Trans-Siberian Orchestra / Beethoven's Last Night
Beethoven's Last Night Spielzeit: 72:59
Medium: CD
Label: Sony Music BMG / Tonpool, 2010 (Wilde Child Records/SPV, 2000)
Stil: Prog Rock, Klassik


Review vom 23.12.2010


Steve Braun
Es ist spannend zu beobachten, wie "Beethoven's Last Night" nun seit zehn Jahren die Freunde anspruchsvoller Töne spaltet. Die oft zu hörende Meinung, hier hätten sich ambitionierte Metal-Musiker an Ludwig van Beethovens Lebenswerk gewaltig verhoben, ist - mit Verlaub und bei allem Respekt - albern und lässt sicherlich auch das kreative Trio O'Neill, Oliva und Kinkel schmunzeln. Wohl wissend, dass dies in seriöser Form gar nicht möglich ist, erzählen die drei hier ihre eigene, fiktive Geschichte von Beethovens letzter Nacht und seinem Geschacher mit dem 'Schicksal' und Mephisto um sein Seelenheil.
Hängt also, liebe Leser, die Ansprüche nicht in Regionen, die zu erreichen niemals geplant waren. Es handelt sich nicht um klassische Musik des Komponisten Beethoven mit einem bisschen Rockbegleitung. Es ist stattdessen nicht mehr - aber auch nicht weniger - als ein Konzeptalbum aus der Sparte des progressiven Rocks mit Versatzstücken aus Beethovens bekanntesten Kompositionen. Wer dessen Komplexität der Harmonien erwartet, muss einfach enttäuscht werden.
Ludwig van Beethoven habe ich quasi mit der Muttermilch aufgesaugt. Meine Eltern - von klassischer Musik begeistert - hatten die glorreiche Idee, mir eine Klavierausbildung zukommen zu lassen. Ich kann mich noch dunkel erinnern, dass "Für Elise" meine erste Begegnung mit dem genialen Tauben war. Ebenso präsent ist noch, dass Mozart etwas für Mädchen war - Beethoven dagegen war ein waschechter Rocker (Punker gab es damals noch nicht).
Von daher fand ich alle Begegnungen zwischen Orchestern und Rockmusikern, wie bspw. bei Deep Purple stets hoch spannend. Ja - und ich gestehe - Queens "Bohemian Rhapsody" liebe ich noch heute...
Spätnachts, am 26. März 1827, sitzt Ludwig van Beethoven im heimatlichen Wien und versucht, sein finales Meisterwerk, seine Zehnte Symphonie, zu beenden. Als er gerade damit fertig ist, kommt das 'Schicksal' und ihr Sohn 'Wendung' bei ihm an und teilen mit, was er schon lange ahnt: Es ist sein Todestag. Kurz nach dieser Eröffnung erscheint Mephisto, um des Komponisten Seele zu holen. Er bietet diesem einen Deal an: Wenn Beethoven sein gesamtes Lebenswerk auslöscht, will er ihm seine Seele belassen.
Erbost wendet sich Beethoven an das 'Schicksal' und hält diesem sein hartes, bisheriges Leben vor. Das 'Schicksal' erlaubt Beethoven eine Zeitreise durch sein Leben und die Möglichkeit, an entscheidenden Weichenstellungen Änderungen seines Lebenslaufes vorzunehmen. Hier beginnt die Reise zurück in die Kindheit des Protagonisten.
Die Vertonung dieses Schacherns mit dem 'Schicksal' über die Ausrichtung seines Lebens und die damit verbundenen Erinnerungen, Gefühle und Visionen dürfte keinen Hörer kalt lassen. Ob man die Kompositionen zwischen den Polen 'einfach gestrickt' und 'pompös aufgedunsen' verortet oder schlichtweg als 'ergreifend' empfindet, hängt vom eingangs beschriebenen Standpunkt ab.
Das hinter den Musikern des Trans-Siberian Orchestras wichtige (teilweise ehemalige) Mitglieder der US-amerikanischen Prog- und Power-Metaller Savatage stehen, darf als bekannt angenommen werden. Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass es sich um Jon Oliva, Al Pitrelli, Chris Caffery, Johnny Lee Middleton und Jeff Plate sowie deren Hauptsongschreiber Paul O'Neill handelt. Allerdings beschränkt sich die 'Härte', die man bei dieser Konstellation erwarten würde, nur auf einzelne Versatzstücke. Größtenteils handelt es sich um orchestral aufgearbeiteten progressiven Rock, wobei ich das Gesamtwerk nicht monströs, sondern viel eher als wohl proportioniert bezeichnen würde. Lediglich die Drums hätten präsenter abgemischt werden dürfen.
Immer wieder werden Einschübe aus Beethovens Fünfter, der Europa-Hymne "Ode an die Freude" (aus der Neunten) zitiert. Das obligatorische "Für Elise" - (Alp-)Traum aller Klavierschüler - darf natürlich ebenfalls nicht fehlen.
Gut, in einem Punkt mag ich die Kritiken an "Beethoven's Last Night" nachvollziehen: Gelegentlich sind die Balladen etwas einfach strukturiert, wobei ich "The Dreams Of Candlelight" und vor allem "Who Is This Child" ausdrücklich ausnehmen möchte.
In zwei Punkten überzeugt dieses Album gnadenlos. Zum einen liefern Jon Oliva und Robert Kinkel in den Pianopassagen großartige Arbeit ab. Diese Arrangements sind das Rückgrat von "Beethoven's Last Night".
Zum anderen überzeugen die ausgewählten Sänger durchweg! Zuvorderst natürlich Jon Oliva, der als Mephisto die Idealbesetzung Alice Cooper vergessen lässt, und der Sänger und Schauspieler Jody Ashworth als Beethoven. Aber gerade Meat Loafs musikalische Partnerin Patti Russo sorgt als des Meisters Geliebte, Teresa Malfatti, für Gänsehautmomente.
Zu guter Letzt entscheidet Beethoven, sein Lebenswerk nicht auslöschen zu lassen. Mephisto macht einen neuen Vorschlag und fordert nun lediglich die gerade fertig gestellte Zehnte Symphonie als Gegenwert für Beethovens Seele. Dessen Gegenspieler Mozart meldet sich zu Wort und rät dringend ab. Nun wird der Höllenfürst rabiat und droht, einem Waisenkind schlimmste Torturen zuzufügen, wenn er die Seele nicht bekommt. Beethoven akzeptiert widerwillig, allerdings unter vertraglicher Auflage, dass Mephisto sich aus dem Leben des armen Waisenkindes heraushalten muss. Des Komponistenfürsten Seele wird selbstredend ihrem wahren Bestimmungsort, dem Himmel, zugeführt. So endet der durchaus vergnügliche Plot...
Verpackt ist diese neue Ausgabe von "Beethoven's Last Night" in einem wunderschön gestalteten Digipak mit integriertem, vierzigseitigen Booklet. Auch das Artwork ist komplett umgestaltet worden.
Selbst wenn man dieses Konzeptalbum bestenfalls zum Abwaschen oder Autofahren goutieren mag - hörenswert ist es in jedem Fall. Wer bis hierhin mit dem Lesen durchgehalten hat, wird sich kaum wundern, dass ich dem Trans-Siberian Orchestra für dieses Opus 9 von 10 RockTimes-Uhren verleihe. Acht für die großartige Umsetzung des Stoffs und einen Bonuspunkt für die schlichtweg geniale Idee.
Im März kommt das Trans-Siberian Orchestra - nach riesigen Erfolgen in den USA - mit dem Programm "Beethoven's Last Night" nach Europa. Immerhin acht Termine sind dem deutschsprachigen Raum vorbehalten.
Ihr findet sie wie immer in unseren bestens sortierten Tourdaten.
Line-up:
Jon Oliva (lead vocals, piano, keyboards, bass)
Paul O'Neill (rhythm- & acoustic guitars, production)
Robert Kinkel (piano, keyboards, background vocals)
Al Pitrelli (lead- & rhythm guitars, bass)
Chris Caffery (guitars)
Johnny Lee Middleton (bass)
Jeff Plate (drums)
Dave Wittman (drum-, guitar- & bass-inserts)
Jody Ashworth, Patti Russo, Guy Lemmonnier, Jamie Torcellini, Sylvia Tosun, Zak Stevens, Dave Diamond, Doug Thomas (lead vocals)
Danielle Landherr, Marni Elliot, Christian James, Jacob Ashworth, Evan Maltby, Sebastian Perez, Caroline Ross (choir)
u.v.m.
Tracklist
01:Overture (2:57)
02:Midnight (2:10)
03:Fate (1:15)
04:What Good This Deafness (1:47)
05:Mephistopheles (3:43)
06:What Is Eternal (4:40)
07:The Moment (2:47)
08:Vienna (3:32)
09:Mozart / Figaro (3:18)
10:The Dream of Candlelight (4:05)
11:Requien [The Fifth] (2:59)
12:I'll Keep Your Secrets (4:15)
13:The Dark (4:23)
14:Für Elise (0:41)
15:After The Fall (4:35)
16:A Last Illusion (5:26)
17:This Is Who You Are (3:59)
18:Beethoven (2:56)
19:Mephistopheles' Return (4:25)
20:Misery (2:44)
21:Who Is This Child (2:33)
22:A Final Dream (1:56)
Externe Links: