 by Stefan Rusconi,
#8 by von Glenck and Rusconi)
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