Wenn es ein Musikerkollektiv gibt, dass die Rockmusik nachhaltig geprägt hat, und
Alternative-Bands wie Sonic Youth, The Strokes und Nirvana anstachelte, zu ihren Instrumenten zu greifen, und selbst erst lange Zeit nach der eigenen Auflösung in die Ruhmeshalle aufgenommen wurde, dann kann nur Velvet Underground gemeint sein.
Mit ihren Debütalbum, mit dem Warhol'schen Bananencover, setzten Lou Reed, Sterling Morrison, Maureen Tucker und John Cale 1967 neue Maßstäbe. Lärmige Rückkopplungsorgien ergossen sich über das tumbe Minimal-Schlagzeug und bittersüße Melodien umschlangen die schonungslosen rauen Texte Reeds, die dem drogengeschwängerten Moloch New York Rechnung tragen.
Die Protagonisten verfolgten eifrig ihre Ambitionen, Rock 'n' Roll mit Kunst zu vereinigen,
was bei einen Ziehvater wie Pop-Art - Fürst Andy Warhol und dessen Performancetempel 'Factory' nur allzu selbstverständlich anmutete.
Im Schatten von Velvet Underground tummelten sich gern illustre Sternchen und
Kunstmätressen aller Couleur, wie die glanzvolle deutsche Actrice Christa Päffgen
alias Nico, die in die Songs der ersten Stunde, so manchen gesanglichen 'Sündstoff' einbrachte, und Liveauftritte mehr durch ihr Charisma und ihre Schönheit als durch
ihr Tamburinspiel aufwertete. Ihre Engelsflügel schmolzen aber sehr schnell in der
vernichtenden Flamme einer Drogenhölle.
Reed ließ seine Gitarre oftmals in ausgeklügelten Rückkopplungen bis an die
Schmerzgrenze schreien, Cales elektrisch verstärkte Violine warf völlig entrückte
Intonationen, Morrisons Bassgitarre dröhnte unheilvoll und Mo Tucker (erster weiblicher Schlagzeuger in einer Star-Rockband), trommelte klaustrophobische
Monotonie.
Ihr Mythos wird abrupt im August 1970 erschüttert, als Reed das Bandkollektiv
verlässt, um sich erst einmal eigenen Plänen zu widmen.
Auch Cale nährt sein eigenes Schaffen, Tucker und Morrison hingegen
ziehen sich gänzlich ins Privatleben zurück.
Nach den Tod Andy Warhols 1987 kommen die musikalischen Freidenker Reed und Cale erstmals wieder zusammen, um die Hommage
("Songs For Drella") einzuspielen. Im Juni 1990 finden sich dann alle Originalmitglieder
zu einer spontanen Session, anlässlich einer Warhol-Retrospektive in Paris, ein.
Womit keiner in den kühnsten Träumen gerechnet hätte, wird 1993 Realität: es gibt eine
Wiedervereinigung.
Der Burgfrieden innerhalb des Bandgefüges wird dazu genutzt, noch einmal die Jugend
der wohlsituierten Endvierziger zu reanimieren.
Der 'Spiegel' schrieb damals dazu: "Bei Velvet Underground gab es keine Missverständnisse, keine verqueren Hoffnungen. Es gab nur Pop und die silbrige
Helle, das Dämmerlicht von Heroin und Amphetamin und deren Überwindung."
So kam es zur ersten und letzten Europatournee der Bandgeschichte, die teilweise im
Vorprogramm von U2s 'Zooropa'-Tour stattfand, und dennoch wenig spektakulär
ablief.
Dabei hatten sich die übrigen Mitstreiter, wie Ruhepol Morrison, für den es die
endgültig letzten Auftritte bedeuten sollten, oder Tucker, die sich dafür extra von
ihren Supermarktregalen losriss, redlich bemüht, die Magie des verstaubten Liedgutes
heraufzubeschwören.
Sie traten an, ohne die Obsession von Trendsettern und Predigern für den echten Rock 'n' Roll,
und das zu einer Zeit, als der Grunge, die kurzlebige, oberflächliche Musikkultur bestimmte.
Am 15. und 17. Juni 1993 liefen die Kameras bei ihren Auftritten im Pariser 'Olympia',
um die Einmaligkeit für die musikinteressierten Nachkommen zu konservieren.
Ihre verzweifelten und bisweilen ziemlich radikal anmutenden Songskizzen sind doch selbst
nach all den Jahren Zündstoff für eine mittlerweile stagnierende Pseudo-Subkultur.
Es entstand bei diesen Aufnahmen ein Live Dokument, dass sich von allen Rock 'n' Roll-
Konventionen frei prügelt, und dennoch tief im Herzen eben diesen zu zelebrieren.
So wurde diese Reunion, die uns vor Jahren schon einmal als VHS beglückte, posthum
einer digitalen Frischzellenkur unterzogen.
Viel hat man bei "Velvet Redux Live MCMXCIII" auch beim Ton nicht unbedingt gewonnen. Wird in der beiliegenden Info noch vollmundig ein 5.1. Sound angepriesen,
findet sich auf der DVD lediglich eine Stereosumme in PCM wieder.
Dieser besitzt zwar einen gewissen Charme, wirkt aber auf den Klangfetischisten des
21. Jahrhunderts durchaus unbefriedigend.
Abgebildet in der wunderschönen Kulisse des 'Olympias' gaben die Erfinder des
Alternativen Rocks ihre intonaren Klassiker wie "Venus In Furs", "White Light/White Heat"
oder "Pale Blue Eyes" zum besten, die gewöhnlich von Stockfisch Reed total
zersungen wurden.
Das atonale Violinen- bzw. Tastenspiel von Cale und das an Monotonie unübertroffene Schlagzeug klingen, als würden diese zu einem Ritual arbeiten. Auch wenn Cale mal
die Vocal-Parts des Fräuleins Päffgen übernimmt, konterkariert er den Zuhörer
mit seinem sanften, fast emotionslosem Vortrag.
Ihre livehaftig dargebotenen, dadaistisch-surrealistischen Klanggespinste voll brüchiger Romantik, bohren sich geradezu hypnotisch ins Unterbewusstsein des Betrachters.
Ob bei der sinistren Gitarrenorgie "I Heard Her Call My Name" oder bei dem auf 15 Minuten
ausgedehnten "Hey Mr.Rain": Die stärksten Momente haben die Bühnenstatisten immer dann,
wenn sie ihre endlos scheinenden Instrumentalparts und Feedbackschleifen konzertieren.
Auch wenn die Musiker den Anschein von stoischen Statisten an ihren Instrumentarium
hinterlassen, so genossen es diese offenbar wieder, nach langer Zeit vor großen
Menschenansammlungen zu performen.
Was den Raumklang der DVD angeht, ist es von den Frequenzen her sehr warm, lässt allerdings die Brillanz in den Höhen schmerzlich vermissen. Eines muss man der ganzen Sache zugestehen, der rumpelige Sound ist authentisch und steht besonders dieser Band sehr gut.
Der Optik mangelt es an Schärfe und Kontrast. Der Eindruck, dem Bühnengeschehen nah zu
sein, will sich nicht so recht einstellen.
Sicherlich, es ist immer eine gute Sache, Klassiker digital für den Heimplayer aufbereitet zu bekommen.
"Velvet Redux" kann diesem Ansinnen durchaus entsprechen, zumal das VHS-Medium
wohl schwer zu beschaffen sein dürfte.
Trotzdem hätte man sich mehr Mühe und Liebe bei dessen Aufbereitung gewünscht,
zumindest eine Mehrkanalbearbeitung und Zusatzfeatures, die den Bogen zu heute schlagen würden.
Mit den Tod Morrisons im August 1995 darf das Kapitel Velvet Underground
wohl endgültig als abgeschlossen betrachtet werden. Ihre halluzinogenen Hymnen dürften aber, trotz ihrer überholten Botschaften, für immer unsterblich bleiben.
Dieses Live-Dokument ist für alle Hardcore-Fans erstrebenswert und für alle zeitgemäßen Bild/Tonkonsumenten nur bedingt zu empfehlen.
Technik:
Color, NTSC, 4:3, Region 2,3,4,5, LPCM Stereo
Spielzeit: 92 Min, Medium: DVD, Rhino, 2006
1:Venus In Furs 2:White Light/White Heat 3:Beginning To see The Light 4:Some Kinda
Love 5:Femme Fatale 6:Hey Mr.Rain 7:I'm Sticking With You 8:I Heard Her Call My Name
9:I'll Be Your Mirror 10:Rock 'n' Roll 11:Sweet Jane 12:I'm Waiting For The Man
13:Heroin 14:Pale Blue Eyes 15:Coyote
Ingolf Schmock, 26.02.2006, Photos: Renaud Monfourny/courtesy of Sire Records
|