Anfang der Siebziger Jahre feierte der Hard Rock von den Britischen Inseln auch in unseren Breiten große Erfolge. Leider gab es damals bei den Rundfunkstationen nur wenige Sender, die diese Musikrichtungen spielten. Bei Tucky Buzzard verhielt es sich ähnlich, denn sie wurden schlicht ignoriert. Daher wurde ich auf diese LP im New Musical Express aufmerksam, deren Stilrichtung als Hard Rock-Neuerscheinung definiert wurde. Damals unter dem Label Capitol Records erschienen, einem US-Major-Plattenlabel, war es schon fast unmöglich, an diese, wie es sich dann herausstellte, Kostbarkeit, heranzukommen.
Tucky Buzzard wurden damals mit ihrer zweiten Veröffentlichung "Warm Slash" maßlos unterschätzt. Von keinem Geringeren als Bill Wyman, dem Bassisten der Rolling Stones produziert, musste man eigentlich davon ausgehen, eine größere Öffentlichkeitswirkung zu erzielen? Jedoch war dem leider nicht so! Nichtsdestotrotz schufen die fünf Briten ein monumentales Meisterwerk, das jetzt nach über 37 Jahren immer noch zu den zehn Klassikern gehört, die ich zu denjenigen zähle, die bis jetzt noch nichts von ihrer Einmaligkeit und Anziehungskraft verloren haben. Mit anderen Worten, das wäre eines der Tondokumente, die ich bei der Auswahl von zehn möglichen, auf eine einsame Insel mitnehmen würde.
Aufgenommen im Schloß Chateau d'Heuroville, einem Tonstudio bei Paris, in dem auch die Rolling Stones, Pink Floyd, Bee Gees und viele andere Berühmtheiten schon zu Schallplattenaufnahmen weilten, war es eine große Ehre für eine derart unbekannte Gruppe, dort ihre Kompositionen für die weitere Vinylverarbeitung zu konservieren.
Jimmy Henderson, der Lead-Sänger hat eine Stimme, die man am besten in die Klasse von Edelstahl einstufen kann. Blues, Heavyness, Melancholie, Trauer und Aggression, diese ganze Bandbreite an Emotionen miteinander vereint, das ist wohl die am besten zutreffende Beschreibung für dieses Organ, das in seiner Einzigartigkeit bis heute von keinem Shouter mehr erreicht wurde.
Hard Rock mit einem Hauch von US-Einfluss präsentiert sich gleich bei dem Intro "Mistreating Woman", das mit schleppender Gitarre und melancholischer Stimme, aufwühlend durch einen Song führt, der rockt und zugleich Blues-Roots offenbart. Mit gedrosseltem Tempo verbreitet dieser Track gleich zu Anfang einen Charme, der einen bis zum letzten Ton nicht mehr aus den Klauen lässt. Emotional und mit viel Tiefgang ergießen sich gekonnt langsame Rhythmen auf den Zuhörer, bei dem die Grundmelodie jedoch nie den Faden verliert. Nur mit Piano, aber dafür mit sattem Groove, bis dann die Gitarre sich langsam in das tonale Gerüst fräst, startet "She's A Striker", bei dem der Sänger seine ganze Energie beinahe archaisch in das Mikro röhrt. Kurz und stampfend explodiert ein Ohrwurm, der mehrdimensionale Stimmungen absondert. Kantige Riffs konvertieren diese Komposition in einen satten Hörspaß.
"Fill You In", beinahe manisch in seiner Intensität, zeigt hier, dass der Star die Hooklines sind, bei der sich die Stimme beinahe spiralförmig in die Höhe schraubt und dabei eine Bandbreite offenbart, die in ihrer hypnotischen Wirkung an ein kulinarisches Kunstwerk erinnert. Und gleich geht's weiter mit "Need Your Love", das eindrucksvoll unter Beweis stellt, wo die tatsächlichen Roots dieser Band liegen. Nur mit Akustikgitarre trägt die Stimme diesen Track durch eine schwarze sternenlose Nacht. Man glaubt irgendwo am Mississippi-Delta zu sitzen und in der Hitze der Nacht den Geräuschen der Natur zu lauschen. Atemlosigkeit steigt auf und endet erst nach dem Verhallen des letzten Tons.
Der Longsong "Which Way, When For Why" schleicht sich an wie ein Raubtier und explodiert dann als Groove-Monster, bei dem man sich wünscht, dass es nie enden möge. Die Stimme schlängelt sich aus einer Verpackung aus Samt und packt den Hörer mit einer Intensität, die zugleich majestätisch und emotional ist und dabei höchste Kompositionskunst in einem Wechselbad der Gefühlsregungen vereint, die fast meditative Wirkung haben. Dynamik und Abwechslung haben einen der Klassiker im Hard Rock-Sektor schlechthin geschaffen.
Mitreißende Hymnen auch auf "Burnin'" mit facettenreichem Piano-Arrangement, das im Mittelteil Hendersons Vocals zu weiteren tonalen Exzessen anspornt. Die Gitarre lässt gekonnt eingängige Riffs durchschimmern, die aber betont unaufdringlich mit Tempiwechseln durchgezogen werden.
Prägnante Wah Wah-Effekte im Duell mit dem Gesang, lassen auch "Heartbreaker" nicht mehr aus den Gehörgängen entschwinden. Mit rockiger Gangart werden weitere große Song-Ideen am Fließband produziert. Dass der Frontmann auch bei Semi-Balladen beeindrucken kann, zeigt ein weiterer musikalischer Überflieger in "Sky Balloon", bei dem sich jedes Nackenhaar einzeln aufstellt. Hier wurde eine Komposition geschaffen, die in ihrer Kompaktheit und Sentimentalität wohl wegweisend ist. Eine Gesangsleistung, die Stimmung und Trauer in nie da gewesener Form vereint.
Jede Facette des musikalischen Gehörs wird in Schwingungen versetzt und der Meister am Mikrophon setzt ein Denkmal der wahren Rockballade, die zu dieser Zeit noch nicht als solche bezeichnet wurde.
Typisch britisch mit Pianoklängen im Honky Tonk-Rhythmus und Slide-Beilagen kommt das Outro mit "Ain't Too Soon", welches das Ende dieser faszinierenden Produktion einleitet. Eingängig und mit lockerer Partylaune werden nochmals Akzente mit tollen Hooklines gesetzt.
Tucky Buzzard haben mit ihrem Zweitling die Büchse der Pandora geöffnet, ohne dabei im entferntesten zu ahnen, dass sie Maßstäbe für nachfolgende Generationen setzten.
Noch nach Jahrzehnten wirkt dieses Album immer noch atemberaubend in seiner Intensität und faszinierenden Stimmakrobatik.
Mit dieser Produktion wurde Großes für die Rockwelt geschaffen und man sollte "Warm Slash" zum Zeitpunkt der Veröffentlichung gehört haben, um das Feeling zu begreifen, das einem beim Hören dieser Musik ergriffen innehalten ließ.
Releases:
Tucky Buzzard (US: Capitol ST 787, 1971)
Warm Slash (Capitol E-ST 864, 1971)
Coming On Again (Spain: Hispavox HHS 11-208, 1972)
Allright On The Night (Purple TPSA 7510, 1973)
Buzzard (Purple TPSA 7512, 1973)
Time Will Be Your Doctor: Rare Recordings 1971-1972 (Castle/Sanctuary CMEDD1249, 2005)
Line-up:
David Brown (vocals, bass)
Jimmy Henderson (lead vocals)
Terry N. Taylor (vocals, guitar)
Chris Johnson (drums)
Nick Graham (vocals, keyboards)
Tracklist |
01:Mistreating Woman (2:55)
02:(She's A) Striker (3:15)
03:Fill You In (3:15)
04:Need Your Love (3:23)
05:Which Way, When for Why (7:52)
06:Burnin' (5:27)
07:Heartbreaker (4:33)
08:Sky Balloon (5:50)
09:Ain't Too Soon (4:30)
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Externe Links:
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