Vertical Horizon / Echoes From The Underground
Echoes From The Underground Spielzeit: 57:16
Medium: CD
Label: Membran, 2014
Stil: Pop Rock

Review vom 18.06.2014


René Francke
Die öffentliche Wahrnehmung ist meist auf einen großen Hit des jeweiligen Ensembles beschränkt: Man hört den Namen AC/DC und es wird sofort an "Highway To Hell" gedacht, die Rolling Stones werden vielerorts seit Jahrzehnten mit ihrem Evergreen "Satisfaction" assoziiert. Dass die meisten dieser Künstler mehr als nur einen Hit aufzubieten haben, entzieht sich häufig der oberflächlichen Engstirnigkeit der Masse. Zugegeben: Bei der Band Vertical Horizon verhielt es sich bei mir ganz ähnlich. Gut, man kann jene Combo aus Washington, D.C. nicht mit den oben genannten Rockdinosauriern vergleichen, weil sie aufgrund ihrer Bekanntheitsgrade in völlig unterschiedlichen Ligen spielen. Doch als ich das neue Album "Echoes From The Underground" von Vertical Horizon bekam, ging es mir vermutlich wie vielen bei dieser Combo, denn ich musste sofort an ihren einen großen Hit aus dem Jahr 2000 denken: "Everything You Want".
Diese aus dem gleichnamigen Hitalbum stammende Single schaffte es bis auf Platz 1 der US-amerikanischen Single-Charts und wurde einer der im Radio meistgespielten Songs des Jahres 2000. Seitdem werden Vertical Horizon auf diesen einen Song reduziert. Einer breiten Hörerschaft ist allenfalls noch das Stück "You're A God" aus dem Film "Bruce Allmächtig" in Erinnerung. Doch dass diese Gruppe um Frontmann Matt Scannell bereits 1991 gegründet wurde und ihr aktuelles Album "Echoes From The Underground" bereits ihr siebtes ist, wissen wahrscheinlich die wenigsten. Dies könnte aber auch an der geringen Nachhaltigkeit ihrer Musik liegen.
Auch wenn das neue Album mit einer rebellisch verzerrten Gitarrenspur eröffnet, so hat sich doch ihr bisheriger Pop Rock-Sound nicht einen Millimeter vom radiotauglichen, hitverdächtigen Eingängigkeitsmuster entfernt. Der Opener "You Never Let Me Down", den Scannell mit seinem Musiker-Kumpel und Grammygewinner Richard Marx, mit dem er auch Akustikkonzerte spielt, geschrieben und aufgenommen hat ist ein Ohrwurm vor dem Herrn, voller Sehnsucht und überdimensionaler Klangwände. Nach ähnlichem Schema geht es auch in der ersten Singleauskopplung "Broken Over You" weiter: ein Grundriff, das sich hungrig in jede noch so kleine Zelle sägt, und ein Refrain, der sich jedes Mal wie eine Monsterwelle auftürmt und jegliche Besinnung des Zuhörenden hinfort spült.
Von Peter Gabriel, Depeche Mode und Elbow inspirierte Pop-Elektro-Nummern ("Evermore", "Lovestruck", "Frost") und kitschige Schmachtfetzen ("Song For Someone", "Consolation", "I Free You") verschwimmen auf diesem Album zu einem kaum auseinanderzuhaltenden Einheitsbrei. Das Stück "Lovestruck" trumpft zumindest noch mit einem Pink Floyd-esken Gitarrensolo auf. Und "Instamatic" fällt aufgrund der perfekt eingebauten Wütereien des Schlagzeugers wenigstens ein bisschen aus dem Rahmen. Und dann kommt da noch das versöhnliche, über siebenminütige Schlussstück "South For The Winter": Ein fragiles Gitarrenriff, das an Jeff Buckleys "Hallelujah" erinnert, und Scannells abwechslungsreiche und soulige Gesangparts sorgen für einen wohligen Ausklang.
Auf "Echoes From The Underground" findet das verträumte Pop-Charts-Herz alles, um sich mit Hilfe von dreieinhalb-Minuten-Filets aus der harten Alltagsrealität zu stehlen, am besten wenn man im Feierabendverkehr mit dem Auto im Stau steht und sein Leben verflucht. Man bekommt elf leicht zugängliche Ohrwurmkandidaten serviert, wie man sie auch von Bands wie Sunrise Avenue, Nickelback, Tonic oder Fastball kennt. Gegen solche Musik kann man eigentlich nichts einwenden, erst recht nicht nach einem harten Arbeitstag im Büro, wenn man eh nicht mehr so aufnahmefähig ist und eher leichte Ohrenkost bevorzugt. Dabei zeugen die Texte aller elf Stücke von Tiefe, äußern teilweise sogar subtile Gesellschaftskritik ("Evermore"), aber vor allem triggern sie die in uns allen schlummernde Sehnsucht nach der großen, ewigen Liebe. Allerhöchstens lässt sich beanstanden, dass die Musik auf "Echoes From The Underground" an vielen Stellen allzu einfach gestrickt ist: Verzerrte, aber für den Mainstream abgerundete Gitarrenklänge; auf massive Eingängigkeit getrimmte Keyboardakkorde; mächtige, aber weder den Schlagzeuger noch die Hörerschaft überfordernde Rhythmusmuster im 4/4-Takt; und eine Stimme, bei denen die meisten Pop-Liebhaber rasend schnell ins Schmachten geraten. Und das alles ist auch noch so scharf und punktgenau produziert, dass man bei der breiten Masse der Gesellschaft, die auf watteweiche Töne steht, sicherlich nichts falsch machen kann. Aber irgendwie auch schade, denn so werde ich auch zukünftig bei dem Namen Vertical Horizon zuallererst an "Everything You Want" denken.
Line-up:
Matt Scannell (vocals, guitar, keys)
Ron Lavella (drums)
Donovan White (guitar)
Jeff Jarvis (bass)

Additional musicians:
Richard Marx (harmony vocals - #1,3,4,7)
Richard Marx (piano - #1)
Neil Peart (drums - #6,11)
Steve Fekete, Jenn Oberle, Jason Orme (backing vocals - #7,9)
Tracklist
01:You Never Let Me Down
02:Broken Over You
03:Evermore
04:Song For Someone
05:Half-Light
06:Instamatic
07:Consolation
08:Lovestruck
09:Frost
10:I Free You
11:South For The Winter
Externe Links: