Die persönlichen Spannungen im Lager der Rolling Stones des Jahres 1974 als 'massiv' zu bezeichnen, wäre eine himmelschreiende Untertreibung. Keith Richards' sich dem Höhepunkt näherndes Heroin-Problem, der schmerzhafte
Aufnahmeprozess des Albums "Goat's Head Soup", ein unzufriedener und sich langsam aber sicher der Band abwendender Mick Taylor und Wymans tiefe Frustration darüber, keinen seiner Songs auf den Alben der Band (Ausnahme
"In Another Land" von der LP "Their Satanic Majestics Request") unterbringen zu können, führte dazu, dass der gute Bill drauf und dran war, die Band zu verlassen.
Glücklicherweise zog er sich aber stattdessen erst mal zurück und spielte mit einer Vielzahl von befreundeten Musikern sein erstes Solo-Album "Monkey Grip" ein. Und als er wieder zurückkehrte, hatte sich die Lage bereits
wieder beruhigt und Ronnie Wood, der zwar noch nicht Bandmitglied war, sondern nach wie vor mit der Gruppe The Faces die Bars und Bühnen unsicher machte, war im täglichen Leben der Stones aufgetaucht und brachte den
Laden, bzw. die Stimmung wieder auf Vordermann. Und dies einfach nur in seiner ganz eigenen Art, einer Riesenportion Humor und der Bereitschaft, als Katalysator und teilweise Prügelknabe für die Streithähne Jagger und Richards zu fungieren. Und Bill Wyman blieb ja dann auch noch fast 20 weitere Jahre in der Band. Aber soviel zu den Stones.
Nach "Monkey Grip" folgten weitere Alleingänge mit "Stone Alone" (1976), "Bill Wyman" (von 1982, die sogar einen Hit mit "Si, Si, Je Suis Un Rock Star" abwarf) und "Stuff" (1992), sowie einigen weiteren Projekten in den
80er Jahren, wie z.B. Willie & The Poor Boys.
Im Jahr 1997, nach ca. fünf Jahren Ruhestand wohl rentenmüde geworden, startete er ein Spaßprojekt mit dem Namen Bill Wyman's Rhythm Kings, welches über drei CDs laufen und neben einem kleinen festen Stamm auch
viele Gastmusiker aufbieten sollte. Aus Spaß wurde Ernst, bzw. der Spaß schraubte sich in solch ungeahnte Höhen, dass es die Rhythm Kings meines Wissens auch heute noch (zumindest) sporadisch gibt, man zahlreiche Tourneen gespielt
und auch schon weit mehr als nur die geplanten drei CDs veröffentlicht hat.
Aber kommen wir zur Musik: Bill Wyman hat ein großes Herz für Pop-Musik.
Dies wird gleich beim damaligen "Monkey Grip"-Opener "I Wanna Get Me A Gun" deutlich, obwohl dieser doch, wie auch die anderen fünf hier enthaltenen Songs seines Erstlings, in Rockbesetzung eingespielt wurde. Locker, leicht,
flockig geht es zur Sache, unterstützt von coolen Background-Sängerinnen. Klasse Song. Auch "Monkey Grip Glue" ist stark gespielt und arrangiert, auch wenn der Refrain als Kinderlied-Melodie durchgehen könnte. Der gute Bill
hatte mit u.a. Dr. John, Danny Kortchmar, Dallas Taylor (beide ex- Mannassas), Leon Russell oder Lowell George ( Little Feat) jede Menge prominente Unterstützung am Start.
Das Stones-Album "Goat's Head Soup" wurde teilweise in Jamaika eingespielt und Wyman ließ seinen dort gesammelten Reggae-Einflüssen in seinem Song "What A Blow" freien Lauf. "White Lightnin'" ist wieder ein netter Pop-Song mit Referenzen zum Country. "I'll Pull You Through" und "It's A Wonder", die die Songs von "Monkey Grip" beschließen, fallen nicht ab, bekräftigen aber den Eindruck, es mit einem Songwriter zu tun zu haben, dessen Kompositionen
doch stark von dem Jagger/Richards Material jener Zeit abweichen. Speziell wenn man bedenkt, dass die Stones-Songs Anfang bis Mitte der 70er recht wenig mit relaxtem Pop zu tun hatten, war es rückblickend
wohl doch nicht so verkehrt, Wymans Kompositionen nicht für die Band zu berücksichtigen.
Die Songs von "Stone Alone" aus dem Jahr 1976, die wieder mit (und oft identischer) All Star-Besetzung aufwarten können, sind im Prinzip nach dem gleichen Muster gestrickt, obwohl Bill hier auch mal den Rock 'n' Roll der 50er Jahre mit einfließen ließ. Insgesamt fünf, auch wieder gute, Pop-Songs mit Reggae- und Rock-Einflüssen, teilweise Bläsern, gibt es von diesem Album zu belauschen. Letztendlich habe ich aber den Eindruck, dass
"Monkey Grip" die bessere der beiden Veröffentlichungen ist.
Nachdem er danach erst mal mit den Stones beschäftigt war und die beiden ersten Alben auch nicht sonderlich gut von der kaufenden Anhängerschaft angenommen wurden, dauerte es dann bis 1981, bis Bill wieder Solo ins Studio ging um den Soundtrack für einen Film (von dem hier nichts enthalten ist) und sein drittes, schlicht "Bill Wyman" betiteltes Solo-Album einzuspielen, welches schließlich 1982 veröffentlicht wurde. Von diesem Album stammt die
anfangs erwähnte Überraschungs- Hit-Single "Si, Si, Je Suis Un Rock Star", die aber, wie die restlichen hier enthaltenen fünf Songs dieses Albums, sehr durchwachsen und stark von der damaligen Disco-Musik geprägt ist. Es gibt durchaus einige gefällige Melodien, aber der Zahn der Zeit lässt den Rockfan dann doch eher mit achselzuckender und kopfschüttelnder Konfusion
zurück. Brrrrrr....
Die letzten drei Songs von CD 1 sind vom vierten Solo-Album "Stuff", von dem ich bisher gar nicht wusste, dass es überhaupt existiert. Aber erstens kein Wunder, da "Stuff" im Jahre 1992 nur in Japan und Argentinien
veröffentlicht wurde und einem zum zweiten zumindest die drei hier enthaltenen Songs nun wirklich nicht vom Hocker hauen. Wohl ambitioniert, aber zu sehr an den Puls der damaligen Pop-Modeerscheinung angelehnt, die bald wieder Vergangenheit war. Schade!
Letzten Endes ist wohl "Monkey Grip" das beste Gesamtwerk der vier Veröffentlichungen. Der Schwachpunkt, leider auch bei den ersten beiden musikalisch sehr interessanten Alben, ist der Gesang. Und Bill Wyman weiß das. Schließlich hat er selbst gesagt, dass er sich am Mikro sehr unwohl fühlt und sich sein Gesang dadurch immer nur halbherzig und wenig überzeugend anhören kann. Leider muss ich ihm recht geben.
Auf CD 2 werden uns ebenfalls 20 Songs geboten, dieses mal, bis auf drei Stücke, allesamt live. Die ersten sechs gehören Willie & The Poor Boys, einem Projekt, dass Wyman in den 80ern startete, um Ronnie Lanes ( The Small Faces, The Faces) Aktion zur Erforschung von Multiple Sklerose (eine Krankheit, von der Lane selbst befallen war und der er vor knapp 10 Jahren erliegen sollte), zu unterstützen. Musikalische Hilfe bekam Wyman von u.a. Charlie Watts, Jimmy Page, Chris Rea, Andy Fairweather-Low und Kenney Jones. Und die Band hat bei Klassikern wie "Baby, Please Don't Go", "Mystery Train", "You Never Can Tell" oder "Tear It Up" jede Menge Spaß. Sogar so viel Spaß, dass nach den ursprünglich geplanten handvoll Konzerten sogar noch ein Studio- und ein Live-Album folgten.
Ab Song Nr. 7 sind wir bei Bill Wyman & The Rhythm Kings angelangt. Und hier will ich gar nicht mehr viele Worte verlieren, denn dieser Band zuzuhören, macht einfach nur Mega-Spaß (schon wieder "Spaß", ich weiß, aber glaubt es mir Freunde, dieses Wort kann hier nicht oft genug erwähnt werden). 14 Rock 'n' Roll Songs, meistens aus den 50er und 60er Jahren mit Könnern wie Georgie Fame und Gary Brooker (beide an Gesang und Tasten), wie auch mit
Andy Fairweather-Low oder der Ausnahme-Erscheinung (und Sänger) Albert Lee an den Gitarren, geht hier im wahrsten Sinne die Post ab. Bill Wyman selbst hat das Mikro an den Nagel gehängt und auch nur einmal gibt es eine
Referenz an die Stones mit dem Song "Melody". Bei diesem, wie auch auf vielen weiteren Nummern glänzt Beverly Skeete am (teilweise Background-) Gesang.
Die Rhythmus-Könige rocken sich auf einem ganz hohen Niveau durch Standards wie "Let The Good Times Roll", "Jitterbug Boogie", "I'm Ready", "Georgia On My Mind" oder den "Chicken Shack Boogie", um nur einige wenige zu nennen.
Durch die zumindest größtenteils sehr interessanten Studioaufnahmen Wymans und dem Fun, den man mit der Live-CD hat, dazu insgesamt 40 (!!!) Songs geboten bekommt, kann ich diesen Doppeldecker absolut empfehlen.
Speziell natürlich den Stones-Freunden, denen die Soloaufnahmen der (einstmals??) größten Rock 'n' Roll-Band der Welt bislang unbekannt waren.
Spielzeit: 76:38 Min. (CD-1), 78:30 Min. (CD-2), Medium: Do-CD, Sanctuary, 2006
CD 1:Solo Stone
1:I Wanna Get Me A Gun 2:Monkey Grip Glue 3:What A Blow 4:White
Lightnin' 5:I'll Pull You Through 6:It's A Wonder 7:A Quarter To Three 8:Soul Satisfying 9:Peanut Butter Time 10:If You Wanna Be Happy 11:What's The Point 12:Ride On Baby 13:A New Fashion 14:Nuclear Reactions 15:Come Back Suzanne 16:Girls 17:(Si, Si) Je Suis Un Rock Star 18:Stuff (Can't Get Enough) 19:This Strange Effect 20:Blue Murder (Lies)
CD 2:Poor Boys & Rhythm Kings
1:Baby Please Don't Go 2:You Never Can Tell 3:Let's Talk It Over 4:Mystery Train 5:Tear It Up 6:Land Of A Thousand Dreams 7:Let The Good Times Roll 8:Rockin' Pneumonia And The Boogie Woogie Flu 9:Georgia On My Mind 10:I'm Ready 11:Lead Me To The Water 12:Baby Workout 13:I'll Be Satisfied 14:Chicken Shack Boogie 15:Love Letters 16:Jitterbug Boogie 17:Melody 18:Stop Her On Sight (SOS) 19:Midnight Special 20: Jump Jive An' Wail
Markus Kerren, 20.05.2006
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