Volga / Kumushki Pjut
Kumushki Pjut Spielzeit: 46:48
Medium: CD
Label: Asphalt Tango Records, 2014
Stil: Slavic Psychedelic Folk

Review vom 30.05.2014


Steve Braun
Palawernde Mähde pittsche enna (hochdt.: redselige junge Damen sitzen zusammen und trinken ein Gläschen Alkohol) - so würde man "Kumushki Pjut" aus dem Russischen ins Saarländische übersetzen. Die Moskauer Band Volga, um die Sängerin bzw. Sprach- und Klangforscherin Anzhelika 'Angela' Manukian formiert, hat ihrem aktuellen Album diesen Titel nicht ohne Grund verpasst. In den verschiedensten Regionen des russischen Riesenreiches hat sie die hier verarbeiteten Texte aufgeschnappt und eingesammelt - man kann sich das fröhliche Palavern auf den Dorfplätzen und in den Versammlungshäusern lebhaft vorstellen...
Und wie Europas längster Strom - die Wolga, mit ihren mehr als 200 Zuflüssen - vereint auch "Kumushki Pjut" unzählige musikalische und textliche Strömungen. Teilweise über 900 Jahre alte rituelle Zaubersprüche treffen auf Märchen- und Sagengestalten aus der Zeitspanne zwischen dem 12. und 19. Jahrhundert, in den unterschiedlichsten regionalen Dialekten gehalten - uralte russische Volksweisen auf experimentelle Elektronik- und psychedelische Rockklänge sowie House-Rhythmen. Der Band- oder besser Projektname, Volga, ist also durchaus Programm...
Bei ihren gefeierten Konzerten in Moskaus alternativer Szene werden Anzhelika Manukian und ihr wichtigster Mitstreiter, der Multiinstrumentalist Roman Lebedev, von den Videokünstlern Roman Anikushin und Oleg Kornev unterstützt, die diese ungewöhnlichen kleinen Kunstwerke mit experimentellen Farbenspielen illuminieren.
Im Nabel der deutschen Freakszene, dem Burg Herzberg Festival, ist Volga bereits vor vierzehn Jahren aufgetreten und somit hierzulande keine völlig unbekannte Größe mehr. Mit ihrem (immerhin schon) neunten Album werden die drei Russen sicherlich auf offene Ohren bei den Freunden der Weltmusik treffen. Allerdings wird sich Volga wohl zunächst noch mit dieser Nische begnügen müssen - zu ungewöhnlich sind die Klänge auf "Kumushki Pjut" für unseren Kulturkreis.
Anzhelika Manukian möchte ihre Musik als eine Verschmelzung von russischer Folklore und slawischer Polyrhythmik zu einem Klangkosmos verstanden wissen, den sie als Teil der 'New Global Folk Music' begreift. [Und hier komme ich gerade in diesen krisengeschüttelten Zeiten nicht umhin, diese weltoffene Geisteshaltung inmitten all der (russischen) Separationsbestrebungen als große Ermutigung wahrzunehmen und weiterzureichen!!] All die verschiedenartigen Dialekte nötigen Manukian beachtenswerte Gesangs- und Stimmtechniken ab, obwohl ihre Gesänge (für meinen Geschmack) gelegentlich etwas zu schrill erscheinen.
Die Texte sind für unsereins natürlich unverständlich und verströmen wohl auch deshalb eine Unmenge von Exotik. Musikalisch lassen sich neben den genannten slawischen Einflüssen auch orientalisches und fernöstlich-mongolisches Kolorit wahrnehmen - von uns völlig unbekannten Klängen, möglicherweise aus den fernen sibirischen Weiten stammend, mal ganz zu schweigen.
Omnipräsent sind die für die russische Folklore typischen, leicht schnarrenden Schaleikas - ein früher von Nomaden gespieltes Blasinstrument aus Schilfrohr oder Weidenholz mit einem Horntrichter. Die fremdartigen Streichinstrumente scheinen - wie das Line-up vermuten lässt - aus der 'elektronischen Konserve' zu stammen. Wie übrigens auch die meisten (bis auf die Perkussionspassagen mit dem sogenannten Tibetian Cup) Schlagzeugpassagen, die in ihrem 'pappigen' Klang einen deutlichen Schwachpunkt der Produktion darstellen. Die große Unbekannte im Gesamtsound stellt das von Uri Balashov erfundene und selbstgebaute 'Zvukosuk' dar, was immer das auch darstellen mag.
Viele der für unsere Ohren exotischen Tonfarben sind zumeist mantra-artig repetitiv, geradezu schamanistisch. Am zugänglichsten wird die Musik immer dann, wenn - wie in "Postylyi", "Golova" oder "Za Vorota" - elektrische Gitarren, oft bis an die Schmerzgrenze verzerrt, ins Spiel kommen. Oder in den stilleren Momenten zum Ausklang ("Bolozi" und "Solovejushka"), wo Akkordeon- und Balalaika-Klänge endlich einmal für Wiedererkennungseffekte sorgen. Reizvoll gelingt es den Musikern von Volga, slawisch-mittelalterliche Melodien und zeitgenössische Electro- und Dub/House-Beats zu liieren.
Beeindruckend, wie Volga es ihrer Namensgeberin gleichtun, also Tradition und Moderne vereinen. Vom Exotenstatus und der Weltmusikecke mal völlig abgesehen, sollte "Kumushki Pjut" ungewöhnliches 'Ohrenfutter' für alle weltoffenen Freigeister bieten - свобода (zu dt.: Freiheit)!!!
Line-up:
Anzhelika Manukian (vocals)
Roman Lebedev (guitars, electronics)
Uri Balashov (zvukosuk, tibetian cup)

Guests:
Sergei Klevensky (bag-pipe - #2, jaleika)
Alexey Ostashev (bass - #1)
Tracklist
01:Kaverzi (Unexpected Trouble)
02:Rzhanoe Zhito (Rye, Rye)
03:Postylyi (Bad Husband)
04:Golova (Head)
05:Pomol (Grinding)
06:Mala Nochka (Small Night)
07:Zacharovan (Enchanted)
08:Kumushki Pjut (Gossiping Ladies Having A Drink)
09:Za Vorota (Outside The Gate)
10:Bolozi (To Goodness)
11:Solovejushka (Nightingale)
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