»Kameradinnen und Kameraden, begehen sie nun mit uns die endgültige, bedingungslose Kapitulation« ... . Tocotronic waren schon immer so etwas wie das gute Gewissen der deutschen Indie-Bewegung. Da mag mancher bei dem Titel "Kapitulation" schon Böses gedacht haben; besagtes Album und auch gleichnamiger Titel lassen zum Glück andere Gedanken aufkommen.
Deutet der Name noch eine strikte Zugehörigkeit zum Studioalbum "Kapitulation" an, so hält "Kapitulation Live" auch etliche bekannte Nummern anderer Scheiben bereit. Es handelt sich also eher um einen Live-Mitschnitt als eine dedizierte Live-Umsetzung des Albums. Das kommt sowohl Fans als auch Leuten zu Gute, die das erste Mal Tocotronic hören - sollte es sowas noch geben. Hier wird ein netter Rundumschlag geliefert: Von den früheren Trotz- und Anti-Liedern, über die nachdenklicheren, tiefsinnigen hin zu den schönen Pop-Balladen. Leichte Kost wird Tocotronic ohnehin nur selten sein, wenn man sich die Mühe macht hinzuhören und nicht nur im Vorübergehen zu konsumieren. Live wird dieses Gefühl allerdings nochmal verstärkt, da hier die Interaktion der Musiker und der Ausdruck der Emotionen direkter, unmittelbarer stattfindet. Dazu noch die Prise Fanstimmung und der typische trocotronisch halbgare Sound - et voilá, fertig ist ein Live-Album, das seinesgleichen sucht.
Bedient werden hier richtungssuchende Optimisten, geläuterte Sozialisten, als auch der Normalsterbliche mit dem Bewusstsein, dass Texte in Musik mehr ausdrücken können als schillernde Musikvideos. Ausgeliefert im schicken Digipack mit S/W-Booklet, in dem bestens die Emotionen seitens der Band als auch des Publikums nachzuverfolgen sind, kommt glatt die Frage auf, wieso es keine Live-DVD geworden ist. Die Intimität, die einem wohl nur der Anblick der Künstler verschaffen kann, wird durch die Offenheit dieser Aufnahme zumindest teils nivelliert.
Ohne Frage wirkt von Lowtzow authentischer als viele andere, die im Sog der Hamburger Schule emporgekommen und teils schon wieder verglommen sind. Was dieser Mann singt, das meint er auch so, oder hat es zumindest einst. Trotz der Mischung verschiedener Tocotronic-Epochen wirkt das vorliegende Werk sehr homogen. Von Lowtzow beschreibt es als Einleitung zu "Aber hier leben, nein danke" sehr treffend mit: »Ein Heimatlied gegen die Heimat - aber man kann dazu tanzen«. Das könnte schon glatt der Slogan der gesamten 'Institution Kapitulation' sein. Und über die Texte von dieser Band muss man nach all den Jahren wohl kein weiteres Wort verlieren.
Zwar mutet es zuerst ein wenig seltsam an, auf ein Live-Album einen aus dem Kontext genommenen Bonus-Track zu setzen. Aber wäre dieses Lied verloren gegangen, es wäre mehr als schade drum. "Wehrlos" bildet so einen Abschluss der CD, der in wunderbarer Weise dazu einlädt, noch einmal Revue passieren zu lassen, was man da gerade vorgesetzt bekommen hat: Feinsten Indiepop mit intelligenten Texten, die dennoch zum Mitsingen und -tanzen einladen. Hier wurde die eigene Vergangenheit, als auch Gegenwart geehrt, und so sollte dies auch durch die Fans geschehen. Für wen Tocotronic neu ist, der hat jetzt die Gelegenheit, eine Übersicht über die Komplexität zu erlangen, durch die sich Tocotronic ausdrückt, ohne dabei all zu affektiert zu wirken. Eine sehr schöne CD - nur muss man sie auch bewusst hören wollen.
Line-up:
Dirk von Lowtzow
Jan Müller
Rick McPhail
Arne Zank
Tracklist |
01:Mein Ruin
02:Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen
03:Sie wollen uns erzählen
04:Verschwör dich gegen dich
05:Aber hier leben, nein danke
06:Luft
07:Kapitulation
08:Aus meiner Festung
09:Imitationen
10:Sag alles ab
11:Explosion
12:Jackpot
13:Drübern auf dem Hügel
14:Freiburg
15:Wehrlos (Bonus Track)
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