Es war in meinen Frankfurter Tagen - einer Zeit, in der man Supergroups nicht gründen musste, sondern es einfach welche GAB... Auch wenn das 'pöse' S-Wort noch nicht erfunden war, Tokyo hätte man fraglos als eine solche bezeichnen können. Alle fünf Originalmitglieder kannte man aus Bands der Musikszene des Rhein/Main-Gebietes, wie Supermax, sowie als Studiomusiker bekanntester nationaler wie internationaler Acts und Superstars.
All diesen Vorschusslorbeeren zum Trotz: Tokyos Musik wirkte seinerzeit irgendwie antagonistisch. Melodic Rock und AOR waren von Punk wie Heavy Metal gleichermaßen weggefegt worden und national musste sich Tokyos gleichnamiges Debüt mit der grenzdebilen NDW herumschlagen. Alles andere als glänzende Startvoraussetzungen, doch die Band etablierte sich trotzdem, auch weil der Titelsong, "Tokyo", zu einem kleinen Hit avancierte und heute auf keinem Deutschrock-Sampler fehlen darf.
Doch letztlich wollte sich der erhoffte und verdiente Durchbruch angesichts der Rahmenbedingungen einfach nicht einstellen. Die nächsten beiden Alben, "Fasten Seat Belts" und "San", liefen bereits komplett (nicht nur) an mir vorbei. Nach dem plötzlichen Tod des Drummers Fritz Matzka war 1992 endgültig der Ofen aus.
Nachdem alle drei Studioalben vor zwei Jahren erstmals auf CD aufgelegt worden waren, kam völlig überraschend noch einmal Zug in die Chose. Die außergewöhnliche Resonanz 'zwang' Tokyo förmlich ins Studio. Das Ergebnis liegt nun mit "One World" physikalisch vor und ironischerweise passen Melodic Rock und AOR heutzutage bedeutend besser in die musikalische Landschaft, als noch vor dreißig Jahren!
Bis auf den neuen Schlagzeuger, den Österreicher Aaron Thier, agiert Tokyo auf ihrem brandneuen Album in Originalbesetzung. Der passt denn auch bestens zum erneut überragend aufgelegten Bass-Star Ken Taylor. Die große Stärke Tokyos war - neben dem überaus edlen Keyboardspiel Lothar Krells - stets der Umstand, dass die Band über vier versierte Sänger verfügte. Daraus ergaben sich - auch heute noch - vielfältigste Möglichkeiten zur gesanglichen Abwechslung, inklusive der charakteristischen Chorgesänge. Die beiden Gitarristen, Klaus Luley und Robby Musenbichler, prägen nach wie vor den Gesamtsound - mal druckvoll-peitschend ("Stand Up"), mal melodisch breit gefächert ("Children Of Darkness").
Die elf Songs verdeutlichen zudem eindrucksvoll, warum man Tokyo stets als die deutsche Ausgabe von Toto bezeichnete. Folglich sind die Frankfurter vor allem dann bärenstark, wenn die Songs etwas komplexer, 'progressiver' ausfallen. "If We Don't Believe" (tolle Bassläufe Taylors) ist so ein Fall, bei dem es sogar richtig vertrackt wird. "Sea Of Joy" und "Do You Feel The Thunder" kann man ebenfalls als Paradebeispiele für anspruchsvollsten AOR anführen. "Children of Darkness" ist eine auf einem geschniekelten Slow Blues basierende Powerballade, während "Fall Into Sleep" dagegen wie ein 'Lutscher' der Scorpions klingt.
Absolutes Hightlight ist für mich - neben dem gleichwertigen "Sea Of Joy" - das abschließende "Desert Life", das spannungsgeladen mit eindringlichen Stimmungen spielt und dabei sehr komplex arrangiert ist. Ein tolles Ausrufezeichen von Tokyo, das Lust auf mehr macht!
Manches ist allerdings ziemlich vorhersehbar und von daher wenig überraschend - im Fußball nennt man das: 'den Sicherheitspass spielen'. Hier werden altbekannte Strukturen bemüht, die geschmeidige Hook gesucht (allerdings auch zumeist gefunden!), eben die genretypische Karte gezogen. Der Titelsong, "I'm Free" oder (vor allem) "It's Springtime Again" seien an dieser Stelle genannt. Das hört sich jetzt vielleicht negativer an, als es eigentlich gemeint ist. Diese Songs sind ebenfalls gut - nur der Aha-Effekt fehlt halt...
Das Rad muss bekanntlich nicht mehr neu erfunden werden - AOR und Melodic Rock ebenfalls nicht. Tokyo melden sich mit "One World" und einem eindrucksvollen Lebenszeichen zurück, das angenehm an beste AOR-Tage erinnert. Ein Album, das unsereins eine genüssliche dreiviertel Stunde beschert - nicht mehr, aber garantiert auch nicht weniger!!
Line-up:
Klaus Luley (guitars, vocals)
Robby Musenbichler (guitars, vocals)
Ken Taylor (bass, vocals)
Lothar Krell (keyboards, vocals)
Aaron Thier (drums)
Tracklist |
01:One World (5:18)
02:Stand Up (3:19)
03:I'm Free (4:10)
04:If We Don't Believe (3:46)
05:Soon (3:30)
06:It's Springtime Again (3:47)
07:Sea Of Joy (4:09)
08:Fall Into Sleep (3:42)
09:Do You Feel The Thunder (3:46)
10:Children Of Darkness (3:42)
11:Desert Life (5:17)
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