Als mich Ilka fragte, ob ich Ureas rezensieren wolle, war der Hauptgrund meiner Zusage, dass das Debütalbum "The Naked Truth" der Dänen Heidi und Per Johansson eine Metalscheibe mit weiblichen Vocals ist. Warum? Weil ich damit extrem kritisch und pingelig bin, wenn Frauen neuerdings meinen, kreischen und grunzen zu müssen.
Ich lasse mich gerne eines Bessern belehren und glaube keineswegs, dass man generell sagen kann, das sei nix für Mädels. Sandra Nasic, die Ex-Shouterin der Guano Apes hat allen gezeigt wie es geht. Aber einige derer, die sich in den letzten Monaten hier im Player gedreht haben, hätten es lieber lassen sollen. Ohne ihr eine Wahnsinnsüberstimme bescheinigen zu wollen, gelingt Heidi Johanssons hoher Stimme der Spagat zwischen cleanen Gesängen, Gekreische und druckvollem Gesang sogar recht gut.
Den Gegenpart bildet die kratzige, raue und eigenwillige Stimme ihres Ehemannes Per, die manchmal fast eine Art 'Antigesang' darstellt und hin und wieder vermeintlich schräg klingt.
Per singt seit seinem 15. Lebensjahr in verschiedenen Bands. Unter anderem sang er bereits für Crystal Knight und Dorian Gray, sowie mit Hank Sherman und Michael Denner (beide Mercyful Fate) bei Lavina. 1990 wurde er als Shouter von Fate verpflichtet, wo er auch heute noch tätig ist.
Ureas ist lediglich ein Side-Projekt, in dem die Beiden eigene Ideen und Erfahrungen verarbeiten wollten. Professionelle Hilfe bekamen sie dabei von Produzent Tommy Hansen ( Helloween, Pretty Maids, DAD, Beyond Twilight). Geliefert wurde eine Promo-CD mit einer relativ einfachen Bandinfo, nicht einmal die Homepage der Band ist darauf vermerkt. Fündig wird man immerhin über die übersichtliche Linkseite des Labels - und dann darf man sich erst einmal gehörig wundern - und freuen. Selten habe ich bei einem Debütalbum eine derart ausführliche und gut gemachte Internetseite vorgefunden.
Da fragt man sich unwillkürlich, warum der Infozettel verschweigt, dass Gitarren-Gott Mattias 'IA' Eklundh ( Freak Kitchen) in "Colour Us Blind" und "Seven Days Weekend" den Gastgitarristen gibt. Bjarne T. Holm von Force of Evil spielt die Gasttrommel bei dem Asien-Bonus-Track "Barrels Of Fun", der 2003 in Dänemark als Single veröffentlicht wurde und wohl in den dortigen Radiostationen viel gespielt wurde.
Die Texte haben größtenteils autobiographischen Inhalt und lesen sich, ebenso wie die erklärenden Erläuterungen, teils mehr als gruselig. Dabei geht es um Rassismus, Verlust von Freunden und Familie, sowie von Hab und Gut durch ein Feuer und noch mehr. Kleiner Wermutstropfen in der Produktion ist, dass diese düster-doomigen Verzweiflungsgeschichten teilweise nicht wirklich dramatisch ankommen. Aber vielleicht ist das am Ende sogar so gewollt, um es nicht gar so schlimm aussehen zu lassen, wie es in den Lyrics beschrieben wird.
Sehen wir uns die Songs mal ein wenig an:
Der Opener "Intoxicated" ist ein für das Gothic Metal-Genre typisches Stück mit relativ harten, etwas einförmigen Gitarrenriffs. Der Song verheißt in den Strophen einiges, kann aber schon im Refrain sein Versprechen nicht halten und driftet in einen durchschnittlichen Gesangspart ab.
Die erste Minute von "Bang Bang" lässt eher auf eine Ballade schließen, als auf eine Prog Metal-Nummer. Verhalten, aber mit klarer Stimme singt Heidi über das Piano die Einleitung zu einer grusligen Familienstory: "Just kill me, I don't care anyway, just use me..."
Dann sind sie da - die tiefer gestimmten, drohenden Gitarrenriffs. The Fight has started. Mit kräftigem Gesang à la Sandra Nasic (Ex-Guano Apes) erzählt sie im Wechsel mit dem etwas schräg daherkommenden Organ von Per, von den Folgen eines klaustrophobischen Anfalls während einer feuchten Geburtstagsfeier. Ein düster-beklemmender Höhepunkt gleich zu Beginn.
"In My Life", die klassische eingängige Gothic-Schnulze mit Pop- und Industrialanteil, die es wahrlich zur Genüge auf anderen Alben des Genres bereits gibt. Haben die beiden etwa heimlich zuviel Roxette und Moritiis gehört?
"Colour Us Blind" könnte eine wunderschöne Metal-Ballade sein - wäre da nicht dieses verunglückte kreischende Gitarrensolo, dass völlig daneben klingt. Jaja, ich weiss, ich weiss, exakt diese Ballade wird von manchem böse zerrupft. Das hat sie aber nicht verdient, auch wenn sie vielleicht kein musikalisches Meisterwerk geworden ist.
Der Text bringt sein Anliegen leider nicht ganz so gut hörbar auf den Punkt: Es geht hier um Unterschiede, die eigentlich keine sein müssten/sollten - Hautfarbe, Religion, Fundamentalismus: "I'm not so different, different from you only religion devide us two!"
"My Dearest One" hört sich in den ersten Takten verdammt nach der poppigeren Seite der Red Hot Chili Peppers an, kriegt aber rechtzeitig die Kurve. Äh, ja - nur um sich dann nach einer eingängigeren Ausgabe der Prog Death Metaller Orphaned Land anzuhören. Wirklich nicht schlecht, nicht direkt originell und neu erfunden, aber auf jeden Fall eines der Highlights des Albums.
"I Am Who I Am" mit doch recht hoher weiblicher Stimmlage, ist musikalisch einer jener Songs, die die Welt so gar nicht braucht. Ebenso "Spiritually Possesed" - gut gemachter (Neo?) Prog Metal - nicht mehr und nicht weniger. "Lost My Faith" ist ein interessanter Metaltrack im Stile der '80er-mehrstimmig-Sing-Kreisch-Rock-Bands', nur etwas neumodisch aufgepeppt. Run DMC / Aerosmith meets Mötley Crue??
"Survived" ist definitiv DAS Highlight von "The Naked Truth". Kraftvoll, rockig, düster, von Ängsten und Unerklärlichem, aber auch kämpferisch, hoffnungsvoll und freudig. Hat etwas von der Klasse der Stream Of Passion-Nummern. "I feel no more pain, only a shadow remain. Look at me, I am free... I feel alive, I survived."
"Seven-Days Weekend" ist nicht Fisch, nicht Fleisch. Depeche Mode-artiges elektrisches Geschrammel erweckt irgendwo im Hinterkopf auch noch Erinnerungen an "Pump Up The Volume" von M|A|R|R|S. Das ganze dann mit einer Portion Metal und verfremdetem Sprechgesang verrührt, ergibt eine eigenwillige Mixtur.
Die Spielzeit ist mit knapp 40 Minuten sehr kurz bemessen fürs Geld. Es ist kein Meisterwerk geworden, aber Genre-Freunde bzw. Open-Minded-Metaller dürfen bei den Dänen gerne ein Ohr riskieren.
Ach ja, noch eine 'unwichtige Kleinigkeit' die das beigelegte Infoblatt verschweigt: Für das doomige, extravagante Cover-Artwork, das Per und Heidi Johansson in zwei getrennte Glaskaraffen sperrt, zeichnet kein geringerer als der schwedische 'Mr. ProgArt' Mattias Norén verantwortlich, der auch bereits Cover von Evergrey, Ayreon, Wolverine, Stream of Passion oder Jag Panzer und Derek Sherinian entworfen hat.
Anspieltipps: "Bang Bang", "Colour Us Blind", "Survived" und "My Dearest One"
Spielzeit: 39:21, Medium: CD, Locomotive Records, 2006
1:Intoxicated 2:Bang Bang 3:In My Life 4:Colour Us Blind 5:Survived 6:Lost My Faith 7:My Dearest One 8:I Am Who I Am 9:Spiritually Possessed 10:Seven-Days Weekend
Maria Ortner, 22.05.2006
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