Törner Stier Crew / Ausbruch
Ausbruch Spielzeit: 35:15
Medium: LP
Label: WEA Music, 1980
Stil: Deutschrock


Review vom 17.12.2011

  
Steve Braun
Kerle, hab ich mir bei der Suche meiner diesjährigen 'Advents-Rezi' einen Kopp gemacht. Die Vorgabe der Redaktion »Inselplatte, mindestens zwanzig Jahre alt, möglichst kein Eintrag im RockTimes-Index.« macht die Entscheidung nicht unbedingt einfacher. Da brauchte es diesmal einer Eingebung höherer Mächte... Und dann kam die Erleuchtung - »Oh Lord, I saw the light...« - die "Ausbruch" von der Törner Stier Crew muss es natürlich sein!!!!
Schalten wir mal schnell die Zeitmaschine an und beamen uns zurück in die Spätsiebziger, als man einen großen Teil seiner Freizeit damit verbrachte, durch Plattenläden (Ja! Sowas gab's damals noch!!) zu schlurfen. Durch große, neon-geflutete Schallplatten-Paläste ebenso wie durch versiffte Kellerlöcher. Und genau in einem solchen drückte mir ein langhaariger Freak eine Platte mit ultracoolem Cover in die Pfoten. »Mussu unbedingt anhören!!« Die Tipps dieser Socke waren eigentlich immer pures Gold wert - so auch diesmal:
»Schmier' mir Butter in die Haare und seh aus wie Elvis Presley
Schubidua, schubiduaaa
Ich geh zügig inne Eule krieg sofort was auf's Maul
Pow-pow-pow
Ne Bombe geht hoch und die Bullen sind am Start
Die Kalinen kriegen Hektik und dem Dingens brennt der Bart
Die Seegers flippen aus, es ist alles zu spät
Kjflhßt, kflt, dävjnjf.jdk,ochc, fzw+2mtn
Ich bin high und ich bin lustich
Das ficht mich gar nicht an - Sssaddadt.«
Heilige Scheiße, ist das geil - nach nur Einsfünfundvierzig und "Hinkehank" war "Ausbruch" eingetütet!! Die Scheibe entwickelte sich rasend zu purem Kult im Umfeld meiner Band. Als die Törner Stier Crew wenig später in unserer Stadthalle aufspielte, setzte sich das Publikum zu fast hundert Prozent aus Bekannten und Freunden zusammen. Leider nur ein gutes Dutzend 'Kalinen' (Mädels) und 'Seegers' (Typen) - aber die TSC spielte sich den sprichwörtlichen Arsch wund, als ob die 'Schüssel' ausverkauft gewesen wäre. Der Ober-Törner schilderte vor zwei Jahren in RockTimes, was eine TSC-Show ausmachte: » ... viel improvisieren - mitten im Song abbrechen, aus irgendwelchen fadenscheinigen Gründen Chaos verbreiten. Jeder dachte, wir hätten das alles geprobt, aber das waren eigentlich immer 'Impros'. Ein Blick - jeder weiß Bescheid - jeder achtet auf jeden - und so hat das eigentlich immer funktioniert und sah fast wie einstudiert aus.«. Es wurde ein unvergesslicher Abend...
Man muss "Ausbruch" im zeitlichen Kontext sehen: Lindenberg war (leider) kreativ auf dem absteigenden Ast, GrÖnemeyer und der Maffay nervten nahezu grenzenlos. Und da schlägt eine skurrile Mixtur aus Hard Rock, Wave, Punk, Reggae und kauzig-frechen Texten krachend ein. "Ausbruch" konnte (und kann) meiner bescheidenen Meinung nach mit der Nina Hagen Band durchaus mithalten! Traurig, dass sich der ganz große Erfolg nicht einstellen wollte, was sicherlich vornehmlich an Martin Stiers Ausstieg - knapp zwei Jahre später - lag. Freddy Hohmann, der auch auf "Ausbruch" zwei Lieder sang, sollte den Platz am Mikro übernehmen, aber ihm mangelte es etwas an Stimme... und Charisma!
Beides brachte Martin Stier auf "Ausbruch" gleich kiloweise ein - seine markant-tiefe Stimme war ganz klar das Aushängeschild der Band. Er prägte jeden Song, den er sang, und diese verschrobenen Texte passten dazu, wie die berüchtigte Faust aufs Auge. Aber nicht alles, was auf "Ausbruch" zu hören ist, stellt Nonsens dar. Mit "Du suchst dem Leben sein' Sinn" und "Jenny" werden Probleme des täglichen Lebens verarbeitet, aber nie mit dem sozialarbeiterisch erhobenen Zeigefinger [Martin Stier ist gelernter Sozialpädagoge], sondern eben mit dem Schalk im Nacken. Aber die textlichen Highlights liegen ganz klar im Un- und Hintersinn: "Pötermann" beschreibt die Grenzkontrollen an der deutsch/niederländischen Grenze seinerzeit - natürlich stilecht mit einem verkifften Reggae unterlegt. Jaja, damals musste 'Mann' sich nicht nur beim Kreiswehrersatzamt 'bücken'. Schöner als in dem rhythmisch vorwärts treibenden "Miss McGilly Gullys Eggy Peggy Futpul Foopin' Party" kann man eine Schicki-Micki-Party wohl kaum 'verpötern' (weiter unten gibt es einen Clip zu sehen):
»Referent Müller bringt den Spitzenknüller
Tanzt mit Eggy Peggy Boogie-Woogie auf'm Tisch
Nina Kragen bringt's in allen Lagen
Øle Rømpøm geiert gørgelnd durch den Saal - fatal
Adele Raffzahn ist darüber seht pikiert
Dass ihr Mann Franz andauernd sein Gebiss verliert
Weil's schwimmend in der Lauge zum Kauen nicht mehr tauge
?????
Und hiermit laden wir Sie ein
Mal wieder Schwein zu sein
Bei Miss McGilly Gullys Eggy Peggy Futpul Foopin' Party«
Die musikalische Klasse vom Hölmlölm Vieth [wieviel 'Röme' (Haschisch) seine Eltern wohl in die Namensfindung investiert haben mögen??] und Freddy Hohmann an den Gitarren sowie Tastenmann Charlie Steinberg ermöglicht eine überaus kreative Ausgestaltung der Songs. Als Hauptkomponisten produzieren die Drei so manch irren Lauf und überraschendes Break. Wenn sich die beiden Gitarren bei "Du suchst dem Leben sein' Sinn" duellieren, kommt sogar klassisches Southern Rock-Feeling auf. Dazwischen haut Freddy mit "Autobahn" und "SA, SO, MO" zwei lupenreine Punk-Rocker. Walter Stöver macht seinem Spitznamen 'Diesel' nicht nur bei "Hass" alle Ehre. Seine Bassfiguren sind ebenso knurrig wie verspielt - eben ein echter 'Selbstzünder'.
Wenn Stier dann in "Der Baum" verträumt schwurbelt, holen sich verzwirbelte 'Schöngeister' wie André Heller eine solch schallende Ohrfeige ab, dass die Synapsen ihrer fehlgeschalteten Hirnwindungen wieder richtig justiert werden - sicher ein Highlight einer an solchen gewiss nicht armen Scheibe. Die Krönung ist natürlich "Miss McGilly Gully" - viel Spaß damit!!
Der Plattenvertrag für "Ausbruch" war Bestandteil des Nachwuchspreises der Deutschen Phonoakademie (dem heutigen Echo), den sich die Törner Stier Crew 1979 verdiente. Die Idee für das freche Cover wurde zwei Jahre später von der deutschen New Wave-Band Nuala für ihr Album "Aufriss" aufgegriffen.
Wie ging es mit der TSC weiter? Ein Jahr später brachte man das Album "Monster, Blut und kleine Mädchen" heraus. Kurz vor der anstehenden Tour - die Termine waren alle gebucht - stieg Martin Stier völlig ausgebrannt aus und fuhr zur See. Freddy übernahm kurzerhand alle Gesangsparts und Hölme die zweite Stimme - richtig überzeugend war das allerdings nicht. Wieder ein Jahr später kam "Blam Blam" auf den Markt, das allerdings (unverdienterweise) in den Strudel der schnöde absaufenden Neuen Deutschen Welle geriet. Wenig später löste man sich auf - die 'Klassentreffen', die alle paar Jahre auf irgendwelchen Szenebühnen stattfinden, sind nach wie vor ein echter Geheimtipp unter den alten Fans.
"Ausbruch" hält für mich neben "Nina Hagen Band" und einigen alten Lindenberg-Aufnahmen den Status einer Kultplatte in der Sparte Deutschrock. Eine echte Inselplatte also, die es leider (noch) nicht geschafft hat, erstmals auf CD aufgelegt zu werden. Sireena oder MiG: Übernehmen Sie, aber dalli!!
RockTimes dankt Barbara Langer ganz herzlich für die Fotos vom TSC-Klassentreffen im November 2005 - im Index wie im Artikel. You rock!!
Line-up:
Freddy Hohmann (Gitarre, Gesang)
Olaf Schräder (Schlagzeug)
Charly Steinberg (Tasteninstrumente, Wecker)
Martin Stier (Gesang, Kuhglocke)
Walter 'Diesel' Stöver (Bass)
Hölmlölm Vieth (Gitarre)
Tracklist
A-Seite:
01:Hinkehank (1:45)
02:Du suchst dem Leben sein' Sinn (3:20)
03:Autobahn (3:19)
04:Pötermann (3:00)
05:Middle Man (2:00)
06:Der Baum (5:17)

B-Seite:
01:Jenny (4:20)
02:Hass (2:18)
03:Miss McGilly Gullys Eggy Peggy Futpul Foopin' Party (3:52)
04:SA, SO, MO (1:46)
05:Wir sind immer noch dabei (3:50)
Externe Links: