Tool / 10,000 Days
10,000 Days
Da gibt es Leute, die machen sich tatsächlich unheimlich tiefgreifende Gedanken darüber, was zum Beispiel ein Albumtitel "10,000 Days" bedeuten könnte und was für ein Sinn dahinter steckt. Das muss doch einen Grund haben! Liegt darin die Würze und die Spannung einer Message, welche die Band den Hörern übermitteln möchte? Erschließt sich erst dann das musikalische Konzept? Somit hätten wir schon die erste Frage, die ich nicht richtig beantworten kann. Noch dazu, wenn Tool in einem Interview sagen: "Hauptsache es steht etwas auf dem Cover und die Leute suchen nach irgendeiner schlauen Bedeutung".
Treffer, versenkt!!
Das passt doch, wenn eine Band aus eigenem Antrieb auf Promotionstour geht und dann so ziemlich jeden Redakteur und Journalisten im Regen stehen lässt, in dem man kein ernstes Interview gibt und womöglich einfach eine CD in die Reihen der Interessierten wirft und sagt: "Hört Euch die Scheibe an, mehr können und wollen wir Euch dazu auch nicht sagen".
Treffer, versenkt!!
Wisst Ihr was? Ich lache mich schlapp, denn nach dem ich nun mehrere, darunter auch sehr intensive, Umläufe hinter mir habe, passt das alles zusammen. Und ich sage auch gleich, dass ich den Vorgänger "Lateralus" nicht kenne und bisher nicht gehört habe. Insofern bleibt mir ein wahrscheinlich schwieriger Vergleich erspart und das könnte diesmal von Vorteil sein.
Man muss, ich wiederhole mich da gerne, dieses Album oft (nicht öfters!) hören. Als ich die neue Tool-Scheibe zum ersten mal hörte, auch mit den ersten Begeisterungsstürmen aus meinem musikalischen Umfeld im Hinterkopf, war ich kurz davor, in das komische Klappcover 2 Löcher reinzubohren, einen Griff dran zuschrauben und das Teil wegzuwerfen. Das sollte nun tatsächlich diese wahnsinnig tolle Band aus L.A. sein, die schon über 16 Jahre im Geschäft ist? Dessen Vorgängeralbum so mystisch ist und eine unheimlich dichte Atmosphäre aufbaute? Und dafür hat man jetzt 5 Jahre Zeit gehabt und verbraucht? Und das geht jetzt über 76 Minuten Spielzeit? Och nee…bitte nicht.
Doch, ist sie! Und Tool sind etwas besonderes, ohne Frage. Die Musik stilistisch einzuordnen, ist schon mal nicht leicht. Man muss das ja auch nicht, aber es hilft oftmals dem einen oder anderen Interessierten bei der Entscheidung, weiter zu lesen oder eben abzubrechen. Wenn ich sage, dass Tool im Metal zu Hause sind, dann befinde ich mich, so glaube ich, noch auf der sicheren Seite. Wenn ich meine, eine Menge an 'Alternative' rauszuhören, habe ich ein reines Gewissen. Wenn ich eine kleine Prise 'Grunge' höre, auch dann bleibe ich verhältnismäßig locker im Schritt. Den Metal jetzt noch mal unterteilen, dazu habe ich jetzt ehrlich gesagt wenig Muße. Das alles zusammen ergibt von seinen Songstrukturen her und in Hinblick auf die Gesamtheit aller Songs für mich ein progressives Werk in einer doch fast einzigartigen Mischung.
Und geradezu metallisch beginnt mit "Vicarious" das neue Album und was schon hier auffällt, ist der wirklich tolle Sound. Der Bass ist kantig, die Gitarren sind knochenhart und prägnant. Der Schlagzeuger fegt stellenweise über die Toms und setzt so wichtige 'Trademarks' innerhalb des Songs. Und genauso geht es mit "Jambi" (was will uns dieser Titel sagen???) weiter. Und nach gut 14 Minuten der ersten beiden Songs stellt man schon fest, dass es sich lohnt, durchgehalten zu haben. Denn nun wird es mit "Wings For Marie (Pt.1)" in Anlehnung an die vermeintliche Geschichte sehr sphärisch.
Die Story handelt von einem US-Amerikaner, der sich mit dem täglichen Morden im Fernsehen abgefunden hat und somit ziemlich lethargisch durch das Leben wandert. Dieser Umstand wird ihm zum Verhängnis. In Form einer Eingebung wird er zum auserkorenen Retter der Menschheit, und damit kommt er gar nicht zurecht. Von nun ab prasselt Unerklärliches und Wirres auf ihn ein, fängt an, ihn kaputt zu machen. Und das alles versuchen Tool nun musikalisch an den/die Mann/Frau zu bringen.
Im Titelstück über 11 Minuten bricht ein wahres 'Brainstorming' aus, es regnet in Strömen und der Gewitter-Gott tut in unheimlichem Maße seinen Unmut kund. Ausgesprochene Nörgler könnten voreilig zu dem Schluss kommen, dass man das sicher auch in einer kürzeren Variante hätte absolvieren können, aber wenn man sich das Werk als Ganzes gibt, dann finde ich es so, wie es ist, sehr passend.
Das Tool auch recht passable Musiker sind, hört man ab dem Intro zu "The Pot". Schräge Takte und gegenläufige Melodien entwickeln sich zwischen den Gesangsparts zu einem kleinen Duell 'Bass gegen Gitarre'. Oberflächlich betrachtet, empfinde ich Maynard James Keenan nicht als besonders tollen Sänger, muss schließlich aber doch zur Kenntnis nehmen, dass die Stimme des Mannes hervorragend passt.
Das Ganze verwandelt sich stellenweise in ein Hörspiel und versucht den Wahnsinn sprichwörtlich darzustellen. "Rosetta Stoned" vereint dann so ziemlich alles. Es geht hart zur Sache, treibende Gitarrenriffs, die bereits beschriebenen kantigen Bässe und die vollen Drums. Angeblich steckt auch eine Rückbesinnung zum Vorgänger "Lateralus" drin. Diese Frage kann ich erst beantworten, wenn dieses Album dann bei mir im Nachgang angekommen ist. Es werden spielend die Tempi gewechselt und es vollzieht sich ein Stimmungswechsel nach dem anderen. Besonders auffällig ist das Feuerwerk an Effekten mit der Gitarre, und so manch konservativ veranlagter Gitarrist wird sich dabei lieber abwenden, wenn da nicht diese Sogwirkung wäre. Der Song zieht mich in seinen Bann und begeistert mich immer ein Stückchen mehr.
Und während es eben noch brachial zu ging, wird man mit dem Track "Intension" erneut in eine andere Atmosphäre geholt, bevor Tool zum Endspurt ansetzen. "Right In Two" entfacht ein neues Soundgewitter und ob die ganze Geschichte dann schließlich in "Vinginti Tres" (wieder so ein seltsamer Songname) seine Auflösung findet, ein gutes oder schlechtes Ende hat, das überlasse ich allen Hörern, die den Mut fassen und sich diese Platte kaufen. Ich schaue zum Ende in die sog. Röhre, aber das ist mir schon aufgefallen, als ich die dem Cover beiliegende 3-D-Brille aufsetze und mir in Ruhe die mitgelieferten Bilder des Cover-Artworks reingezogen habe.
Es ist nahezu unmöglich, meinerseits Feststellungen zu treffen, wem denn nun das Album gefallen könnte und wem absolut nicht. Bei den 'Prog-Göttern' von King Crimson sprach man immer vom Experimentellen, welches den Reiz ausmachte. Hier hingegen hat man immer das Gefühl, dass nichts aus Neugierde und Unsicherheit entstand, sondern ganz bewusst eingespielt und auf dem Silberling verewigt wurde. Wenn "Lateralus" tatsächlich noch mehr Sphäre hat aufbauen können, na dann gute Nacht.
Andererseits wäre es auch nicht besonders schlau gewesen, einfach nur ein Double zu schaffen. Von daher ist es wahrscheinlich vollkommen 'wurscht', mit welchem Album man nun anfängt, oder nicht. Die 'MTV'-Videozeiten sind vorbei, und mal ganz ehrlich, beim entspannten Essen im 'Burger-King' brauche ich so eine intensive Musik auch nicht. Jetzt habe ich den Schraubendreher und den Plastikgriff wieder eingepackt und bin begeistert.
Line Up:
Vocals: Maynard James Keenan
Guitars: Adam Jones
Bass: Justin Chancellor
Drums: Danny Carey


Spielzeit: 75:50, Medium: CD, Zomba, 2006
1:Vicarious (7:06) 2:Jambi (7:28) 3:Wings For Mary (Pt.1) (6:11) 4:10.000 Days (Wings Pt.2) (11:13) 5:The Pot (6:21) 6:Lipan Conjuring (1:11) 7:Lost Keys (Blame Hofmann) (3:46) 8:Rosetta Stoned (11:11) 9:Intension (7:21) 10:Right In Two (8:55) 11:Vinginti Tres (5:02)
Ralf 'Jogi' Ruhenstroth, 09.05.2006