Den Schotten Midge Ure kann man wunderbar in die Schublade 'Stiller Held' stecken.
Das ist aber auch das einzige Attribut, was man bei ihm in eine Schublade einsortieren kann.
Viel zu umfangreich ist sein musikalisches Schaffen, um es kurz abhaken zu können.
Der 1953 in Glasgow geborene Ure ist u.a. Gründer von Ultravox, Solo erfolgreich und hat mit Bob Geldof das 'Live Aid'-Projekt ins Leben gerufen. Genug Material also für ein nettes Interview.
An diesem Sonntag betrat ich den heiligen Backstagebereich der 'Kufa' und mich erwartete ein zurückhaltender, aber sehr aufmerksamer Midge Ure. Auf dem Tisch standen Balisto und Bananen - vom Rock ´n´ Roll-Lifestyle keine Spur. Mit seinem markanten schottischen Akzent und ruhiger Stimme erzählte mir der äußert sympathische Zeitgenosse einiges über seine Arbeit und seine Einstellung zum Thema 'Berühmt sein'.
RockTimes: Du bist alleine auf Tour- nur du und deine Gitarre auf der Bühne. Vermisst du nicht manchmal eine Band im Hintergrund, mit der du zusammen spielen kannst?
Midge: Ja und Nein. Zum einen ist es natürlich schön, wenn man auch mal vom Mikro wegtreten kann und nicht immer im Mittelpunkt steht, aber andererseits bin ich mein eigener Chef auf der Bühne und kann spontan ohne Absprache spielen, was mit einfällt. Das mache ich auch jeden Abend so. Ich habe zwar ein Konzept, aber wenn ich denke, ich müsste jetzt ein Lied etwas anderes interpretieren, setze ich das auch spontan auf der Bühne um.
RockTimes: 'Anders interpretieren' ist ein gutes Stichwort. Du spielst heute Abend einen Querschnitt deines gesamten musikalischen Schaffens. Wie bist du vorgegangen, als du dich entschieden hast, auch die synthie-lastigen Lieder von Ultravox nur mit Gitarre zu spielen?
Midge: Ich las einmal von einem großen Liedermacher den Spruch, dass ein Song nur dann wirklich gut ist und Substanz hat, wenn man ihn auch ohne Band mit minimalsten Mitteln spielen kann und er dann noch funktioniert. Bei der Arbeit zu diesem Bühnenprogramm habe ich verstanden, was er damit meinte. Manche Lieder kann man einfach nicht ohne Keyboard oder Drums spielen. Gott sei Dank habe ich aber festgestellt, dass ein Großteil der alten Ultravox-Nummer auch unplugged funktionieren. Sogar "Vienna" funktioniert völlig ‚nackt' nur mit Akustikgitarre. Ich brauchte einige Zeit, bis ich das auch umsetzen konnte, aber schließlich habe ich ein Art und Weise gefunden, wie ich gerade diesen Song auch in dieser Form umsetzten kann, ohne dass der Kern des Lieds verloren geht.
RockTimes: Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, eine Solotour zu machen?
Midge: Vor ein paar Jahren hat mich die Plattenfirma gebeten, eine Amerikatour mit einigen klassischen Singer/Songwriter zu machen (Anmerkung: Musiker singen ihre Lieder und erzählen Geschichte zu den Songs- vergleichbar mit 'VH1-Storyteller'). Ich war zunächst nicht sehr begeistert, habe mich dann aber doch breitschlagen lassen. Im Nachhinein war es ein tolles Erlebnis und ich habe sehr viel gelernt auf dieser Tour. Als ich dann vor ca. 10 Jahren das erste Mal in dieser Form in Europa tourte, wussten die Leute nicht so recht, wie sie das einschätzen sollten. Heutzutage sieht die Sache anders aus, denn Leute wie James Blunt singen live ihre Lieder auch ohne große Show und Effekte. Nur der Musiker und das Lied. Ich begrüße diese Entwicklung, denn am Erfolg von James Blunt kann man sehen, dass es durchaus wieder eine Nachfrage für klassische Singer/Songwriter gibt, die einfach nur ihre Lieder vor Publikum singen.
RockTimes: Ich habe vor ein paar Tagen ein Interview mit James Blunt gelesen und der Journalist, der das Interview führe, hat ihn mit Chris de Burgh verglichen, worauf der sonst so ruhige Blunt sehr böse wurde.
Midge: (lacht herzlich los) Das kann ich gut verstehen, dass man sauer wird, wenn man mit Chris de Burgh verglichen wird. Da bin ich ganz auf James Blunts Seite.
RockTimes: Mir ist aufgefallen, dass du Anfang der 80er viele Projekte parallel laufen hattest. War dies nicht eine sehr stressige Zeit für dich?
Midge: Nein, eigentlich nicht. Ich hatte damals das erste Mal die Möglichkeit, alleine in einem Tonstudio zu arbeiten und zu experimentieren. Das war eine tolle Sache und zu dieser Zeit war ich sehr von den damals angesagten deutschen Elektronikbands fasziniert, wie Kraftwerk, Neu oder La Düsseldorf. Das hat mich dann auch zu "Fade To Grey" für Visage inspiriert. Parallel habe ich dann Ultravox gegründet und durch den Erfolg beider Bands hatte ich die Möglichkeit, mir mein eigenes Tonstudio einzurichten. Ich habe fleißig im Studio weiter Songs geschrieben und als die Plattenfirma diese Sachen hörte, ermutigten sie mich, eine Soloplatte zu veröffentlichen. (Anmerkung: Hier verschweigt der nette Herr Ure ganz bescheiden, dass die erste Solo-Single "If I Was" im Jahre 1985 direkt ein Riesenhit wurde).
RockTimes: Siehst du deine Karriere als Entwicklung vom sehr keyboardlastigen Sound bis zur heutigen Uplugged-Show, oder hast du schon immer verschiedene musikalische Vorlieben gehabt?
Midge: Ich sehe das nicht direkt als Entwicklung. Ich möchte betonen, dass ich auch bei eher Keyboard-orientierter Musik wie bei Ultravox immer Gitarre gespielt habe. Die Gitarre ist mein Stamminstrument, die ich in den Jahren verschieden eingesetzt habe, aber im Endeffekt bei allen Experimenten bin ich Gitarrist- in welcher Form auch immer.
RockTimes: Gab es bei aller Begeisterung für die Musik auch mal eine Phase, in der du dem wilden Rock 'n' Roll Leben gefrönt hast, oder war dies für dich damals nie ein Thema?
Midge: (lächelt etwas verlegen): Als damals Ultravox anfing sehr erfolgreich zu werden und wir auf Tour waren, haben wir es manchmal etwas krachen lassen. Für manche Leute sahen wir aus wie vier Wissenschaftler, aber wir waren ein Band (lacht). Wir waren jung und ich denke, dass dies nur menschlich ist. Später und auch heutzutage interessiert mich das wilde Tourleben mit Exzessen und sonstigen Klischees überhaupt nicht (zeigt auf den bereits beschriebenen Tisch mit den Bananen und lacht).
RockTimes: Du hat allgemein den Ruf als der 'stille Typ', der gerne im Hintergrund arbeitet und nicht unbedingt das Rampenlicht sucht. Beim letztjährigen Jubiläum von 'Live Aid' bzw. 'Live8' warst du auch wieder, wie vor 20 Jahren, beteiligt, man sah im Fernsehen immer nur Bob Geldof in die Kameras lächeln, dich aber nie. Bist du zufrieden mit dieser Rolle oder genießt du das sogar?
Midge: Ja, dass kann man so sagen. Bob ist der Mann für die Medien und er weis sich und die Sache gut zu präsentieren. Die Leute wissen, dass ich auch daran beteiligt war und das reicht mir. Ich muss das nicht immer noch in eine Kamera sagen.
RockTimes: Wirst du denn trotzdem manchmal in deiner Heimat erkannt und angesprochen?
Midge: Ich bin der Typ, der Ähnlichkeit mit Midge Ure hat (lacht). Es ist meistens so, dass man mich z.B. auf dem Bahnsteig erkennt. Dann bleibt jemand stehen und denkt 'Der Typ sieht aus wie Midge Ure'. Während der darüber nachdenkt, bin ich aber schon weiter und er geht dann auch weiter. Ich kann Abends ein ausverkauftes Konzert spielen und am nächsten Tag gehe ich um die Ecke mit meinen Kindern im Supermarkt einkaufen und niemand erkennt mich. Ich mag es sehr, dass ich ein ganz normales Leben führen kann. Anonymität ist für mich Luxus.
Das abendliche Solokonzert unterstrich dann eindrucksvoll das musikalische Können dieses Künstlers. Mit einem schönen Mix aus sämtlichen Phasen seines musikalischen Schaffens präsentierte er 90 sehr intensive Minuten. Auffallend war seine tolle Stimme und dass er auch alle hohen Töne, wie bei "Vienna" oder "Dancing With Tears In My Eyes", sehr sauber traf. Außerdem gab es einige seiner Lieblingsongs zum besten wie "Little Girl In Bloom", was er seinem vor 20 Jahren verstorbenen Freund Phil Lynott von Thin Lizzy widmete. Auch seine Interpretation von "The Man Who Sold The World" von David Bowie war sehr gelungen. Als Zugabe gab es dann noch seinen Hit "If I Was" sowie die Ultravox-Nummer "Hymn". Ein schöner Ausklang eines musikalisch sehr beieindruckenden Abends.
Interview mit Midge Ure
Udo Gröbbels, 13.05.2006
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