Wer geglaubt hat, dass sich die US-Melodic-Mainstream Legende Toto auf den, in
knapp drei Jahrzehnten Musikschaffen wohlverdient erworbenen Lorbeeren ausruhen würden, der wird wahrscheinlich schon während der ersten Hörproben des neuen Studio-Outputs vollends hingerissen sein.
Meines Erachtens gelingt es keiner Melodic-Rockband auf so eindrucksvolle Art und Weise, harmonische, relaxte Rockelemente in einen derartig knackigen mitreißenden Sound zu kleiden.
Nunmehr hat man diese musikalische Hausmannskost allerdings mit einer aalglatten Produktion angerichtet, die auch dem durchschnittlichen Verkoster bekommen dürfte.
Unterm Strich haben wir da wieder einmal eine hochkarätige Rockplatte, die vor allem auf dem melodiösen und elegisch balladesken Feld einige exzellente Eckpfeiler zu bieten hat.
Was den Protagonisten bei ihrer neuesten Studioveröffentlichung (sechs Jahre nach der letzten) mit dem neuen Songmaterial gelungen ist, kann man ruhigen Gewissens als fortschrittlich und grandios bezeichnen.
Neben der brillanten Abmischung der insgesamt zehn Tracks sind die instrumentalen Fähigkeiten aller Beteiligten dabei über jeden Zweifel erhaben. Sicherlich kommen hierbei immer deren Erfahrungen als verdiente Studioarbeiter zu Gute, diszipliniert und präzise wie ein schweizer Uhrwerk die Kompositionen instrumental in hochemotionsgeladene Ergüsse umzusetzen.
Die Diskontinuität innerhalb der Topmusikerriege scheint seit Mindfields (1999) nun auch hörbar überwunden zu sein.
Bobby Kimball, bürgerlich Robert Troy Kimball, den man schon häufiger als die 'Stimme von Toto' bezeichnet hat, lässt seine Vokalpartien potenzgestärkter denn je erschallen. Dieses aufgekratzte, kopfstimmengepeitschte Shouting, das wahlweise in einem kräftigen Tremolo zerfließt oder sich mit Soul-Samtheit aufbrezelt, dieses beeindruckende charismatische Organ, hinterlässt bei jedem beherzten Musikkonsumenten einen gehörigen Eindruck.
Schlagwerker Simon Phillips, ein britischer Hansdampf in allen Lagen, trommelt mit der Exaltiertheit alter Schule und weiß so ziemlich genau, dass selbst längste Wirbel unter
seinen Händen dynamische Qualitäten entwickeln. Er konnte freilich nie den 1992 an den Folgen seines Kokainmissbrauchs verstorbenen Jeff Porcaro völlig ersetzen, ist aber seitdem ein würdiger Vertreter im Angesicht des Herrn.
Griffbrettarchitekt Steve Lukather hat über die Jahre seine spielerische Bandbreite gewinnbringend ausgebaut, öffnet sich jetzt partiell moderneren Stilen und betreibt ein bisschen Fusion, das so manchem harten Riff zugute kommt.
Der einstige Tourkeyboarder Greg Phillinganes (ex-Stevie Wonder, Eric Clapton, Michael Jackson) wurde als sechstes festes Gruppenmitglied integriert, und beweist mit viel Leidenschaft neben seinen instrumentalen auch gesangliche Qualitäten.
Bassist Mike Porcaro zaubert wie jeher die coolsten Grooves aus seinen Fingern, eine exorbitante Mischung gnadenlos harmonisierender Hooklines mit überproportionierter Exzentrik.
Ruhepol und Verfasser der Rock-Evergreens ("Africa"; "Rosanna"; "Toto IV"; "1982") David Paich, der Sohn eines renommierten TV-Musik Komponisten, bediente die Tasten bzw. erhob die Stimme in unerschütterlicher Perfektion, immer mit dem Hang zu klassischen Strukturen.
Das, nach Dorothys Hund in dem Märchenfilm "Wizzard Of Oz" benannte Musiker-Kollektiv aus Los Angeles, war schon immer der Musterfall einer Rockband, deren kultiviertes Musikverständnis den lyrischen Gehalt ihrer Stücke weit übertraf und deren entspannter, eleganter Professionalismus ihre Darbietungen oftmals steril erscheinen ließ.
Diesmal erarbeiteten Toto ihr neues Songmaterial im echtem Teamwork. Mit Ausnahme weniger Titel war die gesamte Gruppe am Komponieren beteiligt: "Diesmal gab es keine Vorarbeit. Wir gingen ins Studio und jammten, bis uns ein gelungener Einfall kam. Anschließend nahmen wir auf und pickten uns die besten Parts heraus. Wenn ein Track beendet war, kümmerten wir uns um die Melodielinie und den Text.", so Lukather.
Und das Ergebnis verblüfft tatsächlich. Musikalisch zeigen sich Toto vielseitiger als
bisher, mit beherzter Individualität und persönlicher Freiheit leben sich die 'Session'-Musiker zwischen plüschigen Melodien, jazzigen Diskursen, progressiven Rockattacken und funkigen Grooves aus.
Ohne sich selbst zu kopieren, gelingt den Protagonisten eine erhabene Mischung aus ihrem bisherigen musikalischen Schaffen, in bester Toto-Manier zu kreieren. Trotzdem konnten sie es wieder nicht lassen, eine Handvoll Musikgrößen für das neue Werk zu verpflichten. So gaben sich ihr ehemaliger Sänger Joseph Williams (besang hauptamtlich drei Alben der Band), Tull-Flötist Ian Anderson, die Bläser-Sektion von Chicago, Jason Scheff, L.Shenkar, Saxophonist Tom Scott
und Perkussions-Legende Lenny Castro u.a. ein effektives Stelldichein.
"Falling In Between" ist in der Tat ein homogenes, facettenreiches Gesamtprodukt
geworden. Hört man einmal über die massenkompatiblen Mainstream-Einschübe hinweg, würde ich bei jedem der neuen Tracks keine Abstriche machen.
Der musikalische Reigen spannt sich von härteren klassischen Sachen ("Falling In Between"; "Taint Your World"; "No End In Sight") - bei welchen sich die Akteure ausleben, sich aber nicht allzu oft in passionsloser Endlos-Rifferei verlieren - bis hin zu strahlend schönen, chorus-gesteuerten Schmelzballaden ("Simple Life"; "Spiritual Man").
Die verschiedenen Musikercharaktere werden dabei adäquat in Szene gesetzt bzw. in den raffinierten, aus vielen heterogenen Quellen gespeisten Sound eingepasst.
So wird das angesoulte, bluesgeerdete Rock-Kitschier ("Hooked") von Ian Andersons unsterblicher Retro-Querflöte oder das saitenspielerische Kabinettstückchen ("Dying On My Feet") von stampfenden Big-Band Bläsersätzen, wohl genährt.
Als Anspieltipps eignen sich im Grunde genommen jede der zehn Nummern, denn auf abebbende Phasen wartet man hier vergebens. Mein ganz persönliches Glanzlicht ist das gnadenlos in die Gehirnrinde eindringende "Spiritual Man", ein kuschelrock-kompatibles Rührstück, in dem sich Paich und Phillinganes gesangstechnisch voller Lust und großem Gefühl die Spielbälle zuwerfen. Unterfüttert wird das harmonisierende Minnesang-Duett durch kantable Saxophonläufe, die gemeinsam mit dem Refrain ein
gutes Bauchgefühl vermitteln.
"Falling In Between" ist ein Rückenmark kitzelndes, akkurates Stückwerk Musik,
dass sowohl in den rockigen, als auch in den ruhigen Momenten mit seiner Magie fesseln kann. Vielleicht bedarf es auch des 'Dritten Ohres' um in Totos grazieler Rockwelt aufgehen zu können.
Dieses Meisterwerk ist für den Liebhaber anspruchsvoller Rockmusik unverzichtbar!
Spielzeit: 48:50 Min, Medium: CD, Frontiers Records, 2006
1:Falling In Between (4:06) 2:Dying On My Feet (6:11) 3:Bottom Of Your Soul (6:59) 4:King Of The World (4:05) 5:Hooked (4:37) 6:Simple Life (2:22) 7:Taint Your World(4:03) 8:Let It Go (5:00) 9:Spiritual Man (5:23) 10:No End In Sight (6:11)
Ingolf Schmock, 09.02.2006
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