"Rock statt Rente", das war - vielleicht erinnert man sich - eine Doku-Soap auf SAT 1, in der sich alte Herrschaften an Hard Rock-Titeln wie "Highway To Hell" versuchten. Zwar mehr schlecht als recht, aber Spaß hat es wohl gemacht. »Die Rentner rocken«, so heißt es nun in einem Artikel der Hessische/Niedersächsischen Allgemeinen (HNA) vom 30. November 2012. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen für diese erste gemeinsame CD brachte es die Band altersmäßig auf die Summe von dreihundertdreiunddreißig Lebensjahren. Die Spanne reicht hierbei von siebenundfünfzig bis einundsiebzig.
Der Namensgeber der Band ist Schotte, trommelte in Great Britain für eine Band namens The Sonics und war in Nordhessen in den Sechzigern Mitglied der dort wohl bekannten Band Die Kettels. Vielleicht können sich Einheimische noch erinnern? Aber auch die anderen Bandmitglieder waren musikalisch aktiv und so trifft ein gewisses Maß an Erfahrung auf den Umstand, jetzt Freizeit und gemeinsam Spaß haben zu wollen. Und genau das spürt man auch, wenn man den Klängen dieser CD lauscht. Live soll die Band bereits eine feste Bank sein, so liest man.
Eigenen Aussagen zufolge nennt man sich augenzwinkernd eine 'Selbsthilfegruppe' - wohl nicht mit dem Ziel, durch die Musik zu Reichtümern zu gelangen - was angesichts der Musik auch deutlich wird. Da ist nichts, was in der heutigen Welt des chartorientierten Pops punkten könnte. Diese Musik lebt von der Individualität ihrer 'Erzeuger' und die machen einfach, was sie wollen. So treffen wir auf eine Mischung verschiedener Einflüsse, neben Rock sind das Jazz, Soul und auch etwas Pop, auch ein Hauch Blues schimmert hin und wieder durch. Wie bringt man dies alles nun unter einen Hut?
Einfach die Musik abfahren und schon hört man es, wie es funktioniert...
Zunächst gibt es hälftig Instrumental- und Gesangstitel, da ist die Abwechslung bereits garantiert, und auch Unterschiede werden sogleich deutlich. Dennoch gibt es keine Teilung der Stile - sie vereinen sich gleichwohl schon in den unterschiedlichen Ausgestaltungen der Songs. Die Gitarre und das Saxofon sind die hauptsächlichen Soloinstrumente und bestimmen wesentlich das Klangbild. Daneben ist es die urige Stimme des Bandleaders, der mit recht rauem Timbre den Songs Wiedererkennungswert verschafft. Manchmal könnte allerdings ein wenig mehr Druck nicht schaden oder vielleicht in der Abmischung ein wenig mehr nach vorn?!
Einige Songs, die ich näher betrachten möchte, sollen ausdrücken, wie individuell und abwechslungsreich man vorgegangen ist. Der Instrumentaltitel "El Sol Relumbra" pendelt ein wenig zwischen Santana, Blonker und Fusion, wobei das Saxofon gar ein wenig in Richtung des großartigen Ben Webster tendiert und dem Stück eine sehr schöne jazzige Farbe gibt. Das ist ein sehr gelungener Auftakt, von der Atmosphäre auch ein wenig an das Comeback-Album von Peter Green, "In The Skies", erinnernd. Für mich ist der Song ein Volltreffer, auch das gefühlvolle Gitarrensolo trägt dazu bei. Mit einem Trommelwirbel und einem dichten Bläsersatz startet der deutschsprachige Song "Seit es Dich gibt", bei dem Wilson sprachlich und gesanglich ein wenig zwischen Bill Ramsey und Chris Howland pendelt. Ein im Rhythm & Blues-Arrangement treibender Song und Wehnhardt doppelt sein kurzes Solo mit seiner Stimme. Auch hier sind es verschiedene Elemente aus mehreren Bereichen der Musik, die die Band frech benutzt und zu sattem Sound vereint.
"The Blues" - ja, kein typischer Blues, den man möglicherweise erwartet, sondern ein ruhiger Song mit gefühlvollem Saxofon, das wohl einige Blue Notes verbreitet. Smooth Jazz-Anleihen gibt es auf "Not Like Her" über dezentem, leicht funkigen Gerüst. Etwas mehr groovt und funkt es auf dem Titelsong - sehr zurückhaltend und rauchig im Vokalbeitrag, der könnte gern etwas mehr herausgedrückt werden. Der Song ist ein echter Jazz Rock-/Fusion-Titel, der sich ein wenig an dem orientiert, was zum Beispiel die Brecker Brothers einst mit spitzen Bläsersätzen vormachten. Auch zeigt sich hier, wie gut die Band an ihren Instrumenten aufgestellt ist. Das klingt über das Amateurmaß hinaus und vermittelt durchaus professionellen Anstrich. Die Drums treiben locker voran, bis bei "Smog" zu den Schlagzeugbesen gegriffen wird und mit dem Einsatz des Saxofons eine angenehm nächtliche Atmosphäre geschaffen wird. Na ja, nach 'Smogalarm' klingt es für mich jedenfalls nicht, aber nachts im Nebel auf einer einsamen Nebengasse im New Yorker Straßendschungel und diese Melodie aus irgendeinem Kellerlokal - das kann ich mir schon vorstellen. Anstatt des Keyboards hätte ich mir hier jedoch ein akustisches Piano zur Untermalung gewünscht, vielleicht mit einem kleinen Solo, so doch noch ein wenig 'Smog' durch das etwas vordergründige Keyboard.
Der "Ivan Blues" ist auch nicht unbedingt dem Bluesgenre verpflichtet, sondern hintergründig eher dem Jazz mit feinem Flöteneinsatz, darüber Wortfetzen in einer mir nicht geläufigen Sprache - kein Gesang, vorwiegend bis auf eine kurze Passage gesprochen. Moldawisch soll das sein. Persönlich mag ich das nicht so sehr, weil für mich die Stimme keine Einheit mit dem ansonst gefühlvollen Stück bildet, das übrigens auch über ein feines Gitarrensolo verfügt. "Keiner kennt Dich", mit akustischer Gitarre instrumentiert - das ist doch eindeutig "Nobody Knows You When You're Down Out" und transportiert das Gefühl des Originals auf durchaus humorvolle Weise!
Letztlich ist es die Hinwendung zum Jazz, die auf dem neunten und zehnten Titel, von Nat Adderley bzw. Ann Ronell geschrieben, dokumentiert wird. Eine weitere Klangfarbe bringt Hansi Rödig hierzu mit der Bassklarinette ein. Das Thema formuliert er mit viel Feeling, das man auch dem Gitarrensolo bescheinigen kann.
Wie man nun gelesen hat, bietet die Brian Scotty Wilson Band sehr abwechslungsreiche, persönlich 'angestrichene' Musik mit einigen interessanten Aspekten und einigen aus meiner Sicht zu verbessernden Ausprägungen.
Die HNA hatte jedoch nicht so ganz recht, denn die Rentner rocken nicht nur simpel, sie haben ein weit gefächertes Spektrum mit eigener und ganz besonderer Note geschaffen, das man nicht einfach mit Rock abtun kann. Als bekennender Jazzer sehe ich die Nähe der Band sogar eher in diesem Genre verwurzelt. Ich bin gespannt, was da noch kommt!
Line-up:
Brian 'Scotty' Wilson (drums, vocal)
Gerd Hallaschke (keyboards, vocal)
Ernst Iben (bass, vocal)
Hansi Rödig (saxes, clarinet, flute, vocal)
Harald Wehnhardt (guitar, vocal)
Carolina Corj (vocal - #7)
Tracklist |
01:El Sol Relumbra [Wehnhardt] (4:41)
02:Seit es Dich gibt [Wehnhardt (3:08)
03:The Blues [Wehnhardt] (4:33)
04:Not Like Her [Iben] (3:30)
05:Out Of Space [Wehnhardt/Iben] (3:08)
06:Smog [Wehnhardt] (4:08)
07:Ivan Blues [Rödig] (4:02)
08:Keiner kennt Dich [Rödig/Wehnhardt] (2:49)
09:Sweet Emma [Adderley](4:02)
10:Willow Weep For Me [Ronell] (4:33)
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